Polizeimuseum Wien

Objekt des Monats Juli: Widmungstafel aus China

Im Polizeimuseum Wien in der Marokkanerkaserne befindet sich eine kunstvoll angefertigte Tafel mit chinesischen Schriftzeichen. Es handelt sich um eine Widmung von zehn chinesischen Polizisten, die in der Zwischenkriegszeit die Polizeiausbildung in Wien absolvierten.

Im Jänner 1931 begannen zehn junge Polizisten aus der chinesischen Provinz Zhejiang in der Marokkanerkaserne in Wien mit der zweijährigen Polizeigrundausbildung. Die Gäste erhielten Unterricht in theoretischen Fächern, wie Polizeiorganisation, Dienstrecht, Staats- und Verfassungsrecht, Strafrecht und Strafprozessrecht, Verkehrs- und Meldewesen, Kriminalistik und Kriminologie. Den Chinesen wurde auch europäische Kultur vermittelt, insbesondere die Kunst- und Kulturschätze Österreichs. Die Gäste waren in der Marokkanerkaserne untergebracht. Sie hatten vor der Abreise nach Österreich einige Monate lang Deutsch gelernt und in den ersten drei Monaten in Wien half der Sinologe Erwin Reifler als Dolmetscher aus. Auch Sport stand auf dem Ausbildungsprogramm, wie Nahkampfausbildung, Zillenfahren und Skilauf. Nach eineinhalb Jahren Theorie kamen die Polizisten zur praktischen Ausbildung in die Schulwachzimmer Lisztstraße und Heeresamt. Weitere Stationen waren Kommissariate, Alarmabteilung, Gefangenenhaus, Fahndungsdienst, Sicherheitsbüro, Strafregisteramt, Wahlkatasteramt, Wirtschaftspolizei und Zentralinspektorat. Die Gastschüler lernten den Gendarmeriedienst in Niederösterreich kennen und die Arbeit bei der Bezirkshauptmannschaft Baden. Sie unternahmen Reisen durch Österreich, die Ostschweiz und Norditalien.

Auf Wunsch der Gäste wurde der Studienaufenthalt um ein Jahr verlängert. Im dritten Jahr befassten sich die Chinesen mit Spezialfächern wie Moulagetechnik und Daktyloskopie; sie besuchten Fürsorgeeinrichtungen, Jugendgerichte und ähnliche Institutionen und absolvierten ein Praktikum bei der Wiener Berufsfeuerwehr – in China war die Polizei für die Brandbekämpfung zuständig.

Widmungstafel mit Symbolen

Sieben der zehn chinesischen Polizisten nahmen bei einer Feier am 12. Dezember 1933 in der Marokkanerkaserne Abschied aus Österreich. Der chinesische Geschäftsträger Dekien Toung bezeichnete bei der Abschiedsfeier die Wiener Polizei als "mustergültig für die ganze Welt". Als Gastgeschenk hinterließen die Polizisten eine kunstvoll hergestellte Widmungstafel mit einer Dankesformel, ihren Namen und vier großen chinesischen Schriftzeichen, die die Eigenschaften symbolisieren, die ein Polizist haben sollte – herausragende körperliche und geistige Fähigkeiten, eine entsprechende Erziehung, eine gute Ausbildung sowie die Fähigkeit, diese Eigenschaften in der polizeilichen Praxis umsetzen zu können. Die Tafel lag jahrzehntelang in einer Rumpelkammer in der Marokkanerkaserne. Eine Polizistin rettete das Kunstwerk vor einigen Jahren vor der Entrümpelung und brachte es in das Polizeimuseum Wien.

"Schobern Yu"

Drei der zehn chinesischen Polizisten blieben weitere vier Jahre in Österreich und absolvierten das Jus-Studium an der Universität Wien. Einer von ihnen, Leutnant Yu, nannte sich aus Verehrung nach dem Polizeipräsidenten und Politiker Hans Schober "Schobern Yu". Er wurde stellvertretender Polizeichef in Shanghai und setzte sich nach der Machtübernahme der Kommunisten mit einigen seiner Wiener Kurskollegen nach Taiwan ab. Schobern Yu kam in den 1960er-Jahren wieder nach Österreich – als Vertreter Taiwans bei den UN-Organisationen in Wien.

Polizeimission in China

Die Entsendung der zehn chinesischen Polizisten erfolgte auf Vermittlung von Zhu Jiahua, dem Innenminister der chinesischen Provinz Zhejiang. Er hatte in Berlin studiert und lobte die österreichische Polizei als "die beste der Welt". Zhu engagierte auch Polizeiexperten aus Österreich, um das Sicherheitswesen in China zu reformieren. Im Frühjahr 1928 reiste Gustav von Kreitner nach China, um die Polizei in der Provinz Chekiang zu reorganisieren. Zhu war aber mit dessen Engagement nicht zufrieden und deshalb kehrte Kreitner im Jänner 1929 vorzeitig heim. Über Ersuchen von Zhu entsandte das Bundeskanzleramt die Gendarmerie-Landesdirektoren Karl Schindler und Ferdinand Peinlich sowie Regierungsrat Rudolf Muck nach China. Die drei Beamten erhielten einen Drei-Jahres-Vertrag und versuchten, die Polizei in drei Provinzen zu reformieren. Im Februar 1931 ersuchte Zhu die österreichische Bundesregierung um Entsendung von zwei Experten für Verwaltungsrecht und Verwaltungsorganisation. Die Entsendung kam aber nicht zustande, weil sich das Amt für Auswärtige Angelegenheiten und das Wanderungsamt im Bundeskanzleramt über Formalitäten stritten.

Liebe im Land des Lächelns

Während der Ausbildung der chinesischen Polizisten entwickelte sich eine ungewöhnliche Liebesgeschichte: Die 16-jährige Gertrude Wagner, Tochter eines Oberwachmanns der Waffenmeisterei in der Marokkanerkaserne, verliebte sich in Du Chengrong. Im Dezember 1934 reiste sie nach China und heiratete Du drei Monate später. Er hatte eine hohe Funktion in der Polizei inne. Nach der kommunistischen Machtübernahme 1949 fiel Du als "Konterrevolutionär" in Ungnade. Er wurde eingesperrt, gedemütigt, schwer misshandelt und musste Zwangsarbeit leisten. Gertrude verkaufte ihre Habseligkeiten und arbeitete auf Feldern, um ihre sechs Kinder zu ernähren. 1990, nach dem Tod ihres Mannes, besuchte sie über Einladung des Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk nach 56 Jahren erstmals wieder ihre Heimatstadt. Das Schicksal der Wienerin wurde 2003 unter dem Titel "Am anderen Ende der Brücke" verfilmt. In China gilt Gertrude Du-Wagner als Symbol einer aufopfernden Ehefrau und Mutter. Sie starb wenige Tage vor der Uraufführung des Films. Im Herbst 2012 besuchten fünf ihrer Kinder Wien, die Wohnung ihrer Mutter und Großeltern und das Polizeimuseum Wien, wo sie erstmals Fotos ihres Vaters als jungen Polizisten in Wien sahen.

Polizeimuseum Wien

Das Polizeimuseum Wien in der Marokkanerkaserne im dritten Bezirk wird von der Abteilung I/8 (Protokoll und Veranstaltungsmanagement) des Bundesministeriums für Inneres betreut. Zu den Aufgaben der Abteilung gehören auch die Bereiche Polizeigeschichte und Traditionspflege.

Text: Werner Sabitzer

Von 1931 bis 1933 absolvierten zehn chinesische Polizisten die Polizeiausbildung in der Marokkanerkaserne in Wien.
Foto: ©  Polizeiarchiv Wien
Widmungstafel aus China: Die vier großen chinesischen Schriftzeichen symbolisieren die Eigenschaften, die ein Polizist haben soll.
Foto: ©  BMI/Werner Sabitzer
Die zehn Gäste aus China bei der Polizeiausbildung in einer Schulklasse in der Marokkanerkaserne.
Foto: ©  Polizeiarchiv Wien
Abschied jener drei chinesischen Polizisten, die nach der Polizeiausbildung in Wien auch das Jus-Studium absolvierten.
Foto: ©  Polizeiarchiv Wien

Artikel Nr: 17157 vom Donnerstag, 11. Juli 2019, 10:32 Uhr
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