Interview
Kommunikation, die verbindet
Friedemann Schulz von Thun, einer der bedeutendsten Kommunikationspsychologen, feiert im August 2024 seinen 80 Geburtstag. Er spricht unter anderem darüber, wie Kommunikation in eine stimmige Balance von Menschlichkeit und Professionalität zu bringen sei.
Friedemann Schulz von Thun: „Führungsverantwortung muss auch auf knüppelharte Zumutungen und Ungereimtheiten gefasst sein.“
© Alexander Riedler
Über die Kunst der zwischenmenschlichen Verständigung sprach Oberrat Alexander Riedler, Führungstrainer im Bundesministerium für Inneres, mit einem der führenden Experten auf diesem Gebiet: Friedemann Schulz von Thun. Bekannt für seine wegweisenden Modelle wie das „Kommunikationsquadrat“ oder das „Innere Team“ hat Schulz von Thun unzählige Menschen inspiriert und beim Thema Führung das Strategische, das Fachliche und das Menschliche zusammengeführt: Eine Führungskraft muss mit Menschen umgehen können, muss wissen, wie es ihnen geht und was man ihnen zumuten kann und muss. Gleichzeitig muss eine Führungskraft auch ihre Rolle effektiv auf die Ziele der Organisation ausrichten. Die Kunst dieser Balance und die Kunst, Stimmigkeit im Führungsverhalten zu erreichen, d. h. eine Übereinstimmung zwischen situationsgemäßer Kommunikation und innerer Wahrheit (wie stehe ich dazu, wovon bin ich überzeugt) herzustellen, sind zentrale Leitlinien seiner Lehre. In diesem auf YouTube veröffentlichten Interview gibt Schulz von Thun Einblicke und praktische Ratschläge, wie wir das Miteinander verbessern können. Er spricht von den Grundlagen effektiven Feedbacks über die Herausforderungen digitaler Kommunikation bis hin zu gesellschaftlichen und politischen Themen. Hier Auszüge des Interviews mit Schulz von Thun. Man gelangt mit dem QR-Code zu der Seite, auf der das Gesamtgespräch veröffentlicht wurde.
Sie haben deutlich gemacht, dass es nicht der richtige Weg ist, einen kommunikativen Sonntagsanzug zu lehren. Was meinen Sie damit?
Vor 50 Jahren haben wir damit begonnen, Führungskräften Kommunikationstechniken wie aktives Zuhören und die Verwendung von Ich-Botschaften anstelle von Du-Botschaften beizubringen. Dabei verfolgten wir die Idee eines uniformen Idealverhaltens, das für jeden in jeder Situation angemessen sein sollte. Dieser Ansatz erwies sich jedoch als künstlich und betraf nur die Oberfläche der Kommunikation. Im Nachhinein habe ich das etwas selbstironisch als „kommunikativen Sonntagsanzug“ bezeichnet. Aktives Zuhören ist zweifellos wertvoll und sollte im Repertoire einer Führungskraft vorhanden sein, aber bloß nicht schematisch in jeder Situation angewendet werden. Heute sagen wir: Deine Kommunikation ist gut, wenn sie stimmig ist. Das heißt, wenn sie in Übereinstimmung ist mit deiner inneren Wahrheit und mit dem, was die Situation und ihr Kontext dir abverlangt. Selbstklärung und Systemklärung geht jeder Verhaltensübung voraus. Das bedeutet den Abschied von jeder Verhaltensschablone.
Welche Elemente sollten in modernen Aus- und Fortbildungskonzepten für Führungskräfte besonders berücksichtigt werden?
Das ganze Interview auf YouTube
In unserem Grundkurs zur Kommunikation für Führungskräfte, der üblicherweise dreieinhalb Tage dauert, konzentrieren wir uns auf vier wesentliche Modelle. Erstens, das „Kommunikationsquadrat“, das dieses Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiert und darauf abzielt, Führungskräfte auf allen vier Ebenen der Begegnung kontaktfähig zu machen. Zweitens, das Modell vom „Inneren Team“, das den Zugang zur inneren Wahrheit und zum inneren Menschen fördert, als Grundlage für Selbstklärung und Selbstreflexion. Drittens, das „Werte- und Entwicklungsquadrat“, das individuelle Entwicklungsrichtungen aufzeigt und betont, dass nicht jedem das gleiche Verhalten beigebracht werden sollte. Das vierte Modell ist das „Riemann-Thomann-Modell“, das die Unterschiede zwischen Menschen beleuchtet und die Führungskraft dazu einlädt, sich in Richtung einer „integralen Persönlichkeit“ zu entwickeln.
Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, um sicherzustellen, dass die Werte und Empfehlungen, die in Führungstrainings vermittelt werden, nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern auch nachhaltig in der Praxis umgesetzt werden?
Lippenbekenntnisse können immerhin ein vorläufiger Teil einer persönlichen Entwicklung sein. Oft verkünden wir neue Ideale, bevor wir tatsächlich in sie hineinwachsen. Nach jedem Training findet ein innerer Kampf zwischen „David“, den neuen Ideen und Orientierungen, und „Goliath“, den alten Verhaltensmustern, statt. Um David eine Chance zu geben, müssen Seminare ganzheitlich sein. Es geht darum, nicht nur den Kopf mit Ideen zu füllen, sondern auch Herz, Hand und Fuß mit einzubeziehen. Das bedeutet, dass Selbsterfahrung, Herzensbildung, praktische Übungen und ein systemisches Bewusstsein zusammengeführt werden. Und was einem in der Praxis zu schaffen macht, muss im Seminar Raum einnehmen: Training und Coaching wachsen hier zusammen.
Wie beurteilen Sie den aus der „Positiven Psychologie“ stammenden Ansatz des Positive Leadership in der Mitarbeiterführung?
Ich bin ursprünglich ein Kind der „Humanistischen Psychologie“, die ihrer Natur nach ebenfalls positiv ausgerichtet ist und sich darauf konzentriert, was in einem Menschen Gutes angelegt ist und darauf wartet, entdeckt und entwickelt zu werden – und wie er ein erfüllteres Leben führen kann. Neuere Bestrebungen der „Positiven Psychologie“ akzentuieren diesen Ansatz und bieten neue Modelle auch speziell für Führungskräfte. Da spielen positive Emotionen, tragfähige zwischenmenschliche Beziehungen und die Sinnhaftigkeit der Arbeit eine entscheidende Rolle. Damit weist der Kompass für eine sachlich und menschlich produktive Führungskultur in eine sehr gute Richtung. Allerdings bleibt im Auge zu behalten, dass Führungsverantwortung auch auf knüppelharte Zumutungen und Ungereimtheiten gefasst sein muss. Dann braucht es mehr als einen guten Kompass, um durch stürmische See zu navigieren.
Wie kann man mit Hilfe Ihres Modells des „Inneren Teams“ innere Klarheit erreichen und welchen Einfluss hat die innere Teamaufstellung auf die Kommunikation?
Die Erkenntnis, dass der innere Mensch für eine erfolgreiche Kommunikation entscheidend ist, war ein wichtiger Wendepunkt in meiner Arbeit. Soziale Kompetenz hat eine Innenseite. Wie kann meine Aktion und Reaktion in kritischen Momenten stimmig werden? Dazu wird es verschiedene und oftmals konträre innere Wortmeldungen geben – und sie sind (fast) alle nicht dumm. Jetzt kommt es darauf an, sie zu identifizieren und ihre Botschaft zu verstehen. Wer sich übergangen fühlt, wird sich rächen – wie im realen Team. Und dann geht es darum, Ordnung in das innere Durcheinander zu bringen und nach einer Lösung zu suchen, die alle gutheißen und unterstützen können. Wer die innere Pluralität akzeptiert und mit ihr umgehen kann, verbessert nicht nur die Kommunikation, sondern trifft auch fundiertere Entscheidungen. Und um in schwierigen Situationen „gut aufgestellt“ zu sein, können wir bewusst entscheiden, wen aus dem „Inneren Team“ wir in die „Mannschaft“ mit hineinnehmen, und wen wir besser zuhause lassen.
Friedemann Schulz von Thun: „Das ,Kommunikationsquadrat’ zielt darauf ab, Führungskräfte auf allen vier Ebenen der Begegnung kontaktfähig zu machen.“
© Privat
Nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen?
Ja, das ist natürlich der Fall. Also ich habe manchmal scherzhaft gesagt, ein guter Profi hat alles im Griff – und ein Stück weit auch sich selbst …
Inwieweit hat die digitale Kommunikation, insbesondere auch Social Media, Ihre Modelle und Denkfiguren beeinflusst?
Die Herausforderungen der Kommunikation in digitalen Umgebungen, wie z. B. bei Zoom-Meetings, machen unsere Kommunikationsmodelle noch wichtiger. In physischen Begegnungen reichen oft nonverbale Signale wie ein kleines Lächeln oder ein Blickkontakt, um eine Verbindung herzustellen oder um anzudeuten, wie eine Botschaft gemeint ist. In virtuellen Räumen, wo jeder nur eine kleine „Briefmarke“ auf dem Bildschirm ist, muss ich die vier Seiten der Kommunikation (Sachinformation, Selbstkundgabe, Beziehungshinweis und Appell) deutlich expliziter machen, damit eine stimmige Atmosphäre entstehen kann: was ich sachlich zu sagen habe, wie ich persönlich dazu stehe, wie ich dich/euch einschätze oder empfinde, und was genau ich von dir, von euch will.
Die Gesellschaft polarisiert sich, insbesondere bei bestimmten Reizthemen. Wie kann Kommunikation dazu beitragen, diese schädliche Polarisierung in zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch in der Gesellschaft insgesamt abzubauen?
Ja, kann sie wirklich einen wesentlichen Beitrag leisten? Ich fürchte, er ist nur klein.
Aber alles ist Kommunikation?
Friedemann Schulz von Thun: „Jedes Dilemma lädt zur Polarisierung ein, weil zwei unabdingbare, aber schwer vereinbare Imperative aufeinander treffen.“
© Alexander Riedler
Da haben Sie auch wieder recht! Unser Leben auf diesem Erdball steht und fällt mit gelingender Verständigung – im Kleinen wie im Großen. Insofern hängt viel davon ab, wie wir miteinander reden. Mein zentraler Gedanke in Hinblick auf Polarisierungen in der Gesellschaft ist folgender: Politik hat kaum jemals die Chance, Probleme zu lösen, sondern viel öfter die verzwickte Aufgabe, Dilemmata zu gestalten. Jedes Dilemma lädt zur Polarisierung ein, weil zwei unabdingbare, aber schwer vereinbare Imperative aufeinander treffen. Und sogleich fühlen sich die einen mehr dem Imperativ 1 verpflichtet, den anderen ist der Imperativ 2 heilig. Auch der Weg einer guten Führung ist mit Dilemmata gepflastert – ruckeliges Kopfsteinpflaster. Dies setzt uns unter erheblichen Stress, da jede Entscheidung unweigerlich auch Nachteile und negative Konsequenzen mit sich bringt – für die wir dann verantwortlich gemacht und kritisiert – und nicht selten auch diffamiert und angefeindet werden. Damit eine Polarisierung schlussendlich nicht toxisch wird, sondern eine Wahrheit und eine Lösung hervorbringt, die zu zweit beginnt, braucht es einen guten Dialog, eine gute Debattenkultur.
Dilemmabewusste Kommunikation?
Ja, dilemmabewusste Kommunikation hat mehrere Teile und fängt damit an, dass ich meinen Standpunkt klar vertrete – wie etwa das Eintreten für eine entschiedene Nothilfe der Ukraine mithilfe schwerer Waffen, damit sie sich ihrer Haut wehren kann gegen einen ruchlosen Aggressor. Sogleich aber konzediere ich dem pazifistischen Meinungsgegner, dass er recht hat mit seinem Hinweis auf die Eskalationsgefahr und auf die traurige Tatsache, dass infolgedessen der Kampf und die Vernichtung weitergehen und täglich hunderte junge Menschen sterben. Und drittens würdige ich die unbedingte Friedenssehnsucht des Meinungsgegners und sein Drängen auf diplomatische Initiativen. Jedoch viertens weise ich ihn auf die große Gefahr hin, dass seine Friedenstaube dem Ruchlosen das Feld überlässt und der Gewalttätigkeit einen Triumph beschert – mit allen weiteren Folgen für Europa und diesen Erdball. Und dann kann fünftens ein Dialog darüber beginnen, wie das Schwert und die Friedentaube ein Team werden können, die zu zweit der Herausforderung besser gerecht werden als jede(r) für sich allein. Die Verheißung eines solchen dilemmabewussten Dialogs ist eine zweifache: Auf der Sachebene die Chance auf eine bessere integrale Lösung, auf der menschlichen Ebene die Chance, dass aus Gegnern keine Feinde, sondern Ergänzungspartner werden, auf der Basis respektvoller Würdigung und Empathie bei ursprünglicher oder anhaltender Uneinigkeit.
Zur Person
Prof. Dr. Dr. hc. Friedemann Schulz von Thun, einer der bedeutendsten Kommunikationspsychologen, feiert im August 2024 seinen 80. Geburtstag. Nach seiner Promotion an der Universität Hamburg, wo er später als Professor für Psychologie tätig war, wurde er vor allem durch sein Modell der „vier Seiten einer Nachricht“ bekannt.
2024 jährt sich zum 50. Mal die Veröffentlichung dieses Modells. Das auch als „Kommunikationsquadrat“ bekannte Modell veranschaulicht, wie Äußerungen auf vier Ebenen verstanden werden können: der Sachinhalts-, Selbstkundgabe-, Beziehungs- und Appell-Ebene. Dieses Konzept sowie weitere Modelle und Theorien, darunter seine Stimmigkeitslehre, finden breite Anwendung in der psychologischen Beratung und in der Aus- und Fortbildung von Fach- und Führungskräften.
Über seine akademische Laufbahn hinaus hat Schulz von Thun zahlreiche Bücher und Artikel zu Themen der zwischenmenschlichen Kommunikation und des Selbstmanagements verfasst. Für seine Beiträge zur Psychologie und Kommunikation wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der Ehrendoktorwürde der Universität St. Gallen. Auch im Ruhestand ist Schulz von Thun gefragt und teilt sein Wissen und seine Erfahrung in Vorträgen und Workshops unter dem Dach des Schulz-von-Thun-Instituts für Kommunikation in Hamburg.
www.schulz-von-thun.de
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2024
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