Bundesstelle für Sektenfragen
Esoterik, Endzeit, Coaching
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesstelle für Sektenfragen waren 2024 am häufigsten mit Anfragen zu Esoterik, Angeboten mit christlichem Hintergrund und Coaching-Angeboten befasst.
In einigen Online-Coachings werden Frauen als intellektuell und körperlich unterlegen dargestellt
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Laut dem Tätigkeitsbericht der Bundesstelle für Sektenfragen war das Jahr 2024 von neuen Formen ideologischer Einflussnahme sowie einer verstärkten digitalen Präsenz potenziell gefährdender Akteurinnen und Akteure geprägt. Die Bundesstelle analysierte diese Entwicklungen in einem Bericht mit Blick auf individuelle Gefährdungen und deren Auswirkungen auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Grundhaltungen. Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Beobachtung weltanschaulicher Strömungen, eine beständige Weiterentwicklung der fachlichen Instrumente sowie eine Stärkung interdisziplinärer Kooperationen.
Online-Coaching.
Die Analyse der Anfragen, fachlicher Diskurse und digitaler Selbstdarstellungen zeigt 2024 eine zunehmende Präsenz von Akteurinnen und Akteuren, die gezielt frauenfeindliche, queerfeindliche oder verschwörungstheoretische Inhalte verbreiten. Am problematischsten zeigt sich das in Online-Coaching-Formaten, die Haltungen von tradierten Rollenbildern bis zu offen misogynen Weltbildern propagieren. Einige Angebote sind durch gewaltverherrlichende und antifeministische Aussagen aufgefallen.
Esoterik.
Beispielhaft für esoterische Aktivitäten im digitalen Raum dokumentiert die Bundesstelle den Auftritt eines in der Schweiz ansässigen „Geistheilers“, der über diverse Kanäle düstere esoterische Botschaften und Verschwörungstheorien verbreitet und mit seinen Fernheilungsangeboten eine wachsende Anhängerschaft gewinnt.
Shincheonji.
Internationale Dynamiken zeigen sich in verstärkten Missionierungsbestrebungen durch Gruppen wie Shincheonji, eine südkoreanische Organisation mit starker Präsenz im deutschsprachigen Raum. Die Rekrutierung erfolgt häufig unter dem Vorwand kostenloser Bibelkurse und zeigt eine Tendenz zur Verschleierung der Gruppenzugehörigkeit. Die „Shincheonji-Kirche von Jesus, der Tempel der Hütte des Zeugnisses“, setzt sich zusammen aus den Zeichen „Shin“ = „neu“, „Cheon“ = „Himmel“ und „Ji“ = „Erde“ und bedeutet „Neuer Himmel und neue Erde“. Der Gründer und Führer der 1984 entstandenen Organisation ist der 94-jährige Man-Hee Lee, der sich als Endzeitpastor und Prophet Gottes versteht. Die Gläubigen sind überzeugt, in der Endzeit zu leben und zu den Auserwählten eines neuen Himmels und einer neuen Erde zu gehören. Als weltweite Mitgliederzahl wird 200.000 bis 300.000 genannt, Tendenz steigend.
Scientology.
Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt lag auf der Gefährdung durch weltanschauliche/religiöse Anbieterinnen und Anbieter in der Suchtprävention, insbesondere durch die Aktivitäten der Scientology-Vorfeldorganisation „Sag Nein zu Drogen“. Die Bundesstelle erarbeitete in Kooperation mit dem Institut für Suchtprävention eine kritische fachliche Stellungnahme, die die inhaltlichen Mängel und Risiken dieser Angebote aufzeigt. Das Institut für Suchtprävention beurteilte die Lehrmaterialien aus fachlicher Sicht als nicht wissenschaftlich fundiert, inhaltlich nicht korrekt, ineffektiv im Sinne der Suchtprävention und teilweise schädlich durch die Vermittlung irreführender Botschaften über Substanzkonsum. Es folgten bundesweite Informationsaussendungen und Gespräche mit zuständigen Behörden.
Neopaganismus.
Weltanschauliche Strömungen, die vorchristliche Religionen zum Zentrum ihrer religiösen Praxis nehmen, zum Beispiel mit dem Aufgreifen alter germanischer oder keltischer Traditionen, werden unter dem Begriff Neopaganismus bzw. der deutschsprachigen Bezeichnung Neuheidentum zusammengefasst. Neopaganismus beschäftigte bisher beispielsweise im Zusammenhang mit der Anastasia-Bewegung die Bundesstelle für Sektenfragen. Bei dieser handelt es sich um eine rechtsesoterische Strömung, die laut dem Theologen und Religionswissenschaftler Vladimir Martinovich „pseudowissenschaftliche, neuheidnische, spiritistische, verschwörungstheoretische sowie völkische und nationalistische Elemente aufnimmt, in einer neuen Ordnung zusammenfügt und die Grundlage einer neuen ,Glaubenslehre‘ darstellt. Entsprechende Strömungen sind äußerst vielfältig und reichen von spirituellen Selbsterfahrungsangeboten über germanisch inspirierte Nähkurse bis hin zu esoterisch-ökologischen Lebenskonzepten.
Verschwörungstheorien.
Ein zentrales Arbeitsfeld war das Online-Monitoring zu Verschwörungstheorien, das in einem vom Bundeskanzleramt finanzierten Forschungsprojekt systematisch entwickelt wurde. Im Fokus stand die Analyse der Telegram-Kanäle der österreichischen Covid-19-Protestbewegung, deren Inhalte in manchen Subgruppen nach wie vor starke demokratie- und menschenfeindliche Tendenzen aufweisen. Der erste Monitoring-Bericht, veröffentlicht im April 2024, zeigte, dass verschwörungstheoretische Narrative wie „Great Reset“, „QAnon“ oder antisemitische Stereotype weitreichend verbreitet werden. Die Veröffentlichung der Ergebnisse stieß auf breites Interesse in den Medien, bei Forschungseinrichtungen sowie staatlichen Stellen und führte zu Anfragen, Berichten und Kooperationen.
Glaubensfreiheit versus Kindeswohl.
Auch das Spannungsfeld zwischen Glaubensfreiheit und Kindeswohl entwickelt sich als wachsender Themenbereich. In zahlreichen Beratungsfällen zeigte sich, dass Kindeswohlgefährdungen häufig subtiler Natur sind – etwa durch rigide Rollenbilder, Zwangsrituale, Isolation, Verweigerung von Bildung oder medizinischer Hilfe. Die Bundesstelle initiierte interdisziplinäre Vernetzungen und entwickelte Fortbildungsformate zum Schutz von Kindern in weltanschaulich geprägten Kontexten.
Sommercamps.
Bei privater Sommerbetreuung durch religiöse oder weltanschauliche Angebote zeigt sich manchmal das Problem fehlender Transparenz hinsichtlich der vermittelten Inhalte: Hinter scheinbar neutralen Freizeitaktivitäten verbergen sich mitunter missionarische Absichten oder ideologisch geprägte Programme, die nicht immer offengelegt werden. Es wurde zum Beispiel berichtet, dass Kinder im Anschluss an ein Ferienlager einen Schwur als „Soldat Gottes“ ablegen mussten und angehalten wurden, Klassenkameradinnen und -kameraden zu missionieren. Es werden auch Beschwerden über mangelhafte oder fragwürdige pädagogische Grundlagen vorgebracht.
Die Bundesstelle für Sektenfragen und die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien sprechen sich für eine verbindliche Qualitätssicherung und regelmäßige Evaluierung solcher Angebote aus, um Kinderrechte und Kinderschutz in privat organisierten Ferienprogrammen besser zu gewährleisten.
Neue Herausforderungen.
Ein neues Phänomen, das besonders Kinder und Jugendliche gefährdet, ist das sektenartig aufgebaute Online-Netzwerk „764“, bestehend aus extrem gewaltbereiten und sadistischen Personen, die weltweit agieren und online Zellen bilden. Die oft jungen Täterinnen und Täter suchen Opfer auf Spieleplattformen und in Social Media und täuschen mittels „Love-Bombing“ Freundschaft vor, um sie dazu zu verleiten, sexuelle Inhalte wie Bilder oder Videos anzufertigen und zu übermitteln. Damit werden die Opfer erpresst (Sextortion) und zu Selbstverletzungen, kriminellen und sadistischen Handlungen und in manchen Fällen zum Suizid gebracht.
Anfang Juli dieses Jahres wurde in Hamburg ein 20-Jähriger festgenommen, der im Täternetzwerk zentral sein soll. Ihm wird vorgeworfen, 2022 einen 13-Jährigen aus den USA in den Suizid getrieben zu haben. Von der Bundesstelle erfolgte heuer im März eine Information über dieses Phänomen mit Handlungsempfehlungen an Bildungsdirektionen und andere wichtige Stakeholder im Kinder- und Jugendschutzbereich.
Kontakt.
Bundesstelle für Sektenfragen, Wollzeile 12/2/19, 1010 Wien, Telefon: + 43/ (0) 1/ 513 04 60, E-Mail: bundesstelle@sektenfragen.at, bundesstelle-sektenfragen.at
Claudia Adler
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2025
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