Amoklauf in Graz
Belastender Einsatz
Ein 21-Jähriger erschoss am 10. Juni 2025 im BORG Dreierschützengasse in Graz zehn Menschen. Der Einsatz war für die Polizistinnen und Polizisten belastend. Psychologische Hilfe erhielten sie von Kolleginnen und Kollegen aus dem Peer-Support.
Das BORG Dreierschützengasse in Graz war Ziel eines Amoklaufs
© Florian Huber / LPD Steiermark
Der 21-Jährige betrat um 9.43 Uhr mit einem Rucksack, in dem sich seine Waffen und Munition befanden, den Haupteingang des BORG Dreierschützengasse, ging in eine Toilettenanlage im dritten Stock und stattete sich dort aus. Dann startete er einen siebenminütigen Amoklauf. „Zu dem Zeitpunkt befanden sich 350 bis 400 Schülerinnen und Schüler in dem Gebäude“, berichtet Michael Lohnegger, Leiter des Landeskriminalamts Steiermark. Der bisher noch nie polizeilich in Erscheinung getretene Mann aus dem Bezirk Graz-Umgebung schoss mit einer Glock 19 und einer abgesägten Schrotflinte wahllos auf Menschen. Er tötete neun Schüler und eine Lehrerin. Diese war dem Steirer bekannt. Die Frau hatte ihn unterrichtete. Er hatte vor drei Jahren die Schule abgebrochen, nachdem er die sechste Klasse wiederholen musste.
Um 10.06 Uhr kam die erste Polizeistreife. Die Beamten hörten keine Schüsse mehr. Der Täter hatte laut Lohnegger ausreichend Munition und hätte sein Vorhaben noch viel länger ausführen können. Laut Zeugenaussagen soll er das Folgetonhorn der Polizeistreife gehört haben. Er ging zurück zu der Toilettenanlage und beging Suizid. Neben den neun getöteten Schülern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, ist eine Lehrerin, die kurz vor der Pensionierung stand, im Krankenhaus erlegen. Elf Personen im Alter von 15 bis 26 Jahren waren verletzt worden.
Abschiedsbrief.
Nachdem die Identität des 21-Jährigen festgestellt worden war, wurde eine Hausdurchsuchung an seiner Wohnadresse durchgeführt. Die Ermittler fanden einen Abschiedsbrief und ein Abschiedsvideo. Darin entschuldigte er sich bei seiner Familie für die Tat – Anhaltspunkte für ein Motiv fehlten. Bei der Hausdurchsuchung fanden die Ermittler eine Rohrbombe, die zwar über alle notwendigen Komponenten verfügte, jedoch nicht funktionsfähig war, sowie offenbar verworfene Pläne für einen Sprengstoffanschlag. Handschriftliche Aufzeichnungen zeigten, dass der Tatablauf bis ins kleinste Detail geplant war.
Ein nahestehender Freund des Burschen meldete sich bei der Polizei und gab an, dass es sich bei dem 21-Jährigen um einen introvertierten und zurückgezogenen Menschen handelte, dessen Leidenschaft es war, Ego-Shooting-Spiele zu spielen. Sein privates Umfeld gab an, dass er keinen Ärger über sein schulisches Umfeld geäußert habe. Ab März 2025 soll er Schießübungen mit einer Leihwaffe bei einem Schützenverein durchgeführt haben. Anfang April 2025 kaufte er die Schrotflinte bei einem Waffenhändler in Graz, Ende Mai 2025 erwarb er die Pistole bei einem anderen Waffenhändler. Mitte Mai 2025 erhielt er seine Waffenbesitzkarte. Das dafür notwendige psychologische Gutachten erhielt er im März 2025.
Ermittlungsgruppe.
Für die Ermittlungen zur Tat wurde im Landeskriminalamt Steiermark eine Ermittlungsgruppe eingerichtet, unter der Leitung von Michael Lohnegger. Opfer und Zeugen wurden befragt, Anknüpfungspunkte des Täters überprüft, Hinweise bearbeitet und Videos ausgewertet. Außerdem wurde überprüft, ob der mutmaßliche Einzeltäter im Vorfeld der Tat unterstützt worden war.Die Polizei stellte eine Upload-Plattform für Videos und Fotos von Zeugen bereit. Auf dieser sei bereits eine Menge an Material eingelangt, darunter Videos aus den Klassenräumen.
Peer-Support.
Kolleginnen und Kollegen des Peer- Supports des BMI helfen Einsatzkräften der Polizei, die psychische Belastung zu verarbeiten
© Bernhard Elbe
Einsätze wie jene in Graz können für Exekutivbedienstete eine psychische Belastung sein. Um den Polizistinnen und Polizisten rasch Unterstützung anbieten zu können, werden im Falle besonderer Lagen, bei Kriseneinsätzen, nach lebensgefährlichen Schussabgaben durch Exekutivbedienstete – oder bei individuellem Bedarf – die Kolleginnen und Kollegen des Peer-Support aktiv.
Der Peer-Support ist – österreichweit – ein Pool aus insgesamt rund 130 Beamtinnen und Beamten mit exekutivem Hintergrund, die in psychologischer Erster Hilfe ausgebildet sind, einige sind Psychologinnen und Psychologen. Wichtig ist, dass es Personen aus den eigenen Reihen sind, die einen sehr ähnlichen Erfahrungshorizont und Zugang zu den erlebten Ereignissen haben.
Die Peers werden von Psychologen in vierwöchigen Kursen ausgebildet, mit jährlichem Erfahrungsaustausch. Elisabeth Schneider vom Psychologischen Dienst des Innenministeriums leitet den Peer-Support: „Ereignisse wie jenes in Graz können für die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten aus mehreren Gründen psychisch belastend sein: zum einen, weil die ersteintreffenden Kolleginnen und Kollegen noch mit einer unklaren Bedrohungslage konfrontiert waren. Dann haben die Einsatzkräfte viele Verletzte und Getötete gesehen und schließlich hatten sie die Aufgabe, den Angehörigen Todesnachrichten zu überbringen“, erklärt Schneider. „Die Reaktionen auf all diese Umstände können ganz unterschiedlich sein. Manche Einsatzkräfte brauchen nur Ruhe, um es zu verarbeiten, andere stellen schon recht bald fest, dass sie manche Bilder und Eindrücke nicht so leicht loswerden, beispielsweise weil eines der Opfer ähnliche Kleidung, wie das eigene Kind trug und damit ganz persönliche Betroffenheit entsteht. Die Gründe können so individuell sein, wie die Menschen selbst.“
In Graz waren 35 Peers und psychosoziale Fachkräfte aus verschiedenen Landespolizeidirektionen, Bildungszentren und dem Bundesministerium für Inneres im Einsatz. Zwölf weitere haben telefonisch die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten kontaktiert.
„Unser Ziel ist es, rasch Hilfe anzubieten, damit niemand mit dem Erlebten allein gelassen wird. Solange der Einsatz läuft, haben die Kolleginnen und Kollegen andere Aufgaben, das ist uns klar, daher beginnt unsere Arbeit erst, wenn die Lage geklärt und die Örtlichkeit sicher ist. Auch dann zwingen wir niemandem unser Angebot auf – aber wir bieten es aktiv allen betroffenen Bediensteten an. Im Falle von Graz haben wir über 490 Kolleginnen und Kollegen kontaktiert. Einige von ihnen wollten gleich, in Gruppen oder bilateral, über die Eindrücke sprechen, andere erst später – manche gar nicht. Alles ist in Ordnung, solange es den Kolleginnen und Kollegen hilft. Wenn Polizistinnen und Polizisten mehr psychologische Unterstützung brauchen, helfen wir auch, diese weiterzuvermitteln.“
Maßnahmenpaket.
Die Bundesregierung beschloss im Ministerrat ein Maßnahmenpaket als Reaktion auf die Amoktat am Grazer BORG Dreierschützengasse. Der Fokus lag dabei auf der Unterstützung der Opfer und Hinterbliebenen, dem Schutz von Schulen, einer Anpassung des Waffenrechts, dem Ausbau präventiver Angebote für Jugendliche sowie medienrechtlichen Anpassungen.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2025
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