Cybercrime-Bekämpfung
Cybercrime-Training für Ermittler
Im Zuge der Kriminaldienstreform werden Cybercrime-Training-Centers (CCTC) in allen Bundesländern eingerichtet. Das erste Cybercrime-Training-Center ging am 14. Juni 2024 in Oberösterreich in Betrieb.
Polizeiinspektion Steyregg, Oberösterreich: Eine verzweifelte Mutter stürmt mit ihrem weinenden Kind in die Dienststelle. Sie berichtet, dass Unbekannte ein schockierendes Deepfake-Video mit dem Gesicht ihrer Tochter erstellt haben. Die Drohung ist unmissverständlich: Das Video wird an alle Kontakte ihrer Tochter auf TikTok und Instagram gesendet, wenn nicht innerhalb von 24 Stunden 0,3 Bitcoin überwiesen werden. Mit zitternden Händen überreicht sie ein iPad, auf dem die erpresserische E-Mail und die Zugangsdaten zu den sozialen Medien zu sehen sind. Die anwesenden Polizistinnen und Polizisten blicken sich an… das Video stoppt. „Was ist jetzt zu tun?“ Diese Frage richtet der Trainer im neuen Cybercrime-Training-Center an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Der im Video simulierte Sachverhalt ist nur eines von insgesamt 50 Übungsszenarien, die die Polizistinnen und Polizisten auf die neuen Herausforderungen im Bereich Cybercrime vorbereiten.
Eröffnung des Piloten.
Im August 2023 beauftragte Innenminister Gerhard Karner die Umsetzung des Konzeptes für das erste von insgesamt neun geplanten Cybercrime-Training-Centern (CCTC) in Österreich. Am 14. Juni 2024 wurde das Pilot-CCTC in der Landespolizeidirektion Oberösterreich eröffnet. Diese Fortbildungseinrichtungen, die organisatorisch in das jeweilige Landeskriminalamt eingegliedert sind, stellen einen bedeutenden Schritt in der kriminalpolizeilichen IT-Fortbildung dar. Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, betont: „Durch die innovativen Cybercrime-Training-Center halten wir unsere Polizistinnen und Polizisten in den Bereichen IT-Forensik und Cybercrime-Ermittlungen auf dem neuesten Stand. Dies ist nicht nur ein Beitrag zur Aufklärung von Straftaten, sondern auch eine Maßnahme, um das hohe Vertrauen der Bevölkerung in unsere Polizei weiter zu festigen.“
Eine Antwort auf die wachsenden Herausforderungen.
Die digitale Welt entwickelt sich rasant, und mit ihr die Methoden und Techniken der Kriminellen. Cyber-Kriminalität stellt weltweit eine der größten Herausforderungen für die Strafverfolgungsbehörden dar. Ob Internetbetrug, Phishing, Ransomware-Attacken, Datenklau oder gezielte Cyber-Angriffe – die Palette der Bedrohungen ist breit gefächert und erfordert spezialisierte Fähigkeiten, um effektiv und effizient dagegen vorgehen zu können. Diese neue Investition in die IT-Kompetenzvermittlung basiert auf der empirisch festgestellten Notwendigkeit, Polizistinnen und Polizisten auf allen Ebenen mit grundlegenden Kenntnissen auszustatten und gleichzeitig vermehrt Spezialisten auszubilden. Das innovative Konzept des Cybercrime-Training-Centers ist jedoch nur ein Puzzlestück eines umfassenden Maßnahmenbündels, das im Zuge der Kriminaldienstreform umgesetzt wird.
Das CCTC für jeden Polizisten.
Das CCTC bietet ein umfassendes Fortbildungsprogramm, das in verschiedene Module unterteilt ist. Das Grundmodul umfasst 32 Unterrichtseinheiten und ist für jeden Polizeibediensteten zugänglich. Es vermittelt ein grundlegendes Verständnis für relevante Technologien und Angriffswege. Dieses Basiswissen ist entscheidend, um bei der Aufnahme von Anzeigen die richtigen Fragen zu stellen, digitale Beweismittel zu sichern und dem digitalen Fingerabdruck im Netz effektiv zu folgen.
Neben dem Grundmodul bietet das CCTC zwei Aufbaumodule an: Digitale Auswertungen und IT-Netzwerkermittlungen, die sich an alle Bediensteten im Kriminaldienst richten. Darüber hinaus ist das CCTC bereits auf die beschleunigte dezentrale Ausbildung von IT-Forensikern und Cybercrime-Ermittlern durch interne Experten aus dem Cybercrime-Competence-Center (C4) des Bundeskriminalamtes und externe Spezialistinnen und Spezialisten vorbereitet. Dank der modernen multimedialen Ausstattung und der Möglichkeit einer einfachen Funktionalitätsanpassung bildet das Cybercrime-Training-Center auch eine leistungsfähige Plattform für zukünftige Einsatzformen.
Nachhaltige praxisnahe Fortbildung.
Ein Schwerpunkt liegt auf der praxisorientierten Fortbildung. Durch Simulationen und Fallstudien werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf realistische Szenarien vorbereitet, was es ihnen ermöglicht, im Ernstfall schnell und kompetent zu handeln. Anstelle traditioneller Vorlesungen setzt man auf ein pädagogisch wertvolles „Hands-on“-Training, das den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erlaubt, reale Ermittlungsmethoden in Kleingruppen und mit der Unterstützung der Trainerinnen und Trainer praktisch zu üben.
Zur nachhaltigen Wissenssicherung wurde ein CCTC-Share-Point eingerichtet, der die Unterlagen und Lösungen zu den geübten Szenarien bereitstellt. So können die Bediensteten im Ernstfall stets auf aktuelle Handlungsanleitungen zurückgreifen. Theorie, Praxis, Übung und Nachbetreuung vereinen sich in dieser modernen Fortbildungseinrichtung.
Zusammenarbeit und Trainerteam.
Die Schulungen im CCTC werden von Ermittlerinnen und Ermittlern aus der Praxis durchgeführt. Für das Grundmodul wurde ein Trainerteam von 45 Personen gebildet, die für die kurzen Trainingszeiträume vom regulären Dienst freigestellt werden. Diese Trainerinnen und Trainer kommen überwiegend aus dem Landeskriminalamt und den Reihen der IT-Forensiker der Bezirke.
Dank der in den Bezirken tätigen Ausbilderinnen und Ausbildner ist das CCTC eng mit den Polizeiinspektionen verbunden und stellt so einen zielgruppengerechten Fortbildungsbetrieb sicher. Für eine einheitliche Durchführung des Grundmoduls wurde ein Trainerhandbuch zum Curriculum erarbeitet. Zur laufenden Weiterentwicklung und Sicherstellung eines österreichweit einheitlichen Schulungsbetriebes sind die Leiter der CCTCs unter der inhaltlichen Koordination des Bundeskriminalamtes (Büro 1.2 – „Kriminalpolizeiliche Aus- und Fortbildung“) verantwortlich.
Infrastruktur und technische Ausstattung.
Das CCTC im Landeskriminalamt Oberösterreich beeindruckt mit modernster Technologie und einer hervorragenden Ausstattung, die in enger Abstimmung mit unterschiedlichen Organisationseinheiten wie der Bundespolizeidirektion oder der Direktion Digitale Services implementiert wurde. Der klimatisierte Schulungsraum bietet Platz für bis zu 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie zwei Trainer bzw. Trainerinnen, was optimale Lernbedingungen schafft. Besonders spannend ist der zusätzliche IT-Szenarienraum, in dem realistische Übungen wie Hausdurchsuchungen mit IT-Schwerpunkt eingeübt werden. Hier trifft man auf Smart-Home-Equipment und zahlreiche vernetzte Geräte (IoT), die ein tiefes Verständnis der Chancen und Gefahren moderner Technologien sowie der vielfältigen Angriffs- und Ermittlungsmöglichkeiten fördern. Technologische Entwicklungen werden anhand von in Einzelteile zerlegten historischen Geräten im oberösterreichischen CCTC-Schauraum ausgestellt. Parallel zum aufgenommenen Schulungsbetrieb werden die Infrastruktur, die Lehrinhalte und der pädagogische Ansatz evaluiert, um die hierbei gewonnenen Erkenntnisse bei der Errichtung der weiteren CCTCs einfließen zu lassen.
Zusammenarbeit und Wissensaustausch.
Neben der kriminalpolizeilichen Fortbildung ist das CCTC eine lebendige Plattform für den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Behörden und privaten Unternehmen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Fortbildungsinhalte in einem dynamischen Spannungsverhältnis zwischen praktischer Polizeiarbeit und dem neuesten Stand von Technik und Wissenschaft stehen.
Alexander Riedler
Der Autor Alexander Riedler war im Rahmen der Kriminaldienstreform des Bundeskriminalamtes Leiter der Arbeitsgruppe Cybercrime im Bereich Land/Bezirk. Das hier vorgestellte CCTC war Teil eines integral vernetzten empfohlenen Maßnahmenpakets.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2024
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