Suchtmittelbericht 2023
Cannabis, Kokain, Heroin
Die Zahl der angezeigten Suchtmitteldelikte stieg nach der Covid-19-Pandemie 2023 weiter an. Kontrollen, Schwerpunktaktionen und Ermittlungen zu Kryptomessenger-Diensten trugen zum Anstieg der Zahl der Anzeigen bei.
Ermittler der Landeskriminalämter Wien und Niederösterreich forschten im April 2023 eine aus Österreichern, Serben, Kroaten und Tschechen bestehende Tätergruppe aus, die in zwei etwa 2.000 Quadratmeter großen Hallen südlich von Wien Cannabispflanzen angepflanzt und weiterverkauft haben sollen. Sie stellten eine Tonne Cannabis sicher, deren Marktwert sich auf 4,2 Millionen Euro belaufen soll. Bei 16 durchgeführten Hausdurchsuchungen wurden 13 Festnahmen vollzogen und Bargeld in der Höhe von 292.000 Euro sichergestellt.
„Normalerweise finden wir über das ganze Jahr verteilt im Schnitt zwei Tonnen Cannabis“, sagt Daniel Lichtenegger, Leiter des Büros zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt. Laut Lichtenegger sei die Aufzucht einer derart großen Menge an Cannabis aufwendig. Lüftungsanlagen, Wasseraufbereitung und Heizlampen würden immens viel Strom benötigen. Wenn in einem Haus oder einem Gebäude der Stromverbrauch plötzlich ansteige, könne das ein Hinweis sein, denn oft würden Kriminelle den benötigten Strom vom Nachbarn abzapfen, erklärt Lichtenegger. Auch der Geruch der Hanfpflanzen führe die Ermittler oft auf die richtige Spur.
Anzeigen.
Ermittler der Landeskriminalämter Wien und Niederösterreich stellten Cannabis sicher, dessen Marktwert sich auf 4,2 Millionen Euro belaufen soll © LKA Wien
Während die Zahl der Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz 2014 bis 2019 kontinuierlich stieg, sank die Zahl der Anzeigen während der Covid-19-Pandemie 2020 und 2021. Das wurde in den Medien fälschlicherweise oft als Rückgang der Suchtmittelkriminalität interpretiert. Vielmehr hatten sich Hersteller, Verkäufer und Konsumenten an die außergewöhnliche Situation während der Pandemie angepasst: Die Drogen wurden vermehrt im Internet oder Darknet bestellt und mit Postdienstleistern versandt.
2023 wurden 35.445 Anzeigen verzeichnet – um 516 (+ 1,5 %) mehr als 2022. Die Zahl der Vergehen, die einen Strafrahmen von unter drei Jahren Freiheitsstrafe vorsehen, stiegen im Vergleich mit 2022 um 470 (+1,5 %), Verbrechenstatbestände um 46 (+1,6 %) Anzeigen. Dies lässt sich neben der erhöhten Kontrolldichte auch damit begründen, dass 2022 im Bereich der schweren Suchtmittelkriminalität zahlreiche Ermittlungsfälle begonnen und erst 2023 abgeschlossen und statistisch erfasst werden konnten.
Sicherstellungen.
2023 waren bis auf den Rückgang an Sicherstellungen bei Heroin und Amphetamin ansonsten nur teils hohe Anstiege zu verzeichnen gewesen. Der Straßenhandelswert der sichergestellten Suchtmittel ist bei gleichbleibenden Straßenhandelspreisen von 34,5 Millionen (2022) auf 44,5 Millionen Euro gestiegen.
Täter.
21.134 Anzeigen wurden 2023 gegen inländische Verdächtige erstattet – um 369 mehr als 2022; 11.814 Anzeigen wurden gegen ausländische Verdächtige verhängt – um 566 mehr als 2022. Die Anzahl der Anzeigen gegen Asylwerber unter den fremden Verdächtigen stieg um 41 auf 1.749. Im Fünf-Jahres-Vergleich wurden bei den fremden Verdächtigen serbische Staatsangehörige am häufigsten angezeigt. Dahinter folgen afghanische, deutsche, türkische, rumänische und syrische Staatsangehörige. Im jährlichen Verlauf sind die bedeutendsten Zunahmen an Anfallszahlen bei syrischen Staatsangehörigen zu verzeichnen, die sich 2023 im Vergleich zum Jahr davor fast verdoppelte. 2020 waren Syrer mit 308 Anzeigen nicht unter den traditionell „Top-10-Nationalitäten“.
Labore, Indoor- und Outdoor-Plantagen.
2023 wurden sieben Labore zur Herstellung von Suchmitteln entdeckt, und zwar bis auf das Burgenland und Vorarlberg in jedem Bundesland eines. Nach 2022 kam es 2023 zu einem weiteren Rückgang der Zahl an sichergestellten Plantagen von 722 auf 582. Aufzuchtsanlagen wurden in allen Bundesländern, die meisten jedoch in Niederösterreich (117), gefolgt von Wien (113) und Oberösterreich (88) entdeckt.
Die Zahl drogenbezogener Todesfälle ist von 2022 mit 235 auf 248 Fälle im Jahr 2023 angewachsen, wobei es sich bei den meisten der drogenbezogenen Todesfälle um Mischintoxikationen handelt, bei denen Opioide am häufigsten identifiziert wurden.
Cannabis ist nach wie vor das am meisten konsumierte illegale Suchtmittel in Österreich. Der Import erfolgt zumeist über Albanien, Spanien und Kanada sowie Cannabis-Harz aus Marokko. Obwohl sich in einigen EU-Staaten eine Tendenz zur Legalisierung bzw. Entkriminalisierung entwickelt hat, lehnt Österreich die Legalisierung von illegalen Drogen wie Cannabis strikt ab.
Kokain ist nach Cannabis, das am zweitmeisten konsumierte illegale Suchtmittel. Es kommt über balkanstämmige und türkische Täter über die Balkanroute nach Österreich. Das aus lateinamerikanischen Ländern stammende Kokain wird in europäische Häfen wie Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg transportiert und gelangt meist von dort nach Österreich.
Heroin ist das am häufigsten konsumierte illegale Opioid in Europa. Beim Konsum von Heroin ist eher ein Rückgang zu verzeichnen. Auf das gesamte Bundesgebiet verteilt, traten insbesondere serbische, montenegrinische und albanische Tätergruppen als Lieferanten, Schmuggler und Straßenverkäufer in Erscheinung.
Synthetische Drogen werden hauptsächlich in den Niederlanden und Belgien hergestellt, in Tschechien und Polen immer seltener. Zunehmend treten mittel- und südamerikanische Täter in Erscheinung, wobei das Augenmerk auf mexikanische Täter gerichtet ist. Auch der asiatische Raum steht zunehmend im Fokus. Fentanyl, das in die Gruppe der synthetischen Opioide fällt, ist entgegen anderslautender Pressemeldungen in Österreich derzeit kein großes Thema.
Amphetamin, MDMA und Ecstacy.
Diese Substanzen stammen hauptsächlich aus den Niederlanden. Ein Trend geht in Richtung Amphetaminbase, die als Öl aus dem Westbalkan nach Österreich gelangt und hier kristallisiert wird. Die meisten Indikatoren deuten darauf hin, dass Amphetamin nach wie vor das am häufigsten konsumierte illegale synthetische Stimulans in Europa ist. Daten deuten auf eine insgesamt relativ stabile Situation beim MDMA-Konsum hin. Europa bleibt ein Zentrum für die MDMA-Produktion, sowohl für den Inlandsverbrauch als auch für den Export in Nicht-EU-Märkte.
Methamphetamin.
Ketamin: Die Partydroge wird meist in Pulverform gesnieft oder geschluckt © Pcess609 - stock.adobe.com
In der Vergangenheit war Amphetamin das am häufigsten verwendete synthetische Stimulans in Europa. Laut Europäischem Drogenbericht 2023 gibt es Anzeichen dafür, dass sowohl Methamphetamin als auch synthetische Cathinone stärker als bisher zu den Problemen in Europa im Zusammenhang mit Stimulanzien beitragen. Methamphetamin war in heimischen Laboren vor allem in Eigenproduktion aber auch in Großlaboren mit Herkunft Niederlande sichergestellten worden.
Bei psychotropen Stoffen handelte es sich meist um Benzodiazepine, die von lokalen Kleingruppen gehandelt wurden. Diebstähle von psychotropen Stoffen im Produktions- und Transportweg halten sich eher gering.
Ketamin steht bei den „neuen psychoaktiven Substanzen“ mit einem Anstieg der sichergestellten Mengen im Vordergrund. Betrugen die sichergestellten Mengen 2022 36 Gramm, hat sich diese Zahl für 2023 auf 84 Kilogramm gesteigert. Ein Teil dieses enormen Anstiegs ist dabei auf diverse Großsicherstellungen bei organisierten Tätergruppen zurückzuführen. Es gab auch eine Zunahme an Sicherstellungen in Kleinmengen.
Kryptomessenger-Dienste.
Im März 2021 erhielt das Bundeskriminalamt (BK) von den US-Behörden FBI und DEA (Drug Enforcement Administration) die Einladung zur Mitarbeit bei der Operation „Trojan Shield“, einem weltweiten Vorgehen gegen die organisierte Kriminalität. Es galt, Chats aus dem Kryptomessenger-Dienst Anom auszuwerten. Dieser Dienst und später andere wie Sky ECC und Encrochat wurden auch von Mitgliedern von OK-Gruppierungen verwendet, weil sich durch sie die Möglichkeit bot, Nachrichten, Fotos, Notizen, Sprachkommentare und Videos verschlüsselt zu verschicken. Der Zugriff auf die jeweiligen Dienste erfolgte via Smartphone. Die Kriminellen fühlten sich sicher, sodass sie untereinander sehr offen kommunizierten, ihre illegalen Machenschaften dokumentierten und mit anderen teilten. Die Ermittler konnten Nachrichten mitlesen und die Aktivitäten des organisierten Verbrechens mitverfolgen.
Laut Europol sei die Operation „Trojan Shield“ eine der bislang größten Polizei-Operationen weltweit gewesen. Mehr als 700 Häuser seien durchsucht, Tonnen an Drogen beschlagnahmt und große Mengen an Bargeld, Juwelen und Waffen sichergestellt worden. Die Verbrecherbanden waren nach Angaben von Europol in mehr als 100 Ländern tätig gewesen.
AG Achilles.
Suchtmittelkontrolle in einer U-Bahnstation in Wien: Die vermehrten Kontrollen der Polizei trugen 2023 zur Steigerung der Anzeigenzahlen bei © Bernhard Elbe
Als Folge der Zusammenarbeit mit dem FBI und dem DEA sowie einer Reihe von EU-Mitgliedsstaaten wurde im April 2021 die Arbeitsgemeinschaft (AG) Achilles im BK eingerichtet. Diese setzt sich aus Spezialisten zur Bekämpfung der organisierten und Suchtmittelkriminalität zusammen und arbeitet eng mit Europol und einer Anzahl an EU-Mitgliedsstaaten zusammen. Ein hoher Prozentsatz der Menge von bis zu einer Milliarde Chats dieser Kryptomessenger-Dienste haben Bezug zur OK am Westbalkan und werden von der AG prioritär bearbeitet. Österreichische Ermittler, vor allem in den Landeskriminalämtern, sind in die Ermittlungen der Kryptomessenger-Dienste involviert.
Die Informationen haben zu wertvollen Erkenntnissen zu führenden Personen, Organisationsstrukturen und Vorgehensweisen von organisierten Tätergruppen geführt. Durch die Ergebnisse waren die bisher vermuteten Mengen an in Umlauf gebrachten Suchtmitteln neu zu bewerten. Die Ermittlungen haben gezeigt, dass dies nur einen Bruchteil dessen darstellt, was in Österreich an organisierten kriminellen Strukturen aktiv ist. Seit Gründung der AG Achilles wurden weit über eine Tonne an Suchtmitteln sichergestellt und Hunderte Täter ausgeforscht, Waffen, Munition sowie Bargeld sichergestellt und andere schwere Verbrechen wie u. a. Gewaltdelikte etc. geklärt. An den von den Tätern teilweise selbst dokumentieren Folterungen und Morden ging hervor, wie brutal sie vorgingen.
Darüber hinaus zeigen sich auch im europaweiten Umfeld Korruptionsdelikte in allen Gesellschaftsschichten und Berufsfeldern sowie Bedrohungslagen, die sowohl Polizisten aber auch Staatsanwälte und Richter betrafen. Der Umfang und die Bedeutung solcher Ermittlungen spiegelt sich in Urteilen wider. So wurde in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil von Dezember 2023 ein Beschuldigter das erste Mal in Österreich wegen des organisierten Suchtmittelhandels nach dem SMG zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Dieter Petracs
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2024
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