Gendarmeriegeschichte
Die Aufstellung der Gendarmerie
Vor 175 Jahren, am 8. Juni 1849, genehmigte Kaiser Franz Joseph I. die Errichtung einer Landesgendarmerie in der gesamten Habsburg-Monarchie. Als Vorbild diente die französische Gendarmerie.
Geschichte der Gendarmerie: Lombardische Gendarmerie um 1835; Gendarmerie-Korpsabzeichen „Flammende Granate“ © Sammlung Michael Beyrer
Der Geist der Revolution erfasste 1848 große Teile Mitteleuropas und griff auf den Vielvölkerstaat des Kaisertums Österreich über. Es gelang zwar, die Erhebungen niederzuschlagen, allerdings forderten die Ereignisse einen Thronwechsel in der Habsburgermonarchie. Mit der Krönung des 18-jährigen Herrschers Franz Joseph I. am 2. Dezember 1848 konnte die Revolution zumindest für Österreich als beendet betrachtet werden.
In den Kronländern der Monarchie war die Auflösung der Grundherrschaften und die damit verbundene Befreiung der Bauern eine der wesentlichen Errungenschaften der Revolution. Mit dem System der Grundherrschaft war die Patrimonialgerichtsbarkeit verbunden. Die meist adeligen Grundherrschaften waren – überwiegend in der untersten Instanz – für die Gerichtsbarkeit und Verwaltung und somit im Wesentlichen für die Sicherheit auf dem Lande zuständig. Zwar verfügte jede Grundherrschaft über Gefängniszellen, damit war jedoch nicht zwangsläufig Sicherheitspersonal verbunden. Außerhalb der Städte gab es bis 1848 so gut wie keine speziellen Sicherheitsorgane.
Der durch die Auflösung der Grundherrschaft geschaffenen Lücke, insbesondere im Bereich der Verwaltung und Gerichtsbarkeit, begegnete der Staat 1849/50 mit der Errichtung eines neuen Verwaltungsapparats, der in seinen Fundamenten bis heute besteht. An der Spitze des Verwaltungsapparats standen nunmehr die k. k. Statthaltereien, denen wiederum Kreisregierungen und nachfolgend Bezirkshauptmannschaften untergeordnet waren. Justizielle Angelegenheiten fielen in den Aufgabenbereich der Bezirks- und Landesgerichte. Im Unterstellungsverhältnis zu den genannten Institutionen und somit für das Sicherheitswesen entschied man sich für die Errichtung eines staatlichen Wachkörpers. Ein schlagkräftiger Sicherheitsapparat sollte das absolutistische Regierungssystem vor allem gegen innere Widerstände sichern.
Ordnung und Sicherheit auf dem Lande.
Somit wurde in einer entscheidenden Phase der Habsburgermonarchie zum Rechtsstaat mit der Etablierung der Gendarmerie zusätzlich zu städtischen Wachen ein neuer Sicherheitsapparat eingeführt.
Die Gendarmerie erfüllte zwei zentrale Aufgaben. Neben der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit auf dem Lande sollte das Korps gemeinsam mit den Wachen die neuen staatlichen Stellen unterstützen. Der Gendarmerie kam eine zentrale Rolle im Verhältnis zwischen Staat und Bürger zu. Sie repräsentierte für große Teile der meist ländlichen Bevölkerung erstmalig das abstrakte und oft weit entfernte Herrscherhaus.
Lombardisches Modell.
Johann Kempen von Fichtenstamm: Gründer der Gendarmerie © Sammlung Michael Beyrer
Die Idee zur Errichtung eines solchen Exekutivkörpers war nicht neu. In vielen Teilen Europas wurde das nach der Französischen Revolution 1791 eingerichtete Modell der (National-)Gendarmerie (Gens d‘armes = bewaffnete Männer) als Sicherheitspolizei übernommen. In der Lombardei und Südtirol bestand bereits ein Gendarmerieregiment nach französischem Muster. Die Lombardei gehörte nach dem Wiener Kongress 1815 zum österreichischen Territorium, Basierend auf den Erfahrungen mit der lombardischen Gendarmerie erarbeitete ein Stab um den Justiz- und provisorischen Innenminister Alexander von Bach (1813-1893) die Grundsätze für die Errichtung der Gendarmerie. In einem „alleruntertänigsten Vortrag“ berichtete er dem Herrscher am 30. Mai 1849: „Es ist außer Zweifel, daß die Organe der richtenden und vollziehenden Gewalt, […] nur dann zur genügenden Wirksamkeit und Vollendung gelangen können, wenn derselben eine materielle Kraft zur Verfügung gestellt wird, mit welcher sie Ruhe, Ordnung und Sicherheit aufrecht erhalten und den Gelüsten des Leichtsinnes, Übermutes oder der verbrecherischen Gesinnung […] entgegen zu treten vermögen.“ Franz Joseph I. genehmigte am 8. Juni 1849 die Aufstellung der Gendarmerie „in Meinem gesamten Reiche nach den angedeuteten Grundsätzen“.
Johann Kempen von Fichtenstamm (1793–1863), ein bewährter Armeeoffizier, wurde mit kaiserlichem Handschreiben vom 17. September 1849 zum Gendarmerie-Generalinspektor bestellt und mit der Errichtung des Korps beauftragt. Im Reichsgesetzblatt vom 18. Jänner 1850 wurden die Aufgaben, Befugnisse und die Organisation der Gendarmerie festgelegt. Organisatorisch war die Gendarmerie Teil des Heeres und dem Armeekommando bzw. Kriegsministerium unterstellt. Lediglich in Angelegenheiten der allgemeinen Sicherheitsverwaltung war das Innenministerium weisungsbefugt. Der neue Wachkörper war hierarchisch in 16 Regimenter gegliedert, mit Zuständigkeiten für eine oder mehrere Provinzen des Kaisertums.
Von Anfang an war es das Bestreben, nur bestens geeignete Leute für die Gendarmerie zu gewinnen. Das Personal – veranschlagt waren ursprünglich 15.557 Mann – konnte durch einen „Rückgriff“ auf Armeeangehörige rekrutiert werden. Innerhalb eines Jahres gelang Kempen die personelle und logistische Meisterleistung: Etwa 12.500 Gendarmen nahmen im Mai und Juni 1850 flächendeckend in allen Gebieten des Vielvölkerstaates ihren Dienst zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit“ auf.
Neoabsolutismus.
Gendarmen mit Pickelhaube (Monarchie) und mit Kappe (Zweite Republik) ©Sammlung Michael Beyrer
Darstellung von Gendarmen zu Fuß und zu Pferd im Jahr 1850 © Sammlung Michael Beyrer
Kempen wurde im April 1852 als Polizeiminister an die Spitze der neu errichteten „Obersten Polizeibehörde“ bestellt. Mit dem Innenminister Alexander von Bach repräsentierte er für breite Schichten der Bevölkerung den Neoabsolutismus ad personam und das von ihnen ins Leben gerufene Machtinstrument der Gendarmerie wurde insbesondere für die immer mehr an politischem Einfluss gewinnenden Liberalen eine höchst gefährliche Einrichtung des konservativen Lagers, der es zu begegnen galt.
Im Sommer 1860 kam es mit der Umsetzung der ersten Gendarmeriereform zu einer Zäsur. Die Ursachen dafür waren mannigfaltig wie beispielsweise das Spannungsverhältnis der Gendarmerie mit der Bevölkerung, den Zivilbehörden und der Armee. Der äußere Anlass war mit der militärischen Niederlage Österreichs im Sardinischen Krieg und der damit verbundenen Gebietsabtretungen verbunden. Aufgrund der Niederlage von Solferino am 24. August 1859 war der politische Kurs des Monarchen nicht mehr zu halten.
Analog zu einem konstitutionellen Aufbau der Monarchie 1859 bis 1861 erfolgten auch die politisch erforderlichen „Anpassungen“ im Polizeibereich. Nach Innenminister Bach, der in der öffentlichen Meinung als Hauptverursacher allen Übels galt, wurde Kempen am 31. August 1859 wie Bach „auf eigenen Wunsch“ abgelöst. Beide galten als herausragende Repräsentanten des neoabsolutistischen Machtsystems.
Die Gendarmerie wurde in mehreren Reformschritten entmilitarisiert und an die zivilen Strukturen eines neuzeitlichen Rechtsstaats angepasst, verblieb aber (zumindest organisatorisch) bis 1918 beim Verteidigungsministerium.
Am 27. November 1918 beschloss die Provisorische Nationalversammlung das Gesetz über die Gendarmerie des Deutschösterreichischen Staates. Die Gendarmerie war ab nun ein nach militärischem Muster organisierter Zivilwachkörper. In jedem Bundesland wurde ein Landesgendarmeriekommando eingerichtet.
Für das seit 20. November 1920 unter dem Namen „Bundesgendarmerie“ firmierende Korps wurde am 13. November 1934 „zur Ehrung der in Ausübung des Dienstes gefallenen und verunglückten Gendarmen“ ein Gedenktag verfügt: „Der Gendarmeriegedenktag ist alljährlich in Ansehung des Gründungsdatums der Gendarmerie tunlichst am 8. Juni von allen Gendarmeriedienststellen abzuhalten.“
Am 1. Juli 2005 endete die 156-jährige Geschichte der Gendarmerie. Im Rahmen der „Wachkörperreform 2005“ wurden die Bundesgendarmerie, die Bundessicherheitswache und das Kriminalbeamtenkorps zur neuen „Bundespolizei“ zusammengeführt. Bis dahin war die Bundesgendarmerie für ungefähr zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung und 98 Prozent des Staatsgebiets zuständig.
Michael Beyrer
Literatur:
Josef Karl Mayr: Das Tagebuch des Polizeiministers Kempen. Wien 1931
Helmut Gebhardt: Die Gendarmerie in der Steiermark. Graz 1997
Michael Beyrer: Die Geschichte der Gendarmerie in Tirol und Vorarlberg. In: Fiat Justitia! Innsbruck 20211
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2024
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