Interview
„Frühwarnsystem der Republik“
Sylvia Mayer, neue stellvertretende Direktorin der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), über die Herausforderungen, die die DSN die kommenden Jahre beschäftigen werden und ihr Herzensanliegen: die Gleichstellung von Frauen und Männern.
Sylvia Mayer ist seit mehr als 10 Jahren im Verfassungsschutz tätig
© BMI/Gerd Pachauer
Wie hat sich Ihr Weg in Ihre neue Funktion in der DSN gestaltet und was waren Ihre Beweggründe, sich für diese Position zu bewerben?
Seit 2006 bin ich im Bundesministerium für Inneres tätig, habe sehr viele unterschiedliche Funktionen und Aufgaben in allen Hierarchieebenen wahrgenommen und freue mich sehr, jetzt die Funktion der stellvertretenden Direktorin der DSN ausüben zu können. Ich bin bereits mehr als 10 Jahre im Verfassungsschutz tätig. 2012 kam ich als dienstführende Polizeibeamtin in den Verfassungsschutz, war Sachbearbeiterin, Hauptreferentin, Referatsleiterin, Abteilungsleiterin und die letzten beiden Jahre Leiterin der Abteilung für Strategie und Personal in der DSN. Ich denke, der Verfassungsschutz ist insgesamt eine der zentralsten Aufgaben in der Republik, denn er schützt nicht nur ihr Bestehen, sondern unsere gesamte Gesellschaft, jeden einzelnen Menschen. Beworben habe ich mich, weil ich davon überzeugt bin, dass ich diese Aufgabe gut meistern kann, da ich bereits lange im Aufgabenbereich tätig bin und sowohl viele unserer nationalen und internationalen Partner als auch die Kollegen und Kolleginnen in der DSN gut kenne. Mir ist es aber auch sehr wichtig, ein Vorbild für andere Frauen zu sein. Sich für schwierige Aufgaben zu begeistern und für solche Funktionen zu bewerben, sich in solche Führungsfunktionen zu wagen und es mir gleich zu tun.
Welche Aufgaben fallen in Ihren Verantwortungsbereich?
Die DSN schützt, ganz allgemein gesprochen, die Prinzipien unserer Verfassung, also unseren liberalen, demokratischen Rechtsstaat gegen Personen, gegen Gruppierungen, gegen Strömungen, die diese Prinzipien ablehnen, die liberale Demokratie und den Rechtsstaat umwälzen und durch ihre Ideologie ersetzen möchten. Dabei handelt es sich um Strömungen aus dem Bereich des Links- und Rechtsextremismus, islamistischen Terrorismus und andere staatsfeindliche Verbindungen, wie Staatsverweigerer oder Reichsbürger, gegen die wir unseren Staat und die Bevölkerung schützen. Wir unterscheiden bei der Bekämpfung die Bereiche Staatsschutz und Nachrichtendienst. Der Staatsschutz ist der polizeiliche Bereich, wo Gefahrenabwehr und Ermittlungen nach der Strafprozessordnung stattfinden. Der Bereich des Nachrichtendienstes, den ich leite, agiert in gewisser Weise als „Frühwarnsystem der Republik“. Die Aufgabe besteht darin Personen, Gruppierungen und Strömungen frühzeitig zu erkennen und strafbare Handlungen zu verhindern.
Wie gehen Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei vor?
Das tun wir, indem wir Informationen gewinnen, analysieren und Schlüsse daraus ziehen. Beispielsweise werden internationale Cyber-Angriffe beobachtet und Schlüsse über die Auswirkungen auf Österreich gezogen, insbesondere ob solche Angriffe auch auf österreichische Institutionen oder Unternehmen drohen. Einerseits haben wir mit unserer Informationsgewinnung und Analyse im Vorfeld die Aufgabe, den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern jene Informationen zu geben, damit sie ihre Entscheidungen bestmöglich betreffen können. Insbesondere geht es bei diesen Entscheidungen um die Frage, welche Rechtslage, welche Gesetze und Verordnungen geschaffen werden müssen oder welche finanziellen und personellen Ressourcen in welchen Aufgabenbereichen zugewiesen werden müssen, um die innere Sicherheit gewährleisten zu können.
Die Entscheidungsträgerinnen und -träger der Republik in Regierung und Parlament müssen frühzeitig wissen, welche Gefahren drohen und welche Trends sich in den nächsten 3 bis 5 Jahren entwickeln. Genau diese Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, ist unsere Aufgabe. Die zweite Aufgabe besteht darin, dem polizeilichen Bereich, das heißt dem Staatsschutz, zu Tage tretende aktuelle Gefahren zu melden, damit die Gefahrenabwehr ermöglicht wird.
Was sind derzeit die größten Gefahren?
Die größten Gefahren gehen derzeit vom islamistischen Extremismus und Terrorismus aus, ebenso vom Rechtsextremismus. Auch hier beobachten wir, dass sich sehr viele Einzeltäter entwickeln, einzelne Personen, die sich im Internet radikalisieren. Besonders im Internet wird viel Propaganda, sowohl für den islamistischen Extremismus als auch Rechtsextremismus betrieben und zu Anschlägen aufgerufen. Es gibt aber auch viel Interaktion in einzelnen Gruppen, über Whatsapp oder Telegram. Alle diese Phänomene leben vom technischen Fortschritt, von der Digitalisierung und den Möglichkeiten des Internets, der sozialen Medien, des Darknet und der künstlichen Intelligenz. Die Kriminellen sind den Behörden aufgrund der Rechtslage immer einen Schritt voraus, denn sie nutzen die Möglichkeiten des digitalen Raums genau dort, wo unsere rechtlichen Befugnisse noch nicht angekommen sind.
Neben Ihrer beruflichen Tätigkeit haben Sie Rechtswissenschaften studiert und viele Jahre die Funktion der Gleichbehandlungsbeauftragten für die Zentralleitung im BMI wahrgenommen. Weshalb war Ihnen das wichtig?
Unmittelbar nach meiner HTL-Matura habe ich bei der Polizei begonnen. Es war mir wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen, berufstätig zu sein und wollte aber immer auch studieren. Ich habe parallel zur Polizeischule mit dem Studium der Rechtswissenschaften begonnen, weil mich Jus immer interessiert hat. Auch nach dem Studium war es mir wichtig, mich laufend fortzubilden, deshalb habe ich auch das Masterstudium Strategisches Sicherheitsmanagement und das Doktorat der Rechtswissenschaften absolviert. Neues zu lernen, macht mir einfach Spaß. Derzeit absolviere ich den Masterstudiengang Counter-Terrorism in Krems.
Wie sind Sie zur Gleichbehandlung gekommen?
Es ist sechs Jahre her, da wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen kann Gleichbehandlungsbeauftragte zu werden. Ich habe sofort Ja gesagt, weil es eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe ist, bei der ich Menschen helfen kann und ich kann nur empfehlen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Auch wenn die Gleichbehandlung nicht geschlechtsspezifisch ist, sind Frauen die größte Gruppe, die von Diskriminierung betroffen sind. Frauenförderung war mir immer ein Herzensanliegen, auch deshalb habe ich nicht gezögert, diese Funktion zu übernehmen.
Welche Herausforderungen stellen sich bei der Gleichbehandlung?
Ich halte sehr viele Vorträge etwa in den Grundausbildungs- und Dienstführenden-Lehrgängen, was sehr ressourcenintensiv ist, aber mir unheimlich Spaß macht. In diesen Kursen erkläre ich hauptsächlich Männern, wie wichtig Frauenförderung ist. Angesprochen wird immer, weshalb bei gleicher Qualifikation der Frau der Vorzug zu geben ist. Man hört auch oft den Vorwurf von Männern, dass, wenn sich eine Frau bewirbt, ihre Bewerbung aussichtlos ist. Das stimmt natürlich nicht und Gleichbehandlung wird oft missverstanden.
Die rechtlich verankerte Bevorzugung von Frauen kommt nur zum Tragen, wenn beide gleich geeignet sind, soziale oder sonstige gewichtige Gründe nicht für den Mann sprechen und in den jeweiligen Bereichen der Verwendungsgruppe weniger als 50 Prozent Frauen beschäftigt sind. Ich stelle dann immer die Frage, was die Alternative dazu sei. Soll man würfeln oder eine Münze werfen? Der Sinn der Gleichbehandlung liegt gerade nicht darin, alle „gleich“ zu behandeln, sondern darin Maßnahmen zu setzten, um eine Gleichstellung, gleiche Möglichkeiten, Rechte und Chancen von Frauen und Männern zu schaffen. In diesem Sinne darf die Gleichbehandlung Männer in bestimmten Fällen auch diskriminieren. Darauf zielt die Regelung ab.
Sylvia Mayer: „Besonders im Internet wird viel Propaganda für den islamistischen Extremismus sowie Rechtsextremismus betrieben und zu Anschlägen aufgerufen.“
© BMI/Gerd Pachauer
Was kann ein Referat, das sich Frauenkarrieren widmet, bewirken?
Auch das neu geschaffene Referat „Frauenkarrieren“ ist ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung Gleichbehandlung. Natürlich hört man auch hier das Argument, dass andere Maßnahmen erforderlich oder wichtiger wären. Dieses Referat kann sehr wohl die Frauenförderung forcieren und stellt eine von vielen möglichen Maßnahmen dar, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen. Das erinnert mich auch ein bisschen an das Argument, dass Gendern nicht relevant sei, denn es gäbe Wichtigeres. Ich sage hingegen, dass es jede noch so kleine Maßnahme dringend braucht, auch das Gendern. Frauen auch in der Sprache sichtbar zu machen ist natürlich nicht die einzige, aber eine wichtige Maßnahme, damit Frauen wahrgenommen werden. Mit diesem Referat forciert man dieses wichtige Thema auch vom Blickwinkel der Personalentwicklung, nämlich der gezielten Entwicklung von Frauen in Richtung Führungspositionen. Natürlich verstehe ich auch die Kritik daran, auch von anderen Frauen, die sich fragen, weshalb man das Thema „Frau“ wieder so hervorheben muss. Aber unsere Zahlen im BMI zeigen deutlich, dass es eine Notwendigkeit ist, wenn man wirklich etwas bewegen möchte. Wir haben bei uns in den höchsten Führungsebenen, den Sektionsleitungen, Gruppenleitungen, Leitung von Ämtern, Direktionen sowie Landespolizeidirektionen eine Frauenquote von vier Prozent. Man bekommt auch oft das Argument zu hören, dass Frauen ja noch nicht so lange im BMI und bei der Polizei sind und deshalb noch nicht in den Führungsfunktionen angekommen seien. Dabei sind Frauen seit über 30 Jahren bei der Polizei und im BMI haben wir in der Verwaltung mittlerweile einen höheren Frauen- als Männeranteil. Das ist also kein Argument, denn es gibt genug Frauen, die Führungsfunktionen übernehmen können. Sie müssen nur gefördert und gefragt werden.
Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig, um den Anteil von Frauen in Führungsfunktionen zu erhöhen?
Ein ganz wichtiger Punkt ist, auch „späte“ Frauenkarrieren zuzulassen, denn diese Mitarbeiterinnen werden oft übersehen. Wenn berufstätige Frauen Kinder bekommen, eine Familie gründen, wird das oft gleichgesetzt mit einem Verzicht auf Karriere. Warum sollte das so sein? Man kann ihnen auch zu einem späteren Zeitpunkt die Karriere ermöglichen. Die Karriereplanung, der Karriereweg orientiert sich bis heute nur an dem Vorbild der Männer. Wenn wegen der Kinder bei Frauen erst später Interesse an einer Führungsfunktion entsteht, wird genau diese Gruppe übersehen. Auch hier muss ein Umdenken stattfinden und auch ältere Frauen mitgedacht werden, gefragt und gefördert werden. Aus meiner Sicht muss der Dienstgeber auch die Rahmenbedingungen schaffen, damit Frauen, die nach der Karenz wieder zurück in den Dienst kommen, auch mit einer herabgesetzten Wochenarbeitszeit Führungsfunktionen wahrnehmen können. Es stehen dafür viele Möglichkeiten zur Verfügung, wie etwa Telearbeit, oder Besprechungen innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens, einfach Flexibilität in der Dienstzeit. Es braucht unbedingt mehr Mütter in Führungsfunktionen und Väter in Führungsfunktionen, die in Karenz gehen. Das sollte eines Tages die Normalität sein.
Interview: Michaela J. Löff
Zur Person
Ing. Mag. Dr. Sylvia Mayer, MA absolvierte die Polizeigrundausbildung in Linz und den Grundausbildungslehrgang für dienstführende Exekutivbedienstete in Traiskirchen. Nebenbei absolvierte die HTL-Maturantin das Studium der Rechtswissenschaften sowie berufsbegleitend den Masterstudiengang Strategisches Sicherheitsmanagement. Sie arbeitete als Polizistin im SPK Linz und war ab 2012 im damaligen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) u. a. als Leiterin des Referats Schutz kritischer Infrastruktur sowie als interimistische Leiterin der Abteilung Schutz und Sicherheit tätig. In der neuen Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) leitete sie ab Dezember 2021 die Abteilung Strategie, Grundsatz- und Stabsangelegenheiten und wurde mit 1. Oktober 2023 zur stellvertretenden Direktorin der DSN und Leiterin des Bereichs Nachrichtendienst der DSN bestellt. Seit 2018 ist sie Gleichbehandlungsbeauftragte der Zentralstelle des BMI.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2024
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