Interview
Dem Recht verpflichtet
Hofrat Prof. Mag. Dr. Rudolf Keplinger ist seit November 2022 Landespolizeidirektor-Stellvertreter und Leiter des Geschäftsbereiches B (Sicherheits- und Verwaltungspolizeiliche Abteilung, Personalabteilung, Logistikabteilung, Büro Rechtsangelegenheiten, Büro Qualitäts- und Wissensmanagement und Büro Budget) der Landespolizeidirektion Oberösterreich.
Wie hat Ihre Karriere begonnen?
Ursprünglich habe ich eine Lehre als Elektromechaniker gemacht und mich danach entschlossen, zur Polizei zu gehen. 1983 begann ich die Polizeischule in Linz und schon in dieser Zeit entdeckte ich meine Vorliebe für das Recht. Während meines Dienstes in einem Wachzimmer in Linz, habe ich die Studienberechtigungsprüfung abgelegt und begonnen, Jus zu studieren. Im Studium habe ich meine Frau kennen gelernt, die mich sozusagen durchs Studium „gemanagt“ hat. Damals war das Studieren komplizierter und umständlicher als heute. Es gab noch kein Internet, keine Online-Anmeldungen und wenn man einen Termin verpasst hat, weil man im Dienst war und nicht auf der Uni sein konnte, hat man Pech gehabt. Nach dem Diplomstudium habe ich gleich das Doktorat – zum Thema „Gemeindewachkörper“ – angehängt. Ab 1990 war ich in der Bundespolizeidirektion Linz kurz bei der Kripo und bin dann in die Präsidialabteilung gewechselt, wo ich bis 2005 Dienst versah. Als in diesem Jahr Polizei und Gendarmerie zu den Landespolizeikommanden zusammengelegt wurde, wurde ich Leiter des Landeskriminalamtes Oberösterreich. Das war eine sehr spannende Zeit, weil buchstäblich zwei Welten – die Polizei und die Gendarmerie – miteinander verbunden werden mussten. Als im Jahr 2012 im Zuge der Reform der gesamten Sicherheitsexekutive die Rechtsbüros eingerichtet wurden, war für mich aufgrund meiner Vorliebe für die Juristerei klar, dass ich mich darum bewerben werde. Die letzten 10 Jahre als Rechtsbüroleiter habe ich sehr genossen und freue mich jetzt gegen Ende meiner beruflichen Karriere, auf meine neue Aufgabe als Landespolizeidirektor-Stellvertreter.
Wie haben Sie die letzten zehn Jahre seit der Reform der Sicherheitsbehörden als Leiter des Rechtsbüros in Oberösterreich erlebt?
Es war spannend, das Rechtsbüro gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aufzubauen und zu strukturieren. Darüber hinaus wurde ich in sehr viele Arbeitsgruppen des BMI berufen und war auch bei zahlreichen Gesetzesänderungen im Polizeibereich involviert. Im Jahr 2019 war ich bei einem für mich persönlich und auch die Polizei enorm wichtigen Projekt dabei, bei der „Taskforce Strafrecht“ (mit den Kommissionen Strafrecht, Opferschutz und Täterarbeit), die von der damaligen Staatssekretärin im Innenministerium Mag. Karoline Edtstadler geleitet wurde. In meiner Unterarbeitsgruppe zum Gewaltschutz wurde das Betretungsverbot völlig neu konzipiert und mit dem Annäherungsverbot verknüpft.
Gewaltschutz war ein großes Thema in Ihrer beruflichen Laufbahn, wie haben Sie damals die Taskforce Strafrecht erlebt, die im Gewaltschutzgesetz 2019 gemündet hat?
Mein Bestreben bzw. das Bestreben unserer Arbeitsgruppe war es, den § 38a SPG zu reformieren, denn es gab aus der Praxis heraus viele Verbesserungsvorschläge. Seinerzeit war nur die Wohnung geschützt, in der die gefährdeten Personen wohnen. Nach einem Mord an einem Kind in der Schule durch den Vater, gegen den bereits ein Betretungsverbot bestanden hat, fand eine Erweiterung des Schutzbereiches auf Schule und Kindergarten statt. Aber es blieb immer noch eine Lücke: der Weg zur Schule, zum Kindergarten, zum Arbeitsplatz usw.; diese waren immer noch nicht geschützt. Das war für alle, die im Bereich des Gewaltschutzes gearbeitet haben, ein unbefriedigender Zustand. In der Unterarbeitsgruppe „Gewaltschutz“ der Taskforce Strafrecht waren unter anderen Vertreterinnen und Vertreter des BMI, der Justiz und der Gewaltschutzzentren. Die zentrale Frage war: Wie kann man den Schutz für Gefährdete verbessern? Schlussendlich ist in dieser Arbeitsgruppe das Annäherungsverbot als Ergänzung zum Betretungsverbot ausgearbeitet worden, damit Gefährdete überall in einem Umkreis von 100 m geschützt sind. Das funktioniert ohne Probleme in der Praxis und verbessert den Schutz ungemein. Auch die Präventionsberatung für Gefährder funktioniert hervorragend. Mich freut es besonders, wenn gesetzliche Neuerungen auch wirklich praxistauglich sind.
Mit dem Gewaltschutzgesetz wurden auch die Fallkonferenzen ins Sicherheitspolizeigesetz eingefügt. Wie sind Ihre Erfahrungen mit diesem neuen Instrument?
Die Bestimmung zur Abhaltung von Fallkonferenzen im SPG ist im Jahr 2020 in Kraft getreten, als auch die COVID-Pandemie ausgebrochen ist. Grundsätzlich sind die erstinstanzlichen Sicherheitsbehörden mit deren Vollziehung betraut. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens hatten die Bezirkshauptmannschaften verständlicherweise gerade wenig Zeit, sich vorrangig um diese neue Bestimmung zu kümmern. Denn sie sind mit ihrer Zuständigkeit als Gesundheitsbehörden sehr belastet gewesen. Als ich mir im Jahr 2021 die Zahlen der Fallkonferenzen angeschaut habe, musste ich feststellen, dass sie hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben sind. Die nächste Überlegung war, was die Landespolizeidirektion als Oberbehörde in praktischer Hinsicht unternehmen kann, um einen einheitlichen Vollzug dieser Bestimmung in Oberösterreich sicherzustellen. Ich habe vermutet, dass es auch daran liegen könnte, dass aufgrund der geringen Fallzahlen keine Routine entwickelt werden konnte. Aus dieser Überlegung heraus habe ich ein „Fallkonferenz-Team“ ins Leben gerufen. Das Team besteht aus Mitarbeiterinnen der Sicherheits- und verwaltungspolizeilichen Abteilung und der Präventionsabteilung des Landeskriminalamtes, einem Vertreter des Vereins Neustart und einer Vertreterin des Gewaltschutzzentrums sowie der Sicherheitssprecherin der Bezirkshauptleute in Oberösterreich. Alle Anregungen, eine Fallkonferenz abzuhalten, langen beim Team ein, wo entschieden wird, ob eine solche abzuhalten ist. Mittlerweile wurde eine Routine aufgebaut und es kann sehr gut und rasch beurteilt werden, ob eine Fallkonferenz zweckmäßig ist oder ob andere Maßnahmen besser greifen könnten. Das Ergebnis wird sowohl der betroffenen Bezirkshauptmannschaft, als auch dem Anreger der Fallkonferenz, etwa einem Bürgermeister oder einer NGO, mitgeteilt. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft erhält die Information, weshalb das Team eine Fallkonferenz empfiehlt und einen Vorschlag, wer dazu eingeladen werden soll. Gleichzeitig besteht immer das Angebot des Teams, bei der Abhaltung der Fallkonferenz zu unterstützen und vor Ort zu sein. Die LPD hat auch die Möglichkeit, eine Fallkonferenz an sich zu ziehen. Zum Beispiel hatten wir einen Fall, bei dem ein Gefährder in zwei Bezirken auffällig geworden ist. Da werden natürlich nicht zwei Fallkonferenzen abgehalten, sondern die LPD zog den Fall an sich und lud auch die betroffenen Bezirkshauptmannschaften zur Fallkonferenz ein. Im Jahr 2021 wurde diese Vorgehensweise als Probebetrieb für ein Jahr eingeführt und nach diesem Jahr steht fest: Es funktioniert hervorragend und dieses Modell wird nun vom Bundeskriminalamt auf andere Bundesländer ausgedehnt.
Welche Pläne haben Sie für die Zeit in Ihrer neuen Funktion?
Als Erstes möchte ich alle Abteilungen und Aufgabengebiete genau kennenlernen, um Entwicklungsmöglichkeiten und eventuellen Anpassungsbedarf feststellen zu können. Eine Idee konnte ich schon umsetzen: die Einführung der sogenannten „Schwerpunktjuristinnen und -juristen“. Die LPD Oberösterreich ist als erstinstanzliche Behörde für Linz, Wels und Steyr zuständig und sie sollen garantieren, dass die wichtigsten Rechtsgebiete in allen drei Städten einheitlich vollzogen werden. So gibt es einen Juristen, der mit dem Schwerpunkt „Verkehrsrecht“ (von Wels aus) betraut ist, eine Juristin ist von Linz aus für Verwaltungsstrafverfahren, eine für Versammlungsrecht zuständig, zwei Beamte betreuen schwerpunktmäßig das Waffenrecht usw.
Ihnen liegt offensichtlich auch das Unterrichten besonders am Herzen – weshalb?
Ich war und bin viele Jahre als Vortragender, Referent oder Trainer aktiv, denn es ist wichtig, Wissen zu vermitteln und Erfahrungen weiterzugeben. Schon 1991 war ich als junger Jurist Trainer für das damals neue Sicherheitspolizeigesetz. Mein ganzes Berufsleben habe ich mich mit dem Polizeirecht insgesamt beschäftigt, also auch mit anderen Materien und etwa dem Strafprozessrecht. Da war es nur logisch, dieses Wissen auch weiterzugeben.
Ich bin auch außerhalb des Innenressorts als Vortragender aktiv. Etwa an der Johannes-Kepler-Universität Linz als Lektor am Institut für Strafrecht oder an der FH Wiener Neustadt als Referent für Sicherheitspolizeirecht und Waffengebrauchsgesetz.
Beim Unterrichten ist mir wichtig, dass das „große Ganze“ dargestellt wird, denn „Recht“ ist mehr als eine Aneinanderreihung von Paragraphen. Und wenn man wie ich bei vielen Rechtsthemen von Beginn an dabei war und die Weiterentwicklung über die Jahre begleitet hat und damit auch die Hintergründe und Entstehungsgeschichten kennt, kann man natürlich auch den Inhalt ganz gut vermitteln.
Interview: Michaela Jana Löff
Zur Person
Rudolf Keplinger trat 1983 in den Polizeidienst ein und versah bis 1990 in einem Wachzimmer in Linz Dienst. Nach Absolvierung des Diplom- und des Doktoratsstudiums der Rechtswissenschaften in Linz war er bei der Bundespolizeidirektion Linz als Polizeijurist in verschiedenen Funktionen tätig; unter anderem in der Kriminalpolizeilichen Abteilung. Ab dem Jahr 1994 war er stellvertretender Leiter der Präsidialabteilung der Bundespolizeidirektion Linz. Im Jahr 2005 wurde er im Zuge der Errichtung der Landespolizeikommanden zum Leiter des neu gegründeten Landeskriminalamtes und 2012 im Zuge der Reform der Sicherheitsbehörden schließlich zum Leiter des Büros für Rechtsangelegenheiten der Landespolizeidirektion Oberösterreich ernannt. Er wirkte in vielen Arbeitsgruppen des BMI mit und ist Mitglied in verschiedenen Gremien der Zentralleitung, wie etwa dem StPO-SPG- Qualitätszirkel und dem Gewaltschutzgremium. Rudolf Keplinger unterrichtete viele Jahre an der Sicherheitsakademie und trägt seit 2007 an der Fachhochschule Wiener Neustadt (BA Polizeiliche Führung) vor. Seit 2009 ist er Lektor am Institut für Strafrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Er ist Autor zahlreicher Werke zum Polizeirecht. 2012 wurde ihm der Berufstitel Professor verliehen. Rudolf Keplinger ist verheiratet und hat drei Söhne.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2023
Druckversion des Artikels (PDF 568 kB)