Opferhilfe
Hilfe für Verbrechensopfer
Personen, die Opfer einer Straftat geworden sind, haben gesetzlich verankerte Rechte. Das Verbrechensopfergesetz regelt seit 50 Jahren Ansprüche von Opfern auf Hilfeleistungen.
Die Rechte von Kriminalitätsopfern sind in unterschiedlichen Gesetzesmaterien geregelt. Zentraler Baustein ist das Verbrechensopfergesetz (VOG), dessen erste Fassung am 9. Juli 1972 den Nationalrat passierte und am 1. September desselben Jahres in Kraft trat. In weiterer Folge ergriffen vor allem Organisationen wie der WEISSE RING und die Frauenhäuser die Initiative zur Weiterentwicklung. Das Gesetz hat im Lauf der Zeit zahlreiche Novellierungen erfahren, die erste bereits ein Jahr nach seinem Inkrafttreten. Obwohl das VOG nach wie vor aus nur 17 Paragraphen besteht, ist es nicht einfach, sich einen Überblick zu den verschiedenen Opferrechten zu verschaffen. Denn im VOG wird versucht, so unterschiedliche Rechtsbereiche wie Schadenersatzrecht, Sozialversicherungsrecht, Sozialentschädigungsrecht und Verwaltungsrecht auf einen Nenner zu bringen. Opferrechte fanden darüber hinaus auch in andere Gesetzesmaterien Eingang, allen voran in die Strafprozessordnung, aber auch in das 2. Gewaltschutzgesetz 2009 und in das seit 2021 geltende Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz (HiNBG).
In der ersten Fassung des VOG ging es vor allem darum, für Opfer schwerer Körperverletzungen den Anspruch auf medizinische Behandlung sicherzustellen. Bis heute ist das VOG darauf ausgerichtet, vor allem Opfer von schweren Delikten zu unterstützen, die unter gravierenden Folgeschäden leiden. Es muss also eine vorsätzliche schwere körperliche oder gleichwertige psychische Verletzung vorliegen, damit ein Opfer Leistungen aus dem VOG erhalten kann. Die Leistungen selbst gehen mittlerweile weit über die medizinische Betreuung hinaus und umfassen Themen wie Schmerzengeld, Krisenintervention und Psychotherapie, aber auch Verdienst- und Unterhaltsentgang sowie Bestattungskosten.
Meilensteine der Entwicklung.
Novellen des VOG erweiterten Schritt für Schritt die Gruppe der Anspruchsberechtigten. So wurden beispielsweise in der Novelle von 2005 unter anderem Drittstaatsangehörige aufgenommen. Ein weiterer wesentlicher Schritt erfolgte im Jahr 2013 mit der Aufnahme von „Schockgeschädigten“. Damit haben Personen, die durch eine an einer anderen Person begangene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung nach Maßgabe bürgerlichrechtlicher Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben, Ansprüche nach dem VOG. Ebensolche Ansprüche haben Personen, die als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer solchen Handlung eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben. Diese Regelung war auch nach dem Terroranschlag im November 2020 in Wien die rechtliche Grundlage dafür, dass all jene, die eine unmittelbare Bedrohung erlebt hatten, Leistungen nach dem VOG erhalten konnten.
Seit Jänner 2020 haben Opfer eines Einbruchs in die regelmäßig bewohnte eigene Wohnung Anspruch auf Psychotherapie und Krisenintervention.
Mit dem 2. Gewaltschutzgesetz 2009 wurde eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld eingeführt. Opfer schwerer Körperverletzungen haben seither Anspruch auf einen Vorschuss durch die Republik Österreich. Denn allzu oft zahlen Täter/-innen spät oder nie – sei es, weil sie nicht ausgeforscht werden können oder weil sie nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen.
Im Jahr 2005 wurde die Möglichkeit geschaffen, negative Bescheide des Sozialministeriumservice über die Gewährung von Leistungen nach dem VOG mittels Beschwerde anzufechten. Für das Beschwerdeverfahren zuständig ist das Bundesverwaltungsgericht, gegen dessen Erkenntnis in weiterer Folge Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden kann.
Mit dem bereits erwähnten HiNBG wurde 2021 eine Basis für die Verfolgung von Verletzungen der Persönlichkeitsrechte geschaffen sowie die Verfolgung von Hass im Netz erleichtert.
Zusammenhang zwischen Schädigung und Tat.
Eine wesentliche Voraussetzung ist über all die Jahre gleichgeblieben: Es muss ein kausaler Zusammenhang zwischen der Tat und der eingetretenen Schädigung bestehen oder die Tat zumindest eine wesentliche Ursache der eingetretenen Schädigung sein. Diesen Zusammenhang festzustellen bzw. zu belegen kann schwierig sein – ganz besonders dann, wenn das Ereignis bereits einige Zeit zurückliegt oder mehrere Ereignisse als mögliche Auslöser in Frage kommen. Das Opfer hat zur Aufklärung des Verbrechens beizutragen. Diese Mitwirkungspflicht reicht vom Erstatten einer Anzeige bis zur Notwendigkeit, erforderliche Dokumente, Befunde und sonstige Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Erfolgt diese Mitwirkung nicht oder kann die Kausalität nicht festgestellt werden, so gibt es für Betroffene auch keine Leistungen aus dem VOG.
Zugang zu Leistungen nach dem VOG.
Leistungen nach dem VOG müssen beim Sozialministeriumservice des jeweiligen Bundeslandes beantragt werden. Es ist sinnvoll, sich bei dieser Antragstellung beraten zu lassen. Das kann durch Mitarbeiter/-innen des Sozialministeriumservice oder einer Opferhilfe-Einrichtung wie den WEISSEN RING geschehen. Denn es ist selbst für Personen mit juristischer Vorbildung nicht einfach, den Umfang einer Anspruchsberechtigung im Einzelfall festzustellen und alle Einzelheiten und Ausnahmen zu überblicken.
Die europäische Perspektive.
Mit dem Rahmenbeschluss des Rates der europäischen Union im Jahr 2001 erhielt die Entwicklung der Opferrechte auch eine gesamteuropäische Ausrichtung. Im Jahr 2012 wurde dieser Beschluss durch die EU-Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU ersetzt. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht wurde im Rahmen des Projekts VOCIARE geprüft. Der Abschlussbericht aus 2019 zeigt auch in Österreich offene Punkte.
Diese betrafen vor allem
- den Zugang der Opfer zu verständlichen Informationen über Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten;
- die Weitervermittlung von Opfern an Unterstützungseinrichtungen durch die Polizei, die nur bei Gewalt im persönlichen Nahbereich zufriedenstellend funktioniert;
- die Verfügbarkeit gut qualifizierter Dolmetscher/-innen;
- die individuelle Feststellung der „besonderen Schutzbedürftigkeit“ von Opfern von Straftaten;
- die finanzielle Ausstattung von Opferhilfe-Einrichtungen.
Darüber hinaus zeigte sich nach dem Terroranschlag in Wien 2020, dass auch in diesem Zusammenhang nicht alle relevanten europäischen Vorgaben umgesetzt sind. So fehlt in Österreich beispielsweise nach wie vor eine Telefonnummer als Anlaufstelle für alle Betroffenen nach einem Terroranschlag.
Ausblick und Weiterentwicklung des VOG.
Der Terroranschlag von Wien löste auch eine intensive Diskussion über das VOG aus. Derzeit wird das Verbrechensopfergesetz einer Evaluierung unterzogen. Laut Sozialministerium geht es dabei vor allem darum, festzustellen, ob die Hilfeleistungen hinsichtlich Art und Höhe noch zeitgemäß und bedarfsgerecht sind. Des Weiteren soll geprüft werden, ob allen Erscheinungsformen von Gewalthandlungen, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind, in ausreichendem Maß Rechnung getragen wird.
Brigitta Pongratz
Weiterführende Literatur
- Maria A. Eder, „Opferrechte“, NWV im Verlag Österreich GmbH, 2022
- Franz Galla, „Hass im Netz HiNBG|KoPI-G, Handbuch für die Praxis“, Facultas Verlags- und Buchhandlungs AG, 2021
- Wolfgang Gappmayer (Hrsg), „Handbuch Opferrechte“, MANZ‘sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, 2020
- Wolfgang Sicka, „Im Dickicht des Verbrechensopfergesetzes“ in „Zugang zum Recht für Kriminalitätsopfer“, VOR 10, Studienverlag Ges.m.b.H., 2021, S. 179 ff
- Victim Support Europe, „VOCIARE Synthesis Report“, 2019, online verfügbar unter victim-support.eu/publications/vociare-synthesis-report/
- Victim Support Europe, „VOCIARE Länderbericht Österreich / deutsch“, 2019, online verfügbar unter www.weisser-ring.at/vociare-die-zentralen-ergebnisse/
Finanzielle Hilfe
Ansprüche
Anspruch auf Leistungen nach VOG haben Staatsbürger/-innen der EU und des EWR bzw. Personen, die sich zum Zeitpunkt der Tat rechtmäßig in Österreich aufhielten, wenn sie
- Opfer einer Straftat (Strafdrohung > 6 Monate) sind und eine Körperverletzung, Gesundheitsschädigung oder gleichwertige psychische Verletzung erlitten haben,
- Hinterbliebene und nahe Angehörige,
- Unmittelbare, schwer traumatisierte Zeug/-innen,
- Opfer eines Einbruchsdiebstahls in die regelmäßig bewohnte eigene Wohnung sind sowie Opfer von Menschenhandel.
Leistungen nach dem VOG sind:
- Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld.
- Krisenintervention und Psychotherapie.
- Ersatz für Heilfürsorge (ärztliche Hilfe, Brillen, Hörbehelfe, Zahnersatz).
- Ersatz für orthopädische Versorgung.
- Pflegekosten, Umschulungskosten.
- Ersatz für Verdienst- und Unterhaltsentgang.
- Bestattungskosten (pauschaliert).
Häufigste Delikte, bei denen das VOG greift, sind
- vorsätzliche Handlungen gegen Leib und Leben wie Mord, Totschlag, schwere Körperverletzung,
- vorsätzliche Handlungen gegen die Freiheit wie gefährliche Drohung und Nötigung,
- vorsätzliche Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung wie Vergewaltigung bei Vorliegen einer schweren körperlichen oder gleichwertigen psychischen Verletzung.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2022
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