Dienstrecht
Belehrung und Ermahnung
Der Verwaltungsgerichtshof hat jüngst mit einer Entscheidung im verstärkten Senat klargestellt, wie mit den Instrumenten der Belehrung und der Ermahnung im Dienstrecht und Disziplinarrecht umzugehen ist.
Eine beamtete Lehrerin, die trotz Covid-Absonderung eine Gemeinderatssitzung besucht und ein Polizeibeamter, der den Mord an einem Inspektionskommandanten durch einen Kollegen ins Lächerliche gezogen hatte: Das waren die Ausgangspunkte für mehrere Verfahren unterschiedlicher Behörden und Gerichte zur gleichen Rechtsfrage – nämlich, ob die Belehrung oder Ermahnung ein reines Führungsmittel des oder der Dienstvorgesetzten ist oder ob deren Erteilung schon eine Disziplinarstrafe darstellt, die eine Sperrwirkung für eventuell nachträglich angeordnete Disziplinarverfahren zu entfalten vermag.
Ausgangslage.
Juristen haben zu einem Sachverhalt oft unterschiedliche Rechtsmeinungen. Doch gibt es Rechtsbereiche, in denen eine gefestigte Judikatur über Jahrzehnte hinweg für Rechtssicherheit in der Anwendung gesorgt hat. Von einer solchen gefestigten Rechtsmeinung ging der VwGH im Jahr 2023 im Fall der Lehrerin ab (Ra 2021/12/0078 vom 19. 07.2023). Gegen sie war von der Dienstbehörde, die im vorbeschriebenen Verhalten eine Dienstpflichtverletzung erkannte, da sie die behördliche Absonderung aufgrund einer Covid-19-Erkrankung nicht beachtet hatte, zunächst eine Ermahnung und Belehrung nach § 109 Abs 2 BDG ausgesprochen worden. Die Lehrerin verlangte einen Feststellungsbescheid zur Frage, ob sie die Belehrung und Ermahnung zu befolgen hätte bzw. ob diese überhaupt rechtmäßig sei. Weil sowohl die Dienstbehörde als auch das BVwG (W259 2240657-1/4E vom 10.11. 2021) einen solchen Antrag mangels Feststellungsinteresses als unzulässig beurteilt hatten, endete die Rechtssache vor dem VwGH. Der VwGH überraschte alle im Verfahren Beteiligten: Er sprach erstmalig – und entgegen seiner jahrzehntelangen Judikatur – aus, dass eine Belehrung oder Ermahnung seit der Dienstrechtsnovelle 2015 (BGBl I Nr 65/2015) dienstrechtliche Nachteile für den betroffenen Beamten nach sich ziehen könne, was eine disziplinäre Strafe darstelle. Damit würde eine Belehrung oder Ermahnung eine Sperrwirkung („ne bis in idem“) erzeugen und die Dienstbehörde könne kein Disziplinarverfahren gegen den Beamten anordnen, weil sonst das Doppelbestrafungsverbot missachtet würde.
Diese neue Rechtsansicht führte zu Irritationen. Während das Bundesministerium für Inneres schnell reagierte und per Erlass anordnete, dass Belehrungen oder Ermahnungen durch Dienstvorgesetzte zukünftig zuerst mit den Personalabteilungen zu akkordieren seien, mussten die Bundesdisziplinarbehörde und das BVwG mehrere offene Disziplinarverfahren einstellen, in denen eine solche Belehrung oder Ermahnung erteilt worden war. In Fachkreisen entstanden Zweifel an der Argumentationskette des VwGH.
Der zweite Fall des Polizeibeamten, der in einer herablassenden Art über den Mord an seinem Inspektionskommandanten geredet und dafür eine Belehrung oder Ermahnung erhalten hatte und der auf Grund einer späteren Weisung der Dienstbehörde disziplinär angezeigt wurde, gab die Möglichkeit, die Rechtsfrage abermals vor den VwGH zu bringen.
Sowohl die Bundesdisziplinarbehörde als auch das BVwG hatten einen Freispruch ausgesprochen, weil durch die Belehrung oder Ermahnung gemäß dem oben angeführten VwGH-Erkenntnis der Strafanspruch bereits verwirkt gewesen sei.
Dadurch war eine außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts möglich. Er führte in der Revision an, dass sich durch die Dienstrechtsnovelle 2015 an der Rechtsnatur der Belehrung oder Ermahnung nichts geändert habe, auch wenn der Gesetzgeber den gesamten Absatz neu gefasst und erlassen hatte.
Der Gesetzgeber sei seit Inkrafttreten des BDG 1979 davon ausgegangen, dass die Belehrung oder Ermahnung ein Führungsmittel des Dienstvorgesetzten ohne disziplinären Charakter sei und ein späteres Disziplinarverfahren, sofern die Dienstbehörde diese Vorgehensweise als nicht passend einstufte, möglich sein müsse. Somit liege keine Sperrwirkung oder ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot vor.
Rückkehr zur früheren Rechtsansicht.
In einem verstärkten Senat (VwGH vom 18.07.2024, Ra 2024/09/0018-11) schloss sich der VwGH dieser Argumentation an und kehrte zu seiner ursprünglichen Rechtsprechung zurück. Seit diesem Erkenntnis gilt wieder die jahrzehntelange Judikatur. Findet die Dienstbehörde, dass eine solche Vorgehensweise den Gedanken der Spezial- und Generalprävention von Disziplinarverfahren nicht ausreichend Rechnung trage, kann die Dienstbehörde eine Disziplinaranzeige anordnen.
Rechtsschutz.
Gegen eine Belehrung oder Ermahnung war bis zu den angeführten Erkenntnissen des Höchstgerichtes nur eine Selbstanzeige des Beamten möglich. Ein Rechtsschutz bestand nicht und die Selbstanzeige barg die Gefahr einer disziplinären Verurteilung.
Seit den vorgenannten Judikaten anerkennt der VwGH ein rechtliches Interesse des oder der Bediensteten, nach der Erlassung einer Belehrung oder Ermahnung einen Feststellungsbescheid bei der Dienstbehörde darüber zu beantragen, ob die Befolgung zu seinen bzw. ihren dienstlichen Pflichten gehört und die Belehrung oder Ermahnung rechtmäßig ist. Gegen einen solchen – zumeist wohl bejahenden – dienstrechtlichen Bescheid steht ein Rechtsmittel an den BVwG zu, wodurch aber kein Disziplinarverfahren in die Wege geleitet wird.
Während die Lehrerin, die die Absonderung missachtete, ohne Disziplinarstrafe für ihre Dienstpflichtverletzung davonkam, musste der Polizeibeamte im neuerlichen Verfahren eine Geldstrafe in Höhe von etwa einem Monatsbezug hinnehmen.
Mario Breuß
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2025
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