Kriminalgeschichte
Drei Morde vor dem Weihnachtsfest
Ein Jugendlicher ermordete wenige Tage vor Weihnachten 1965 in Wien seine Eltern und seinen Bruder. Der Vater des Mörders gilt auch als Vater des Sängers und Schauspielers Freddy Quinn.
Prozess gegen den 17-jährigen Rainer Warchalowski wegen dreifachen Mordes am 9. Mai 1966 im Landesgericht Wien
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Vierter Adventsonntag, 20. Dezember 1965: Eine halbe Stunde vor Mitternacht betrat ein junger Mann das Wachzimmer Tanbruckgasse in Wien-Meidling und berichtete den Sicherheitswachebeamten, dass er kurz vorher nach Hause gekommen sei, seine 55-jährige Mutter Paula Warchalowski im Vorzimmer blutüberströmt und leblos liegen gesehen habe und daraufhin zum Wachzimmer gelaufen sei.
Beim Anzeiger handelte es sich um den 17-jährigen Mittelschüler Rainer Warchalowski. Zwei Polizisten begaben sich mit ihm in die Wohnung in der Darnautgasse 10 in Wien-Meidling. Im Vorzimmer fanden Beamten die Frauenleiche und auf der Couch im Zimmer der beiden Söhne einen toten Mann, dessen Gesicht zerschnitten war. Die Polizisten vermuteten, dass es sich um Emil Warchalowski handelte, den Vater des Anzeigers. Da der zweite Sohn, der 23-jährige Winfried Warchalowski, nicht im Haus war und das Auto des Vaters fehlte, wurde eine Fahndung nach dem Technikstudenten als Elternmordverdächtigen eingeleitet.
Mordermittler des Wiener Sicherheitsbüros durchsuchten das Wohnhaus genauer und entdeckten in der Wäschelade der Sitzbank in der Bauerstube eine weitere Leiche. Es stellte sich heraus, dass es sich beim Toten um den Vater Emil handelte und die Leiche im Kinderzimmer Sohn Winfried war.
Unter Verdacht.
Rainer Warchalowski wurde im Sicherheitsbüro in der Berggasse einvernommen. Er verhielt sich gereizt und auffällig, sodass die Kriminalisten nachbohrten. Nach längerem Verhör gestand er, seine Eltern und seinen Bruder ermordet zu haben. Nach dem Motiv befragt behauptete er, dass er in der Früh nach dem Aufwachen das Gefühl gehabt habe, er müsse etwas „Unsinniges“ tun. Er habe den Schlüsselbund seines Vaters entdeckt, auf dem sich der Schlüssel für eine Kassette befand, in der sein Vater eine Armeepistole aufbewahrt hatte. Er habe die Waffe herausgenommen und seinen schlafenden Bruder erschossen. Durch den Knall des Schusses sei die Mutter aufgewacht und habe das Zimmer der Söhne betreten. Daraufhin habe er auch sie erschossen. Weil die Munition ausgegangen sei, habe er eine Axt geholt und seinen 70-jährigen Vater erschlagen. Mit der Axt habe er lange und heftig auf die Köpfe der Ermordeten eingeschlagen und mit einem Bajonett, das seinem Vater gehörte, die Gesichter verstümmelt. Dann sei er mit dem Auto des Vaters weggefahren, habe Bajonett und Axt in eine Aktentasche gegeben und in die Donau geworfen und sei nach Niederösterreich zu einer Tanzveranstaltung gefahren, bevor er zurück in Wien den Polizisten im Wachzimmer Tanbruckgasse von seinem „grausigen Fund“ in der Wohnung erzählte und bald darauf als Täter entlarvt wurde. Bei der gerichtsmedizinischen Obduktion wurden insgesamt 80 Axthiebe auf die Köpfe der Familienangehörigen festgestellt.
In der Waffenkassette des Vaters fanden die Ermittler Nacktfotos der Mutter. Sohn Rainer behauptete, die Fotos nicht beachtet zu haben. Bei einem Lokalaugenschein demonstrierte Rainer Warchalowski, wie er seine Angehörigen umgebracht hatte.
„Aggressionsneurose“.
Dreifachmord zu Weihnachten 1965 in Wien: Aufmacher in der „Bild“-Zeitung
© Cover der Bild-Zeitung, 13.12.1965
Das erste psychiatrische Gutachten über den geistigen Zustand des 17-jährigen Dreifachmörders war unklar. Als mögliche Beeinträchtigungen genannt wurden unter anderem eine beginnende Schizophrene, eine psychopathische Effektsituation und eine organische Gehirnschädigung.
Beim Geschworenengerichtsverfahren im Mai 1966 im Wiener Jugendgerichtshof wurde Prof. Hans Asperger als Gutachter hinzugezogen. Nach dem Kinderarzt wurde eine bestimmte Form des Autismus benannt („Asperger-Syndrom“). Der Gutachter bescheinigte dem Angeklagten eine hohe Intelligenz und ein großes literarisches Fachwissen. Zur Tatzeit sei der Jugendliche unter Einfluss einer Aggressionsneurose gestanden, jedoch für die Bluttat voll verantwortlich gewesen.
Im Gerichtsprozess wurde auch das familiäre Umfeld des Angeklagten beleuchtet. Die Familienverhältnisse waren verworren. Vater Emil galt als „Weiberheld“ und Tyrann. Die Eltern hatten 1945 geheiratet und in den Nachkriegsjahren in ärmlichen Verhältnissen in Wien gelebt. In der Wohnung hielt sich auch eine Geliebte des Vaters auf. Die lungenkranke Mutter ließ sich 1954 scheiden. Immer wieder gab es Streit in der Familie. Der Vater, der nach der Pensionierung für eine Werbeagentur arbeitete, soll unter anderem gedroht haben, die Mutter zu erschießen.
Höchststrafe.
Rainer Warchalowski sagte aus, er habe eigentlich nur den Vater ermorden wollen, weil er ihn gehasst habe. Seine Mutter und den Bruder habe er getötet, um Zeugen zu beseitigen. Der Angeklagte wurde vom Wiener Jugendgerichtshof wegen dreifachen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt, der Höchststrafe für jugendliche Mörder. Nach seiner Haftentlassung dürfte er seinen Namen geändert haben. Danach verliert sich seine Spur.
Die Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek verarbeitete den Kriminalfall Warchalowski in ihrem Werk „Die Ausgesperrten“.
Freddy Quinns Vater.
In seiner im Mai 2025 erschienenen Biografie „Wie es wirklich war“, erwähnte der in den 1950er- und 1960er-Jahren erfolgreichste deutschsprachige Unterhaltungssänger Freddy Quinn, dass das Mordopfer Emil Warchalowski sehr wahrscheinlich sein Vater gewesen sei. In den 1980er-Jahren habe ihn Rainer Warchalowski nach dessen Haftentlassung angerufen und ihm mitgeteilt, dass er sein Halbbruder sei. Quinn habe aber angenommen, dass es sich um einen Schwindler handle, der Geld erschleichen wolle. Deshalb habe er keinen weiteren Kontakt mit dem Anrufer gewünscht. Erst bei den Recherchen zu seiner Biografie hätten sich konkrete Hinweise auf die Vaterschaft ergeben.
Der Wiener Schriftsteller und Galerist Manfred Chobot berichtete in einem „Kurier“-Interview, dass seine Tante „Angie“ mit Emil Warchalowski einen Sohn gehabt habe, den 1922 geborenen Paul. Danach habe Warchalowski Edith Nidl kennengelernt und mit ihr den am 27. September 1931 geborenen Manfred Nidl (Freddy Quinn) gehabt. 1933 habe Warchalowski die beiden Frauen verlassen, sei 1933 nach Berlin gezogen und später nach Wien zurückgekehrt. Freddy Quinn habe laut Chobot immer gewusst, dass Emil Warchalowski sein Vater gewesen sei. Trotzdem habe der erfolgreiche Sänger und Schauspieler verschiedene Versionen über seine Kindheit und über die Identität seines leiblichen Vaters verbreitet.
Werner Sabitzer
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2025
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