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  2. Ausgabe 9-10/2025
  3. Wundballistik

Wundballistik

Untersuchung von Schusswunden

Rechtsmediziner Marcus Schwarz veranschaulichte in einem Fachvortrag im Bundeskriminalamt Verletzungsmuster anhand realer Fallbeispiele.

Marcus Schwarz, Sachverständiger für Wundballistik
Marcus Schwarz, Sachverständiger für Wundballistik
© Stefan Kroeger

Selbst schusswaffenerfahrenen Kollegen bot der Fachvortrag mit dem Titel „Wundballistik“ – (Ein)Blick in den Schuss“, am 26. Juni 2025 im Bundeskriminalamt, neue fachliche Impulse. Als Referent der von der Vereinigung Kriminaldienst Österreich (VKÖ) organisierten Veranstaltung trat Marcus Schwarz vom Institut für Rechtsmedizin in Leipzig auf. Er ist als Sachverständiger für Wundballistik tätig und kennt als Jäger den praktischen Umgang mit Schusswaffen. Wie man aus Verletzungsmustern auf den Tathergang schließen kann, erläuterte er anhand realer Beispiele.

Jagdunfall?

Dazu zählte der folgende Fall, der die Polizei vor ein Rätsel stellte: Ein erfahrener Jäger wurde neben einem Rehbock tot aufgefunden, beide waren offensichtlich an den Folgen von Schussverletzungen gestorben. Neben dem Jäger lag eine am Schaft gebrochene Bockbüchsflinte – eine für die Jagd verwendete Waffe, die über einen Flinten- und einen Büchsenlauf verfügt. Der Leichnam des Mannes wurde dem Institut für Rechtsmedizin in Leipzig zur Obduktion übergeben.
Schwarz untersuchte die Leiche und stellte fest, dass die Schussrichtung von oben nach unten verlief. Anhand der Aussagen von Personen aus dem Umfeld des Jägers und dank einer Rekonstruktion mit einer baugleichen Waffe konnte Schwarz das Rätsel lösen: Der Jäger hatte – wie davor schon öfter – versucht, den durch den Schuss nicht tödlich verletzten Rehbock durch einen Schlag mit dem Gewehrkolben zu töten. Beim Ausholen war der bereits beschädigte Schaft gebrochen. Da die Mechanik der Waffe defekt war, hatte sich die noch im Patronenlager des Büchsenlaufs befindliche Patrone gelöst. „Der Jäger hat sich durch extreme Fahrlässigkeit selbst getötet“, kommentierte Schwarz den Jagdunfall.

Replikawaffen.

Auch im Fall der am Set des Westerns „Rust“ versehentlich von Hauptdarsteller Alec Baldwin erschossenen Kamerafrau seien alle Vorsichtsmaßnahmen missachtet worden. „Die Waffenverantwortliche bereitete den Tisch mit den Waffen vor, überprüfte sie aber nicht. Der Regieassistent nahm einen Revolver, gab ihn Baldwin und sagte ,cold gun‘. Auch er überprüfte die Waffe nicht. Als Baldwin ‚Ich würde die Waffe dann so ziehen‘ sagte, hatte er schon den Finger am Abzug. Der Waffensachverständige vom FBI stellte später fest, dass Baldwin die Waffe zwingend selbst betätigt haben musste“, fasste Schwarz das Geschehen zusammen. Er betonte, dass man scharfe Waffen von Replikawaffen oft nur schwer unterscheiden könne. Schreckschusswaffen bestehen meist aus einem weniger robusten Material und haben einen verengten oder durch Sperren blockierten Lauf, um das Verschießen von Projektilen zu verhindern. Auch der Trommelspalt fällt in der Regel größer aus als bei scharfen Waffen. Es können nur kurze Knallkartuschen geladen werden. Häufig weist ein Aufdruck – etwa „RK“ für „Revolver-Knall“ – darauf hin, dass es sich um eine Schreckschusswaffe handelt.

Schussverletzungen.

Nichts für schwache Nerven war der mit Fotos illustrierte Teil des Vortrags über Schussverletzungen und Todesursachen. Der Tod durch eine Schussverletzung ist im Wesentlichen auf folgende Ursachen zurückzuführen: Wird ein großes Blutgefäß verletzt, kann der Betroffene innerlich oder äußerlich verbluten. Führt der Schuss zu schweren Schäden im Gehirn oder im oberen Rückenmark, bricht die Reizleitung des Körpers zusammen und der Tod tritt unmittelbar ein. Ein Schuss in die Brust kann Luft und Blut zwischen Lunge und Brustwand eindringen lassen, wodurch die Lunge kollabiert und das Opfer erstickt. Kommt es infolge der Verletzung zu einer Infektion, ist Multiorganversagen als Folge einer Sepsis möglich.
Je nach Art der Waffe und des Projektils sowie abhängig von der Körperhaltung des Betroffenen ergeben sich unterschiedliche Verletzungsmuster. Geübte Schützen wissen, mit welcher Munition und welcher Schusstaktik sie eine bestimmte Wirkung erzielen können. Als Beispiel führte Schwarz den Terroranschlag im Pariser Club Bataclan im Jahr 2015 an: „Die Angreifer schossen absichtlich auf den Boden, um einen Gellereffekt zu erzeugen.“ Die durch den Abprall deformierten Projektile verursachten besonders schwere Verletzungen.

Ein- und Ausschuss.

Bei Ermittlungen am Tatort geben Ein- und Ausschuss Hinweise auf die Schussrichtung und damit auf die Position des Täters ebenso wie des Opfers und auf dessen Körperhaltung. Einschüsse sind meist rund, ihr Durchmesser entspricht dem Kaliber der Waffe. Die Formen von Ausschüssen unterscheiden sich stark und erinnern mitunter an Schlag- oder Stichverletzungen. Durch Vollmantelprojektile verursachte Ausschüsse haben oft eine schlitz- oder sternförmige Ausprägung. Wird das Geschoss bei einem Kopfschuss im Schädelinneren destabilisiert, kann es zu einer massiven Sprengung der Schädelknochen und zu Gehirnaustritt kommen.
Aus dem Aussehen des Einschusslochs lässt sich auch auf die Schussentfernung schließen. Bei einem aufgesetzten Schuss wird die Haut gegen die Mündung der Waffe gedrückt, das sogenannte „Waffengesicht“ hinterlässt dabei eine typische Stanzmarke. Schüsse aus sehr geringer Entfernung führen zu Einsprengungen brennender Pulverpartikel in Haut und Kleidung. Bei Nahschüssen aus etwas größerer Distanz lagern sich Pulverrückstände kreisförmig um den Einschuss ab, wobei die Ausdehnung des Kreises in Zusammenhang mit der Schussentfernung steht.
Bei einem aufgesetzten Schuss wird meist von einem Suizid ausgegangen. Um diese Annahme zu bestätigen bzw. zu widerlegen, überprüft man, ob die Stanzmarke mit dem Waffengesicht der Tatwaffe übereinstimmt und ob die Positionierung des Schusses plausibel ist. Einen wichtigen Hinweis liefert auch der sogenannte Backspatter – durch den Einschussdruck zurückgeschleuderte Gewebe- oder Blutbestandteile – auf der Waffe. „Wenn sich ein Linkshänder angeblich rechts in den Kopf geschossen hat und am Lauf kein Backspatter zu finden ist, sollte man den Suizid in Frage stellen“, formulierte es Schwarz pointiert.

Mythen.

Abschließend nahm Schwarz gängige Mythen zur Wirkung von Schusswaffen unter die Lupe. So erklärte er, warum man – anders als in vielen Filmen – bei Beschuss hinter einer Autotür oder einem umgestürzten Tisch nicht sicher ist. Besonders viele unrealistische Darstellungen finden sich in Western, etwa wenn der Held der Geschichte seinen Freund vom Galgen schießt. Auch Szenen, in denen einem Mann der Cowboyhut vom Kopf geschossen wird, gehören laut Schwarz ins Reich der Fantasie – denn dafür ist das Projektil zu schnell und die Auftrefffläche zu klein.

Rosemarie Pexa

Der Tod im Anflug
Der Tod im Anflug

Buch

Der Tod im Anflug

Wer sich für Schusswaffen und insbesondere für Wundballistik interessiert, für den stellt das Buch „Der Tod im Anflug. Aufsehenerregende Fälle aus dem Ballistik-Labor“ von Dr. Marcus Schwarz eine wahre Fundgrube dar. Der Autor spannt einen breiten Bogen von historischen und modernen Waffen über Kaliber, Munition und Schussverletzungen bis zu kriminalistischen Ermittlungen und Schussrekonstruktionen.
Neben einer genauen Schilderung des im Vortrag erwähnten Jagdunfalls enthält das Buch zahlreiche weitere detailliert beschriebene Fallbeispiele aus der rechtsmedizinischen Praxis. In einem eigenen Kapitel geht
Schwarz Verschwörungserzählungen rund um Schussattentate auf US-amerikanische Präsidenten auf den Grund.

Schwarz, Marcus: Der Tod im Anflug.
Aufsehenerregende Fälle aus dem Ballistik-Labor.
Droemer Verlag,
München 2022


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2025

 Druckversion des Artikels (pdf, 131 kB)

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