Schleppereibekämpfung
Frühwarnsystem gegen Schlepper
Auf Initiative des Bundeskriminalamts wurde die „Taskforce Western Balkans“ als Instrument gegen die Schlepperei geschaffen. Sie fungiert als „Frühwarnsystem“, um rasch auf geänderte Migrationsrouten auf dem Balkan und steigende Zahlen von Flüchtlingen und Migranten reagieren zu können.
Joint Operational Office: Besuch des Schweizer Asylministers
Beat Jans; die Schweiz ist Mitglied der Taskforce Westbalkan
© Gerd Pachauer
Schleppereibekämpfung: Mit Herzschlagdetektoren sollen im
Fahrzeug versteckte Personen aufgespürt werden © Gerd
Pachauer
Eine Million Flüchtlinge und Migranten machten sich 2015 auf den Weg nach Europa, rund 88.000 von ihnen kamen nach Österreich – meist über die Balkanroute. Für Schlagzeilen sorgte die Schleppung von 71 Menschen aus dem Irak, dem Iran, Afghanistan und Syrien, deren Leichen im luftdicht verschlossenen Laderaum eines Kühllastwagens am 26. August 2015 im burgenländischen Parndorf gefunden worden waren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Österreich den Kampf gegen die Schlepperei intensivieren und dabei einen Fokus auf den Westbalkan legen musste.
Brigadier Gerald Tatzgern, Leiter der Abteilung 8 – Schlepperei, Menschenhandel und Sonderermittlungen im Bundeskriminalamt, hatte bereits 2010 die Idee für eine operative Plattform, auf der sich Österreich mit anderen Ländern der EU vernetzen könnte, um gemeinsam gegen das Schlepperunwesen vorzugehen. Aufgegriffen wurde sein Vorschlag schließlich anlässlich der Ereignisse des Jahres 2015.
„Innenministerin Johanna Mikl-Leitner habe ich das Konzept für das Joint Operational Office vorgestellt, durch das Österreich in Europa eine wichtigere Rolle im Kampf gegen die organisierte Schlepperkriminalität spielen kann. Umgesetzt hat es dann Wolfgang Sobotka. Seine erste Aktivität als neuer Innenminister war die Eröffnung des Büros am 4. Mai 2016“, sagt Tatzgern.
Gerald Tatzgern, Leiter der Abteilung im BK gegen Schlepperei und Menschenhandel © Gerd Pachauer
Das Joint Operational Office (JOO) wurde als Organisationseinheit des Bundeskriminalamts der Abteilung 8 zugeordnet. Es koordiniert nationale und internationale Ermittlungsverfahren, sammelt Informationen mit Bezug zu Schlepperei und illegaler Migration und erstellt Lagebilder und Analysen zu illegalen Migrationsströmen. Im „Operating-Room“ finden bis zu acht Ermittler aus EU- und Drittstaaten Platz, die internationale Ermittlungsverfahren unterstützen. Das JOO beteiligte sich im Rahmen der Europäischen multidisziplinären Plattform zur Bekämpfung krimineller Bedrohungen (EMPACT) an internationalen Joint Action-Days, einer von Europol koordinierten Kontroll- und Fahndungsmaßnahme, und ist Bindeglied zum European Migrant-Smuggling-Center (EMSC) von Europol. „Seit seiner Gründung war das Joint Operational Office in fast 4.000 Verhaftungen von Schleppern involviert, 2022 und 2023 waren es je rund 750“, sagt Tatzgern. Schwerpunkt der Arbeit des Büros ist der Balkan, zu dem Österreich traditionell gute Beziehungen hat. Die Balkanländer erhalten vom JOO Unterstützung bei der Bekämpfung der Schlepperei, etwa durch die Beschaffung von Software, die Auswertung von Mobiltelefondaten oder die Bereitstellung von Dolmetschern.
Taskforce Western Balkans.
Während seiner EU-Ratspräsidentschaft 2018 setzte Österreich einen weiteren Schritt, um die Bemühungen zur Bekämpfung der Schlepperei speziell auf der Westbalkanroute zu intensivieren: Die „Taskforce Western Balkans“ wurde am 7. Juni 2018 auf Initiative Österreichs von den Innenministern Österreichs, Ungarns, Sloweniens, Kroatiens, Serbiens, Bosnien-Herzegowinas, des Kosovo, Albaniens, Nord-Mazedoniens und Griechenlands ins Leben gerufen. Sie ist Bestandteil des Joint Operational Office; das österreichische Bundeskriminalamt hat den Vorsitz inne. Dank des Commitments der teilnehmenden Staaten und einer soliden finanziellen Ausstattung wurde mit der Taskforce ein schlagkräftiges Instrument gegen die Schlepperei geschaffen. Durch die internationale Vernetzung und den schnellen Austausch von Informationen fungiert sie als „Früh-warnsystem“, um rasch auf geänderte Migrationsrouten auf dem Balkan und steigende Zahlen von Flüchtlingen und Migranten reagieren zu können. Im Anlassfall werden die Ermittler der betroffenen Länder durch Personal, Expertise und Technik unterstützt. Die Mitgliedsstaaten kommen regelmäßig zusammen, um sich auszutauschen, ihre Aktivitäten abzustimmen und neue Maßnahmen zu entwickeln.
Österreichische Polizisten im Grenzeinsatz in Nordmazedonien – das an der Westbalkanroute liegt – bei der Sicherung der Grenzen zu Griechenland © Gerd Pachauer
Joint Declaration of Intent.
Beim Treffen der Taskforce Western Balkans Anfang 2023 in Albanien und Montenegro wurde eine Joint Declaration of Intent aufgesetzt, die Bestandteil des 36-Millionen-Euro-Projekts „Support to Strengthening the Fight against Migrants Smuggling and Trafficking in Human Beings in the Western Balkans“ (EU4FAST) ist. 20 Staaten, unterstützt von Europol, Eurojust und Frontex, unterzeichneten die Deklaration am 12. Dezember 2023 in Rom.
In der Deklaration wurden zwei von den Mitgliedsstaaten der Taskforce Western Balkans beschlossene wesentliche Neuerungen festgehalten: Der „Rapid Response-Mechanism“ gewährleistet, dass die Reaktionskräfte bei der Aufarbeitung von Schlepperfällen vor Ort so schnell wie möglich unterstützt werden. Durch den neu geschaffenen Single Point of Contact (SPOC) ist die Erreichbarkeit rund um die Uhr gegeben. „In allen Mitgliedsländern gibt es eine SPOC-Ansprechstelle, die meist in der zentralen Kriminalpolizeibehörde angesiedelt ist. In Bulgarien fungiert die Grenzpolizei mit ihrer Ermittlungseinheit als zweite Ansprechstelle“, erklärt Tatzgern. Auch die Einrichtung eines Frühwarnsystems, das auf bestimmte Indikatoren reagiert, und die Erstellung von strategischen und operativen Lagebildern wurden beschlossen.
Mitglied Türkei.
Da ein großer Teil der Flüchtlinge und Migranten auf der Balkanroute von der Türkei aus nach Mitteleuropa kommt, ist eine Unterstützung durch die Türkei unerlässlich. Um das Land für eine verstärkte Zusammenarbeit zu gewinnen, wurde von 9. bis 11. Dezember 2019 auf Einladung Österreichs ein Meeting der Taskforce Western Balkans unter der Leitung von Tatzgern in Ankara veranstaltet und mit EU-Mitteln finanziert. Alle Mitglieder der Taskforce begrüßten eine Aufnahme der Türkei im Jänner 2024.
Die Beteiligung der Türkei an Maßnahmen der Taskforce Western Balkans gegen die Schlepperei hat zu Erfolgen geführt. „Bei Ermittlungen gegen drei Schlepper, einen Österreicher, einen Rumänen und einen Türken, ist ein mit Haftbefehl Gesuchter in der Türkei identifiziert worden“, schildert Tatzgern. „Ohne die Mitwirkung der Türkei wäre es nicht möglich gewesen, den Mann auszuforschen.“
Neue App.
Die Polizisten in Nordmazedonien setzen zur Überwachung der Grenzen zu Griechenland Wärmebildkameras und Drohnen ein © Gerd Pachauer
Bei ihrer Arbeit nutzt die Taskforce Western Balkans moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, darunter die App „Connnect“. „Die App ist von Europol entwickelt worden, damit alle Schleppereibekämpfungseinheiten in der EU und am Westbalkan Informationen schnell teilen können. Sie funktioniert ähnlich wie WhatsApp, erfüllt aber hohe Sicherheitsstandards. Die alte Version gibt es seit zwei Jahren, eine neue seit zwei Monaten“, sagt Tatzgern. In Österreich hat derzeit nur die Abteilung 8 des BKs die App, sie soll in Zukunft auch den Mitarbeitern des Ermittlungsbereichs 10 Menschenhandel/Schlepperei in den Landeskriminalämtern zur Verfügung stehen.
In einem Fall wurde zeitig in der Früh ein aus Griechenland kommender Lkw in Nordmazedonien ein paar Kilometer nach der Grenze angehalten. In dem Lastwagen befanden sich rund 50 Geschleppte. Sie gaben an, dass weitere Schlepper-Lkw des gleichen Fahrzeugtyps auf dem Weg nach Norden seien. Die Ermittler vor Ort teilten Fotos des Lkw über die App, wodurch ein weiteres Schlepperfahrzeug derselben Tätergruppe in Serbien gestoppt werden konnte. Die Fahrer der Lastwägen wurden festgenommen, weitere Ermittlungen gegen die Schlepper laufen.
Balkanroute.
Die auf der Balkanroute aktiven Schlepperorganisationen stammen aus verschiedenen Regionen: vom Balkan, aus (Nord-)Afrika und aus dem Nahem Osten. Sie rivalisieren um das lukrative Geschäft mit Flüchtlingen und Migranten und bekämpfen einander dabei. „Ende Oktober 2023 ist es an der serbisch-ungarischen Grenze zu einem Schusswechsel gekommen, bei dem mehrere Beteiligte getötet worden sind“, berichtet Tatzgern.
Bereits davor war es Mitgliedsstaaten der Taskforce Western Balkans gelungen, etliche Schlepper aus dem Verkehr zu ziehen. In Zusammenarbeit mit Ungarn und Serbien konnten über hundert Schlepper identifiziert und verhaftet werden. In Kroatien gab es 2023 mehr als 1.800 Verhaftungen, dabei wurden Waffen wie AK-47-Sturmgewehre, Tausende Schuss Munition, Drogen und große Mengen an Bargeld sichergestellt.
Kooperation mit Serbien.
Innenminister Gerhard Karner bei einem Arbeitsgespräch in Serbien: Herausforderungen durch illegale Migration © Tobias Bosina
Serbien, ein bei den Schleppern beliebtes „Transitland“, machte die Grenzen zu Bulgarien und Ungarn weitgehend dicht, woraufhin die Kriminellen auf Bosnien, Kroatien, Slowenien und Italien auswichen. In letzter Zeit ist es laut Tatzgern aber erneut zu einer Verlagerung der Route gekommen: „Jetzt etablieren sich die Schleppergruppen an der serbisch-ungarischen Grenze wieder, schneiden mit Bolzenschneidern Löcher in den Grenzzaun und schießen mit Eisenkugeln auf Polizisten.“ Die Aufgriffe in Österreich sind seither wieder auf 40 bis 100 Personen pro Tag gestiegen. Ein entsprechendes Vorgehen mit Unterstützung Serbiens wurde daher beim Treffen der Taskforce Western Balkans im Oktober in Sarajevo besprochen.
Innenminister Gerhard Karner traf den serbischen Innenminister Ivica Dačić und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic am 6. August 2024 in Serbien. Die aktuellen Herausforderungen durch illegale Migration und die organisierte Kriminalität standen beim Arbeitsgespräch mit dem serbischen Präsidenten im Fokus. „Zudem ist es durch die Initiative von Bundeskanzler Karl Nehammer im Dialog mit Präsidenten Aleksandar Vučić gelungen, die Visapolitik zu verschärfen und damit auch die illegale Migration einzudämmen. Dadurch wurden vor allem Österreichs Grenzen entlastet“, sagte Innenminister Karner. Im Arbeitsgespräch betonte der serbische Innenminister Ivica Dačić die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den österreichischen Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung der Schleppermafia. Die größte Herausforderung liege hierbei nach wie vor an der serbisch-bulgarischen Grenze. Die Zusammenarbeit werde auf hohem Niveau weiter intensiv bleiben. Neben dem Kampf gegen die Schleppermafia werde weiterhin ein Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität gelegt werden.
Die Verringerung des Drucks auf die österreichischen Grenzen hinsichtlich illegaler Migration ist auch auf den Einsatz österreichischer Polizistinnen und Polizisten in den Nachbarländern zurückzuführen. Österreich unterstützt bilateral und durch Frontexentsendungen Ungarn, Kroatien, Serbien und Nordmazedonien beim Schutz ihrer Grenzen. Zuständig für die Entsendung der Polizeibediensteten ist die Gruppe Bundespolizei im Innenministerium. Neben den Kontrollen an den Grenzen gibt es auch Maßnahmen der internationalen Grenzraumkontrolle – etwa die „Operation Fox“ – sowie gemischte Streifen. Die österreichischen Polizeibediensteten sind mit modernster Technik ausgestattet, unter anderem mit Wärmebildgeräten und Drohnen. Im Rahmen der „Operation Fox“ wurden bisher rund 200 Schlepper festgenommen und über Zweitausend geschleppte Menschen wurden in Ungarn angehalten.
Ermittlungsverfahren „Löwe“.
Nicht immer sind es Lastwagen mit Fahrern aus den klassischen Herkunftsländern der Schepper, in denen Migranten und Flüchtlinge illegal nach Mitteleuropa transportiert werden. Gegenstand des ungewöhnlichen Ermittlungsverfahrens „Löwe“ im Sommer und Herbst 2023 war eine syrische Schleppergruppe. Die Syrer machten sich mit der „Loverboy“-Masche an junge deutsche Frauen heran, um sie als Schlepperinnen zu missbrauchen. In den Ermittlungen wurde eine 23-jährige Deutsche beobachtet, als sie in der Nähe des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen vier Migranten in ihr Auto steigen ließ und versuchte, in Richtung Autobahn loszufahren. Sie wurde festgenommen und gab bei der Einvernahme sowie später vor Gericht an, von ihrem „Freund“ dazu überredet worden zu sein, Schlepperfahrten für ihn zu übernehmen. Er hatte über das Telefon laufend ihren Standort kontrolliert und ihr verboten, während der mehrstündigen Fahrten Ess- und Trinkpausen einzulegen. Sie habe die Transporte freiwillig und „aus Liebe“ durchgeführt, sagte die Deutsche.
Überwachung der ungarisch-serbischen Grenze: Österreich ist mit einem Polizeikontingent an der Grenze vertreten © LPD NÖ, Gerd Pachauer
Unfall verhindert.
Auch im folgenden Fall ging es um eine syrische Schleppergruppe, deren Zerschlagung der Taskforce Western Balkans 2020 durch die Zusammenarbeit der deutschen mit den österreichischen Behörden gelang. Als Zwischenstopp auf der Schlepperroute dienten Wohnungen und Hotels in Wien, mit einem angemieteten Kastenwagen wurden die Geschleppten weiter nach Deutschland gebracht. Ein „Vorausfahrer“, der den Fahrer des Schlepperfahrzeugs vor Polizeikontrollen warnen sollte, sicherte den Transport ab. Mehrere Schlepperfahrzeuge der Tätergruppe konnten an der österreichisch-deutschen Grenze abgefangen werden.
Im November 2020 war eine weitere derartige Fahrt geplant, die weit vor der deutschen Grenze endete. Das Schlepperfahrzeug, wieder in Begleitung eines Vorausfahrers, fuhr von Wien aus in den Raum Rechnitz im Burgenland, wo nahe der österreichisch-ungarischen Grenze in einem Waldstück 19 illegal eingereiste Syrer in den Kastenwagen stiegen. In Lockenhaus wurde eine Anhaltung organisiert. Als das Schlepperfahrzeug langsamer wurde und stoppte, brachten die Beamten ein ziviles Polizeifahrzeug vor dem Lkw zum Stillstand. Fahrer und Beifahrer des Schlepperfahrzeugs flüchteten über die Böschung in ein Waldstück, sie wurden später festgenommen. Der fahrerlose Kastenwagen rollte trotz angezogener Handbremse die abfallende Straße hinunter und wurde erst von dem abgestellten Zivilfahrzeug gestoppt. „Dadurch ist ein unkontrolliertes Weiterrollen des Schlepperfahrzeug verhindert worden, bei dem die Personen im Laderaum möglicherweise schwer verletzt oder getötet worden wären“, sagt Tatzgern.
Endstation Wohnung.
Beamte des Bundeskriminalamts nahmen am 7. Oktober 2024 in Wien einen syrischen Staatsbürger fest, der im Verdacht steht, Schleppungen vom Westbalkan nach Deutschland begangen zu haben. Der Mann war mit einem Fahrzeug und sieben syrischen Flüchtlingen unterwegs von Österreich nach Deutschland gewesen. Als ihn beim Übertritt der deutschen Grenze in Passau deutsche Polizisten anhalten wollten, durchbrach er die Polizeisperre, stieg aus dem Fahrzeug und flüchtete zu Fuß.
„Die deutschen Kollegen haben das Wiener Kennzeichen des Fahrzeugs in die App Connnect der Taskforce gespielt und wir haben aufgrund der Zulassungsdaten des Fahrzeugs herausgefunden, dass der Verdächtige in Wien wohnt“, berichtet Tatzgern.
Seine Mitarbeiter begaben sich dann an die Adresse, wo der Verdächtige gemeldet ist. Gegen 21 Uhr desselben Tages kam er tatsächlich zur Wohnung. Wo die Beamten bereits warteten und ihn festnahmen. Er war mit Zug von Passau nach Wien gefahren.
Rosemarie Pexa
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2024
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