VfS-Kongress 2024
Bevölkerungsschutz, Krisen und KI
Themen des Jubiläumskongresses des Verbands für Sicherheitstechnik (VfS) waren u. a. Bevölkerungsschutz, nukleare Gefahren, Auswirkungen globaler Krisen, Gebäudesicherheit und Zufahrtsschutz.
Die diesjährige Konferenz des Verbands für Sicherheitstechnik (VfS) fand, als 30-jähriges Jubiläum, am 28. und 29. Mai 2024 in Leipzig statt. Die Veranstaltung wurde von etwa 300 Teilnehmern besucht. Inhaltlich orientieren sich die Konferenzen an aktuellen Sicherheitsanforderungen bzw. Bedrohungsszenarien. Eröffnet wurde der Kongress durch Clemens Gause, den Geschäftsführer des Verbandes. Wilfried Joswig, einer der damaligen Gründer und selbst langjähriger Geschäftsführer, gab einen Überblick über die Entstehung des Verbandes, den er im Bereich der Sicherheitstechnik als führend bezeichnet.
Als relativ kleiner Verband sei es dem VfS möglich, rasch auf sich verändernde Anforderungen einzugehen. Axel Schuh, Leiter der Branddirektion der Stadt Leipzig, rückte Fragen der Krisenbewältigung in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Künstliche Intelligenz sei ein Hilfsmittel, könne dem Menschen die Verantwortung jedoch nicht abnehmen. Die Inhalte der Vorträge waren breit gestreut und reichten von Bevölkerungsschutz und nuklearen Gefahren, den Auswirkungen globaler Krisen bis zu Gebäudesicherheit und Zufahrtsschutz.
Künstliche Intelligenz (KI).
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) definiert KI, wie Enno Dülberg, Auxsys GmbH, ausführte, als Oberbegriff für Methoden, die auf die Automatisierung von Entscheidungsvorgängen abzielen, die traditionell den Einsatz menschlicher Intelligenz erfordern. KI ermöglicht die Generierung von Text und Programmcode. Modelle wie ChatGPT haben ein breites Wissen und können Fragen menschenähnlich beantworten, was teilweise den Eindruck von Intelligenz erweckt.
KI kann ferner Bilder generieren, diese verfälschen und, wie Sora von OpenAI, aus Texten Videos erstellen. Eine Erweiterung der KI auf die physische Welt sind Roboter, die derzeit humanoid entwickelt werden, sodass die Umwelt nicht auf Roboter umgestellt werden muss.
KI weist ein exponentielles Wachstum auf, dem Grenzen insofern gesetzt erscheinen, als dass die Systeme exponentiell mehr Rechenleistung erfordern und dementsprechend mehr Energie benötigen.
Die KI könnte sich zur „Allgemeinen KI“ (Artificial General Intelligence – AGI) weiterentwickeln, die intellektuelle Aufgaben gleich einem Menschen verstehen oder erlernen kann. Diese Entwicklung könnte in etwa 10 Jahren abgeschlossen sein.
Mögliche Auswirkungen macht das vom Referenten geschilderte Gedankenexperiment des Büroklammer-Maximierers deutlich, dem die Aufgabe gestellt wird, die Produktion von Büroklammern zu erhöhen. Die AGI würde voraussichtlich zunächst einmal die Produktion verbessern, dann die eigene Intelligenz stärken, Zulieferer und Absatzmärkte übernehmen und Versuche abwehren, die eigene Optimierung zu stoppen. Letztlich würde sie, der vorgegebenen Ausrichtung (Alingment) folgend, versuchen, alles in Büroklammern umzuwandeln.
Ziel des Gedankenexperiments ist es, aufzuzeigen, dass ein Sicherheitsrisiko auch dann entstehen kann, wenn vermeintlich ungefährliche Zielvorgaben gemacht werden. KI könnte aber auch gezielt eingesetzt werden, um anderen Schaden zuzufügen. Nach aktuellem Stand erleichtert der Einsatz von KI die Manipulation von Personen durch gezielte Nachrichten, ermöglicht ausgeklügelte Social-Engineering-Angriffe, Desinformationskampagnen, Enkeltrick mit Deep Fakes, Identitätsdiebstahl, automatisierte Cyber-Angriffe oder Wirtschaftsspionage. Mittelfristig ist mit der Entwicklung von Waffensystemen und physischen Angriffen mit Robotern zu rechnen, allerdings eher von fliegenden Systemen, da diese einfacher zu automatisieren sind.
Die Europäische Union (EU) hat auf die aktuellen Entwicklungen reagiert und im Juli 2024 die KI-Verordnung (AI-Act) verabschiedet, um den Einsatz von KI innerhalb der EU zu regulieren. Dülberg hält Verbote für nur schwer durchsetzbar, da die Einhaltung technisch nur schwer überprüft werden könne. Bei KI-Systemen, die im Untergrund entwickelt werden, spielten Sicherheitsaspekte eine untergeordnete Rolle.
Sicherheit muss bei allem mitgedacht werden, das forderte Sven Meyer-Ottens, Direktionsleiter „Forum Innovative Technologien“ des BND. Sei es die Gefährdung internationaler Lieferketten, die Abhängigkeit von ausländischen Algorithmen oder der Einsatz von KI. KI kann dazu eingesetzt werden, Schwachstellen in der Infrastruktur aufzudecken, aber auch, um diese gezielt zu stören. Dabei könnte sich der „Schmetterlings-Effekt“ einstellen, dass also kleine Ursachen (Flügelschlag eines Schmetterlings) große Auswirkungen (Orkan) haben könnten.
Wegen der Gefahr der Beeinflussung durch Fake News müsste eine Authentifizierung von Medien erfolgen (Trusted AI). KI müsse sicher sein, auch, was die Trainingsdaten betrifft. Die Entwicklung des Quantencomputers, der komplexe Aufgaben in wenigen Schritten lösen könnte, werde den Energieverbrauch senken und bisher gebräuchliche Verschlüsselungssysteme angreifbar machen. In weiterer Zukunft zeichne sich das Optical-Computing ab, bei dem anstelle von Elektronen Photonen eingesetzt werden, was eine noch höhere Rechenleistung mit sich bringen werde.
Wie KI politische Entscheidungen beeinflussen kann, zeigte Wolfgang Zink von PricewaterhouseCoopers (PwC). Häufig hängen sicherheitspolitische Entscheidungen mit Stimmungsbildern in der Öffentlichkeit zusammen, die etwa durch Meinungsumfragen ermittelt werden. Diese sind aber nur ein Pulsmesser, führte der Referent aus. Durch den Einsatz von KI können die verschiedensten Textquellen, beispielsweise in den sozialen Medien, nach Stimmungen ausgewertet werden (Sentimentanalyse) und Muster in großen Datensätzen erkannt werden. Letztlich können Vorhersagemodelle (Predictive Analytics) entwickelt und Prognosen erstellt werden.
Bevölkerungsschutz.
Radiologischer Notfallschutz bedeute, sich in offener Kommunikation auf das „Undenkbare“ vorzubereiten, betonte Florian Rauser, Vizepräsident des Bundesamts für Strahlenschutz. Radiologische Notfälle mit großräumiger Ausdehnung könnten auftreten durch Notfälle in Kernkraftwerken, durch Nuklearexplosionen, durch Notfälle in Gewässern oder durch Satellitenabstürze. Kleinräumig könnte es zu terroristischen Anschlägen, Transportunfällen oder Notfällen beim Umgang mit radioaktiven Stoffen kommen. Bevölkerungsschutz müsse ganzheitlich gedacht werden.
Krisen haben im Verhältnis zu früheren Jahrzehnten nicht nur quantitativ zugenommen, sondern auch qualitativ, indem mehr Lebensbereiche als früher betroffen sind. Sie haben sich zu Polykrisen entwickelt, referierte André Röhl von der Northern Business School. Betrachtet man etwa ein Blackout, sieht man, dass Kaskadeneffekte auftreten, indem immer weitere Bevölkerungskreise einbezogen und Organisationen miterfasst werden.
Deren Kräfte sollten nach dem Muster der aus dem militärischen Bereich stammenden Multi-Domain-Operations (MDO) zusammengefasst werden, mit Vernetzung unterschiedlicher Systeme und der Verarbeitung unterschiedlicher Daten, einer sicheren, schnellen und verlässlichen Kommunikation und einer geeigneten KI-Unterstützung, insbesondere zur Auswertung und Entscheidungshilfe. Man müsse, um ein Beispiel aus dem Sport zu nehmen, vom Einzel- zum Mannschaftssport übergehen.
THW.
Die technische Unterstützung im Zivil- und Katastrophenschutz obliegt in Deutschland dem Technischen Hilfswerk (THW). Dieses ist eine Einsatzorganisation des Bundes und gehört organisatorisch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Inneres und Heimatschutz. Der Sitz des THW ist in Bonn. Die insgesamt etwa 88.000 Mitglieder sind ehrenamtlich tätig. Dazu kommen 2.200 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Janine Stock, Landesbeauftragte für den Landesverband Sachsen, Thüringen, umriss die Aufgaben des THW im Zivilschutz, nämlich technische Hilfe bei Führungsunterstützung, Rettung und Bergung, Logistik sowie Notversorgung und Instandsetzung.
Bis spätestens 2030 soll die vollumfängliche Zivilschutztüchtigkeit hergestellt und im System der Gesamtverteidigung eingebunden sein. Der Fokus soll auf hybriden Bedrohungsszenarien (Desinformation, Sabotage) liegen.
Über Maßnahmen zur physischen Sicherheit beim Schutz kritischer Gebäudebereiche, insbesondere bei Türen, berichtete Matthias Demmel vom Prüfzentrum für Bauelemente (PfB) in Rosenheim. Es bedarf einer methodischen Herangehensweise, beginnend mit einer Risikoanalyse, der Ermittlung des Anforderungsprofils, einer Bestandsaufnahme sowie der anschließenden Umsetzung und letztlich der Dokumentation.
Crashtest-Dummys.
Das Unternehmen Crashtest-Service (CTS) prüft und zertifiziert Fahrzeug-Rückhaltesysteme wie Poller, Wedges oder auch Schutzplanken nach den entsprechenden Normen. Um bei Crashtests oder einer Unfallrekonstruktion Verletzungsfolgen am menschlichen Körper darzustellen, hat das Unternehmen einen Dummy entwickelt, über den der geschäftsführende Gesellschafter, Peter Schimmelpfenning, berichtete.
Der Dummy hat eine menschenähnliche Struktur, die in Alter, Gewicht, Größe und Massenverteilung dem Mittelwert eines männlichen Erwachsenen entspricht. Knochendichte und -struktur sowie die Gelenke sind dem menschlichen Skelett nachempfunden. Der Dummy hat weiches Gewebe und verhält sich bei voller Bewegungsfreiheit wie eine bewusstlose Person. Unfälle und Verletzungsfolgen können nachgestellt werden, sogar Selbstverletzungen in Fällen von vermutetem Versicherungsbetrug. Knochenbrüche sind im medizinischen Röntgen sichtbar.
Ähnlich dem menschlichen Dummy hat das Unternehmen auch einen solchen für größere Vögel entwickelt, mit dem die Widerstandsfähigkeit der Cockpit-Scheiben von Flugzeugen bei Kollisionen mit Vögeln getestet werden kann.
Neue Produkte.
Das von der Firma Steinbach & Vollmann (STUV) vertriebene Pylocx-Schloss ist ein wartungsfreies Schließsystem, das ohne Öffnungen und ohne interne Stromversorgung auskommt. Der Schlüssel ist der pyKey, über dessen Tastatur der Code zum Öffnen des Schlosses eingegeben wird und über den auch die Stromversorgung des Schlosses erfolgt. Der pyKey wird auf die drei konzentrischen Ringe des Schlosses aufgesetzt, justiert sich dort durch Magnetkraft von selbst und bleibt in weiterer Folge haften. Mit dem Smartphone kann eine Öffnung überdies per NFC erfolgen.
Batterielose Schlösser, auch in Form robuster Vorhängeschlösser, wurden des Weiteren von iLOQ präsentiert. Die Energie für die Logik wird durch bloßes Einstecken des Schlüssels erzeugt oder per NFC über das Handy übertragen.
Vom Unternehmen Sorpetaler wurde ein durchschusshemmendes Fenster der Beschussklasse FB4 präsentiert, das hinsichtlich der Einbruchshemmung der Widerstandsklasse RC3 entspricht und sich, nach Firmenangaben, durch leichte Bauweise auszeichnet.
Die Durchwurffestigkeit eines mit Folie beschichteten Fensters der Firma Fischer Sicherheitssysteme konnte an Ort und Stelle erprobt werden. Das Unternehmen stellt auch mobile Glaswände in der Beschussklasse BR7NS her, die beispielsweise zum unauffälligen Schutz vor Beschuss im Inneren von Räumen vor Glastüren gestellt werden können.
Eine datenschutzkonforme Videoüberwachung, die im Regelfall nur die Umrisse von Personen zeigt, stellte die Firma Axis vor. Im Anlassfall kann auf Vollbild umgeschaltet werden.
Vimacc von Accellence Technologies ist ein plattformunabhängiges Videomanagementsystem mit Ende zu Ende Verschlüsselung für Videoüberwachungsanlagen.
Die Firma Pineapple präsentierte Möbel für psychiatrische und Strafvollzugsanstalten. Die Möbel (Tische, Sessel, Sitzmodule, Betten) sind, mit üblichem Komfort bei gewöhnlicher Nutzung, dahingehend ausgelegt, dass sie keine Versteckmöglichkeiten bieten und bei Gewaltausbrüchen nicht zerlegt oder geworfen werden können. Weiters werden Möbel in Ausführungen angeboten, die die Risiken von Selbstmorden durch Strangulation minimieren.
Kurt Hickisch
vfs-hh.de
Sicherheitstag
Schutz und Sicherheit
Der Sicherheitstag 2024 findet am 27. September 2024, Beginn 9 Uhr, im Palais Eschenbach in Wien statt. Es ist eine Leistungsschau aus den Bereichen Einbruchsschutz, Gebäudesicherheit, Objektbewachung
und Cybersecurity, die durch eine Reihe spannender Fachvorträge sowie durch eine informative Waffenausstellung ergänzt und inhaltlich abgerundet wird. Kooperationspartner der Veranstaltung sind die Landespolizeidirektion Wien, der Verband der Sicherheitsunternehmen Österreichs (VSÖ), die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) und das Kuratorium Einbruchschutz und Objektsicherung (KEO).
www.sicherheitstag.com
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2024
Druckversion des Artikels (PDF 557 kB)