Elektroimpulswaffen
Einsatz als Distanzwaffe
Neueste Erkenntnisse über die Verwendung der Elektroimpulswaffe Taser zeigen, dass sie ein wertvolles Einsatzmittel aber keine „Wunderwaffe“ ist. Das Risiko für das Auslösen von Herzkammerflimmern ist bei instruktionsgemäßem Einsatz des Tasers gering.
Mit der Elektroimpulswaffe werden kurze, elektrische Impulse mit hoher Spannung auf eine Person mit dem Ziel übertragen, sie angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen. Ihr primärer Anwendungszweck ist der Einsatz als Distanzwaffe. Bei entsprechendem Abstand der im Ziel steckenden Pfeilelektroden zueinander kommt es während der Stromapplikation zur Verkrampfung bei der betroffenen Person, die einer immobilisierenden Wirkung gleichkommt, und damit zu ihrer schnelleren und sicheren Entwaffnung und/oder Überwältigung beitragen soll.
Die mögliche Anwendung des Tasers als Kontaktwaffe ähnlich einem herkömmlichen Elektroschocker sollte nur in unbedingt notwendigen Ausnahmefällen erfolgen. Das ausschließliche Zufügen von Schmerz reicht vielfach für die Erreichung der gewünschten Wirkung nicht aus, erhöht eher die Gefahr für einen unverhältnismäßigen Einsatz und kann möglicherweise die Einsatzsituation weiter eskalieren lassen. Bei der österreichischen Polizei kommen die Modelle Taser X2 und Taser 7 zum Einsatz.
Wichtigste technische Fortschritte.
Zum Unterschied vom „einschüssigen“ Taser X26E ist der Taser X2 ein „zweischüssiges Modell“ mit dem Vorteil, dass bei Ausbleiben der Wirkung unmittelbar darauf das zweite Einsatzmodul verschossen werden kann. Für den Stromkreisschluss über den menschlichen Körper und damit eine Herbeiführung der immobilisierenden Wirkung kann eine obere und eine untere im Körper steckende Pfeilelektrode, unabhängig vom jeweils verschossenen Modul, ausreichen.
Der größte Vorteil des weiterentwickelten Taser 7 besteht darin, dass zwei unterschiedliche Einsatzmodule verwendet werden können. Die immobilisierende Wirkung kann anstelle einer Einsatzdistanz von rund 2 Metern ab ca. 1,2 Meter erreicht werden. Gerade in hochdynamischen Notwehrsituationen kann dies einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellen. Die in Österreich verwendete Programmierung „hard stop“ lässt keine Zyklusverlängerungen zu. Falls nötig, muss ein weiterer Stromimpulszyklus ausgelöst werden. Die Geräteauswertung macht zudem erkenntlich, ob und inwieweit tatsächlich Strom über den menschlichen Körper geflossen ist und somit die Voraussetzungen für einen möglichen Wirkungseintritt gegeben waren.
Der Taser 10 basiert zwar auf der gleichen Technik wie der Taser 7, allerdings werden anstelle von Pfeilelektrodenpaaren nur mehr einzelne Pfeilelektroden mit Bedachtnahme auf einen entsprechenden Abstand zueinander verschossen. Wiederum werden mindestens zwei im Ziel steckende Pfeilelektroden für die Herbeiführung der gewünschten Wirkung benötigt. Das Risiko für das Auslösen von Herzkammerflimmern ist bei diesem Modell am geringsten. Wie wirkungsvoll dieses Taser-Modell, anwendbar bis auf ca. 14 Meter, im Einsatz verwendet werden kann, werden die Einsatzerfahrungen zeigen. Da der Schulungsaufwand bei diesem Modell größer wird, ist eine erste „Erprobung“ in Österreich durch Angehörige des Einsatzkommandos Cobra angedacht.
Wissenschaftliche Untersuchungen.
Eine Voraussetzung für den Einsatz des Tasers bei der österreichischen Polizei stellen wissenschaftliche Erkenntnisse dar. 2009 führte das Projekt „Nutzen und Risiken der Anwendung der Elektroimpulswaffe Taser durch die Polizei: rechtliche, taktische, medizinische und technische Aspekte“ zum Ergebnis, dass die Risiken für Herzkammerflimmern, Atemstillstand oder anderer physischer und psychischer (Primär-)Folgen auch für Angehörige von Risikogruppen als sehr gering eingestuft wurden, auch wenn sie nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Auch diesbezüglich ist eine fortgeführte Prüfung der wissenschaftlichen Literatur erforderlich.
Seit dieser Zeit werden von Mitarbeitern der Technischen Universität Graz, Institut für Health Care Engineering mit angeschlossener Europaprüfstelle für Medizinprodukte, unabhängige wissenschaftliche Studien (2 Primär- und 4 Vergleichsstudien) zur Risikoermittlung eines möglichen Herzkammerflimmerns durchgeführt. Neben exakten messtechnischen Analysen wird auf Basis von Computermodellen die elektrische Durchströmung im Körperinneren erfasst und die Flimmergefährlichkeit bestimmt (sowohl durch errechnete Werte für bestimmte Elektrodenpositionierungen als auch in Form einer Gesamtrisikoabschätzung).
Risikobewertungen.
Bei ungünstigen Elektrodenplatzierungen kann das Risiko für das Auslösen von Herzkammerflimmern bis zu 10 Prozent aller Einsatzfälle betragen. Werden elektrische Impulse auf den Rücken gerichtet, ist das Risiko von Herzkammerflimmern um das ca. 30-fache geringer. Bei der Gesamtrisikoabschätzung ist zu berücksichtigen, dass das höchste Risiko für Herzkammerflimmern dann vorliegt, wenn das Herz direkt im Stromfluss liegt, während das Risiko mit zunehmendem Elektrodenabstand zum Herzen geringer wird.
Die ermittelten Gesamtrisikoabschätzungen für das Auslösen von Herzkammerflimmern betragen für das Modell Taser X2 kleiner als 0,11 bis 0,01 Prozent, für das Modell Taser 7 kleiner als 0,075 bis 0,045 Prozent und für das Modell Taser 10 kleiner als 0,015 bis 0,003 Prozent. Im Vergleich dazu ist gemäß sicherheitstechnischer Vorschriften (u. a. EN 60602-1) für Medizingeräte (wie implantierte Herzschrittmacher) ein akzeptierbares Risiko für das Auslösen von Herzkammerflimmern in der Höhe von kleiner als 0,2 – 1,0% gegeben.
Professionalität im Einsatz.
Als Träger des staatlichen Gewaltmonopols dürfen beziehungsweise müssen Polizistinnen und Polizisten Gewalt nur unter Beachtung der Rechtsgrundlagen (dazu zählt auch die Vorschriftenlage) anwenden. Hohe Aus- und Fortbildungsstandards werden durch die laufende Verwertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, des internationalen Erfahrungsaustausches als auch aus den Ergebnissen der begleitenden Einsatzevaluierungen gewährleistet.
Im Prüfungsfokus der Einsatzanalysen stehen die notwendige und verhältnismäßige Anwendung des Tasers sowie die gesetzten Folgemaßnahmen zur Risikominimierung für die betroffenen Personen. Das setzt eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus. Dazu zählt die Berücksichtigung, ob eine außerordentliche Einsatzanwendung oder erkennbare individuelle Besonderheiten bei den betroffenen Personen vorliegen. Davon wird im Einzelfall abhängen, ob für einen erforderlichen Taser-Einsatz die Voraussetzungen für einen Waffengebrauch oder einen lebensgefährdenden Waffengebrauch vorliegen müssen.
Einsatz- und Ausbildungsvorschriften.
Für die Einsatzberechtigung am Taser sind 8 Stunden Grundausbildung am Taser und 4 Stunden an lebensrettenden Sofortmaßnahmen inklusive Defibrillator sowie eine jährliche Fortbildung von 4 Stunden am Taser und 2 Stunden an lebensrettenden Sofortmaßnahmen inklusive Defibrillator zu absolvieren.
Die Zulässigkeit eines Taser-Waffengebrauchs hängt von der Prüfung möglicher ungefährlicher oder weniger gefährlichen Maßnahmen sowie dem Vergleich mit sonst einsetzbaren Dienstwaffen oder anderen Mitteln mit Waffenwirkung je nach Gefährlichkeit und situativer Eignung ab. Der Zweck des Waffengebrauchs darf ausschließlich die Herbeiführung der Angriffs-, Widerstands- oder Fluchtunfähigkeit sein. Ausgenommen dem Notwehrfall muss der beabsichtigte Erfolg mit dem zu erwartenden Schaden abgewogen werden. Grundsätzlich ist danach zu trachten, nach Möglichkeit mit der Auslösung eines Stromimpulszyklus in der Dauer von 5 Sekunden das Auslangen zu finden. Die Auslösung eines weiteren Stromimpulszyklus bedarf einer neuerlichen Prüfung der Voraussetzungen. Kopf, Hals, Nacken und Genitalien dürfen kein Trefferziel bilden.
Im Trefferfall besteht die Verpflichtung zur Unterbrechung des Stromimpulszyklus. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung beinhaltet aber auch die Prüfungsnotwendigkeit bezüglich eines möglicherweise erhöhten Risikos in der jeweiligen Einsatzsituation. Dazu zählen: außerordentliche Einsatzanwendungen wie verlängerte Stromimpulszyklen, mehrere Wiederholungen von Stromimpulszyklen und der Einsatz mehrerer Taser, erkennbare individuelle Besonderheiten der betroffenen Personen wie Angehörigkeit zu einer Risikogruppe, zierliche Statur (geringerer Abstand Pfeilelektrode zu Herz) und Gebrechlichkeit (höhere Verletzungsgefahr bei Stürzen) sowie die Beschaffenheit des Einsatzortes (Stürze aus erhöhten Positionen, Ertrinkungsgefahr im Wasser).
Anwendungsverbote bestehen, außer bei Notwehr, gegenüber schwangeren Frauen, erkennbar oder bekannt Strafunmündigen und Personen mit Hinweisen auf eine Herzschädigung sowie für den gleichzeitigen Einsatz von mehreren Tasern. Sonstige Anwendungsverbote gelten für bereits geschlossene Personen, gegenüber erkennbar mit einer brennbaren Flüssigkeit benetzten Personen sowie wenn sonst eine erkennbare Gefahr für eine Brandauslösung oder Explosion besteht (wahrnehmbarer Gasgeruch).
Evaluierungsergebnisse.
Von Juni 2006 bis Juni 2024 wurden Taser gegen Menschen bei 399 Einsätzen insgesamt 441-mal angewendet. Der durch das Verschießen der Pfeilelektroden verursachte Verkrampfungszustand bei der betroffenen Person führte viermal zu schweren Sturzverletzungen in Form von Knochenbrüchen, zweimal zu einer kurzen Bewusstlosigkeit und 45-mal zu weiteren Verletzungen in Form von Rissquetschwunden, Schürfwunden, Beulen und Blutergüssen. 271-mal waren Hautverletzungen durch die Pfeilelektroden und 19-mal Hautrötungen durch die Kontaktanwendungen die Folge. Bisher war keine tödliche Verletzung einer betroffenen Person im Zuge eines Taser-Einsatzes zu beklagen.
In 257 Fällen wurden die einschreitenden Polizistinnen und Polizisten mit Waffen bedroht, davon insgesamt 14-mal mit Schusswaffen, 210-mal mit Stich- und Schnittwaffen, 27-mal mit Schlag- und Hiebwaffen und 21-mal mit sonstigen Waffen.
In 238 Fällen reichte die Auslösung eines Stromimpulszyklus aus, um den Einsatzerfolg herbeizuführen. 67-mal mussten dazu zwei und 48-mal drei und mehr Stromimpulszyklen ausgelöst werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 64-mal das Ziel verfehlt oder der Stromkreisschluss unterbrochen wurde, 23-mal eine zu geringe Einsatzdistanz vorlag und damit der Pfeilelektrodenabstand für eine ausreichende Überlagerung der Nervenbahnen zur Herbeiführung der gewünschten immobilisierenden Wirkung zu gering war und diese auch 27-mal aufgrund der dicken/abstehenden Kleidung nicht eintreten konnte.
Eine detailliertere Auswertung wurde für die 191 Einsatzfälle mit den Taser X2 und Taser 7 im Zeitraum vom Juli 2017 bis Juni 2024 vorgenommen. Dabei wurden folgende Erfahrungen gewonnen: In 108 Fällen (56,54 %) war der Brustbereich betroffen. Die Empfehlung der Herstellerfirma, den Brustbereich als Trefferziel zu vermeiden, entspricht nicht den Erfahrungen in dynamischen und gefährlichen Einsatzlagen. Aus diesem Grunde sind in Österreich Defibrillatoren zu Taser-Einsätzen mitzuführen, auch wenn bis dato ein solcher Einsatz noch nie nötig war. In 20 Fällen (10,47 %) war der Bauchbereich, in 6 Fällen (3,14 %) der Arm-/Beinbereich, in 32 Fällen (16,75 %) der Rückenbereich und in 6 Fällen (3,14 %) ein nicht näher beschriebener Bereich bzw. einmal der Kopf- und einmal der Halsbereich betroffen. 19-mal (9,95 %) kam es zu einer Kontaktanwendung.
Der unabsichtlich aufgrund eines Greifreflex verursachte Kopftreffer wurde unmittelbar danach als absolut zu vermeidendes „No-Go“ in die Schulungen aufgenommen. Zwei Halstreffer kamen durch die Vorwärtsbewegung mit einem Messer beziehungsweise einer Rasierklinge und das damit verbundene Absenken des Oberkörpers zustande und ließ sich in der gegenständlichen Notwehrsituation nicht vermeiden.
In 34 von 191 Taser-Waffengebräuchen erlaubte die Einsatzdynamik keine Androhung des Waffengebrauchs mehr. Dass in Einzelfällen mehrfache Aufforderungen zum Fallenlassen der Waffe ohne Waffengebrauchsandrohung erfolgten, obwohl dazu die Möglichkeit bestanden hätte, wird ebenso in den Schulungen berücksichtigt. Dabei wird ebenso darauf hingewiesen, warum einzelne Organisationseinheiten ohne Kontaktanwendungen mit dem Taser auskommen und ob nicht auch in diesem Lichte wirklich jede Kontaktanwendung stichhaltig genug begründet erscheint.
Dass der Taser nicht das „Allheilmittel“ sein kann, zeigen Einsatzerfahrungen. Einmal blieb die Taser-Wirkung aufgrund der dicken Täterbekleidung aus, es konnte aber ein Pfeffersprayeinsatz erfolgreich durchgeführt werden. In einem ähnlichen Fall war erst ein weiterer Taser-Einsatz gegen beide Oberschenkel aufgrund der dort dünneren und enger anliegenden Kleidung erfolgreich. Dreimal wurde versucht, mit dem Taser einen Suizid zu verhindern und es konnte tatsächlich eine immobilisierende Wirkung herbeigeführt werden. Als diese aber nach Beendigung der Stromauslösung endete, schoss sich eine betroffene Person in den Bauch und zwei betroffene Personen schossen sich in den Kopf.
Dreimal kam es im Zuge von Wohnungsöffnungen und dabei plötzlich auftretenden Messerattacken in akuten lebensbedrohlichen Notwehr-/Nothilfesituationen zeitgleich zu einem Schusswaffengebrauch und einem Taser-Waffengebrauch. Zweimal davon verfehlte der Schuss das Ziel und der Taser wirkte sofort. Einmal wurde eine betroffene Person durch einen Schuss tödlich verletzt. Dass in diesen Einsatzfällen zweimal zwar mit dem Taser aber nicht mit der Schusswaffe getroffen wurde, war primär auf die Positionierung der die Waffen einsetzenden Beamten, die beengten räumlichen Verhältnisse und die Einsatzdynamik zurückzuführen.
Der gleichzeitige Einsatz von Dienstpistole und Taser in solchen Ausnahmesituationen zum Zwecke der Notwehr/Nothilfe konnte den Einsatzbeamten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Weniger gefährliche Maßnahmen wie auch Dialog und Deeskalation im Sinne der „3-D-Einsatzphilosophie“ waren in solchen akuten lebensbedrohlichen Einsatzsituationen nicht mehr möglich.
Hermann Zwanzinger
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2024
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