Verkehrsrecht
Straßenverkehr und Recht
Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu den Themen Lenkereigenschaft bei E-Scooter, örtliche Zuständigkeit und Beschädigung eines Verkehrsspiegels.
Lenkereigenschaft bei E-Scooter
Die Landespolizeidirektion (LPD) Wien warf dem späteren Mitbeteiligten unter anderem vor, mit einem E-Scooter eine Fußgängerzone befahren, mehr als eine Person mitgeführt und unter Missachtung des Anhaltezeichens eines Straßenaufsichtsorgans die Fahrt fortgesetzt zu haben. Mit Straferkenntnis vom 20. Juli 2021 verhängte sie gegen ihn mehrere Geldstrafen.
Das Verwaltungsgericht Wien hob dieses Straferkenntnis in Stattgabe der Beschwerde des Mitbeteiligten auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Es ging davon aus, dass eine andere – im Beschwerdeverfahren als Zeuge einvernommene – Person den E-Scooter in der Fußgängerzone gelenkt hatte. Der Mitbeteiligte hatte bloß hinter dieser Person auf dem Trittbrett gestanden und sich an der Lenkvorrichtung festgehalten. Dass er das Lenkverhalten tatsächlich beeinflusst hatte, habe sich nicht jedoch feststellen lassen. Mangels Lenkereigenschaft sei er daher kein Adressat der von der LPD Wien herangezogenen Strafbestimmungen. Die LPD Wien erhob Amtsrevision mit der Begründung, dass noch nicht geklärt sei, ob mehrere Personen gleichzeitig Lenker eines E-Scooters sein können. Die Amtsrevision hatte keinen Erfolg.
Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofs: Die von der LPD Wien als verletzt erachteten Verhaltensvorschriften (§§ 65 Abs. 3, 76a Abs. 1 und 97 Abs. 5 StVO) richten sich allesamt an den Fahrzeuglenker. Wer Fahrzeuglenker ist, lässt sich der StVO nicht eindeutig entnehmen und ist durch Auslegung der einschlägigen Bestimmungen zu ermitteln. Der Verwaltungsgerichtshof hat unter anderem eine Person, die auf einem Moped sitzt und dieses mit beiden Füßen anschiebend fortbewegt (Erkenntnis vom 30.10.1984, 83/03/0121) oder ohne Motorkraft über eine Wegstrecke von einigen Metern auf die Straße rollen lässt (Erkenntnis vom 2.7.1964, 0492/63), und eine Person, die in ein leicht schräg geparktes Fahrzeug steigt und dieses mit gelöster Handbremse zurückrollen lässt (Erkenntnis vom 28.2.2003, 2002/02/0192), jeweils als Lenker qualifiziert. Diesen Entscheidungen lässt sich entnehmen, dass für das Lenken eines Fahrzeuges und damit für die Lenkereigenschaft eine aktive Handlung erforderlich ist, mit der das Lenk- und Fahrverhalten, etwa die Geschwindigkeit oder die Fahrtrichtung, beeinflusst wird. Wer bloß in der Lage ist, auf Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit Einfluss zu nehmen, ohne dies tatsächlich zu tun, ist daher kein Lenker, weil sonst jeder Fahrzeuginsasse, der potenziell darauf einwirken könnte, als Lenker anzusehen wäre. Zu eng wäre es allerdings, nur denjenigen als Lenker zu qualifizieren, der die Lenkvorrichtung eines Fahrzeugs betätigt.
Auch wenn es nach dem Gesagten denkbar ist, mehrere Personen, die im Zusammenwirken das Lenk- und Fahrverhalten beeinflussen, als Lenker eines E-Scooters anzusehen, hat der Mitbeteiligte keinen solchen Einfluss genommen, sondern sich bloß an der Lenkvorrichtung festgehalten. Letzteres machte ihn nicht zum Lenker, weshalb eine Bestrafung nicht in Betracht kam. Die Amtsrevision war daher als unbegründet abzuweisen.
VwGH Ra 2022/02/0163,
13.6.2024
Örtliche Zuständigkeit
Mit Mandatsbescheid vom 22. November 2022 entzog die Bezirkshauptmannschaft (BH) Linz-Land einem Fahrzeuglenker, der zunächst in einer oberösterreichischen und danach in einer niederösterreichischen Justizanstalt inhaftiert war, für 30 Monate die Lenkberechtigung. Der Lenker erhob dagegen Vorstellung. Mit Vorstellungsbescheid vom 3. März 2023 bestätigte die BH Linz-Land den Mandatsbescheid.
Das Landesverwaltungsgericht (LVwG) Oberösterreich wies die Beschwerde des Lenkers gegen den Vorstellungsbescheid wegen Unzuständigkeit zurück und leitete sie dem LVwG Niederösterreich zur Entscheidung weiter. Die örtliche Zuständigkeit für Führerscheinentziehungen richtet sich, so die Begründung, nach dem Wohnsitz und hilfsweise nach dem Aufenthalt des Lenkers. Bei Erlassung des Mandatsbescheides hatte der Lenker zwar noch in Hörsching seinen Hauptwohnsitz und in der Justizanstalt Linz, wo er damals seine Strafhaft verbüßte, seinen Nebenwohnsitz. Noch vor Erlassung des Vorstellungsbescheides wurde er aber in die Justizanstalt Sonnberg in Niederösterreich verlegt, wo seitdem sein einziger Wohnsitz gemeldet ist. Eine Änderung der für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Umstände (hier: Wohnsitzmeldung) ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Da der Wohnsitz in Niederösterreich liegt, ist nunmehr das LVwG Niederösterreich zuständig; diesem ist die Beschwerde weiterzuleiten.
Das LVwG Niederösterreich wies die Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass es die Entziehungsdauer unter Ausschluss der Anrechnung von Haftzeiten auf 24 Monate herabsetzte. Der Lenker erhob dagegen Revision und war erfolgreich. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofs: Hat eine Behörde einen Mandatsbescheid erlassen, so bleibt sie für die Entscheidung über eine rechtzeitig dagegen erhobene Vorstellung auch dann örtlich zuständig, wenn sich die dafür maßgeblichen Anknüpfungspunkte – wie hier – zwischenzeitlich geändert haben. Zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof zudem ausgesprochen, dass mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die örtliche Zuständigkeit der Berufungsbehörde fixiert ist (Erkenntnis vom 28.8.2012, 2012/21/0092). Diese Rechtsprechung ist auf die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte übertragbar.
Zum Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides war eine behördliche Zuständigkeit in Oberösterreich und nicht in Niederösterreich gegeben; die Verlegung des Lenkers in die Justizanstalt Sonnberg und die dortige Wohnsitzmeldung haben daran nichts mehr geändert. Das LVwG Niederösterreich war daher örtlich unzuständig und hätte über die Beschwerde nicht in der Sache entscheiden dürfen. Daher ist sein Erkenntnis dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde des Lenkers wegen Unzuständigkeit des LVwG Niederösterreich zurückgewiesen wird.
VwGH Ra 2023/11/0114,
13.6.2024
Beschädigung eines Verkehrsspiegels
In Bestätigung eines Bescheides der BH Braunau verhängte das LVwG Oberösterreich gegen einen Fahrzeuglenker im Rechtsmittelweg eine Geldstrafe, weil er bei einem Unfall auf einer Gemeindestraße, von deren Fahrbahn er abgekommen war, einen privat aufgestellten Verkehrsspiegel beschädigt und in seiner Lage verändert hatte, ohne die nächste Polizeidienststelle oder den Straßenerhalter zu verständigen (§§ 99 Abs. 2 lit. e, 31 Abs. 1 StVO).
Die Eigentümerin der Nachbarliegenschaft, so die Begründung, hat den Verkehrsspiegel, der eindeutig der Verhinderung von Unfällen bei der Ausfahrt und damit der Verkehrssicherheit diente, zwar auf eigene Kosten außerhalb des öffentlichen Straßengrundes anbringen lassen. Dies spricht aber nicht dagegen, ihn als Einrichtung zur Sicherung und Regelung des Verkehrs (§ 31 Abs. 1 StVO) zu qualifizieren, denn gemäß § 33 Abs. 1 StVO ist eine Anbringung solcher Einrichtungen auf benachbarten Grundstücken außerhalb des öffentlichen Straßengrundes zulässig, wenn sie auf Straßengrund nicht zweckentsprechend oder nicht möglich wäre. Zudem hat die Gemeinde den Verkehrsspiegel laut eigener Auskunft „geduldet“. Als Straßenerhalterin muss sie sich seine Anbringung daher zurechnen lassen. Wegen der Zurechenbarkeit an die Gemeinde ist der Verkehrsspiegel eine Einrichtung zur Sicherung und Regelung des Verkehrs im Sinn des § 31 Abs. 1 StVO und damit ein Tatobjekt des § 99 Abs. 2 lit. e StVO, was wiederum zur Strafbarkeit des Lenkers führt.
Die Revision des Lenkers war erfolgreich. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofs: Gemäß § 98 Abs. 3 erster Satz StVO kann der Straßenerhalter auch ohne behördlichen Auftrag Einrichtungen zur Sicherung und Regelung des Verkehrs anbringen, wenn dafür eine Verordnung der Behörde gemäß § 43 StVO nicht erforderlich ist. Ein Verkehrsspiegel bedarf keiner solchen Verordnung und kann vom Straßenerhalter daher eigenmächtig angebracht werden. Gemäß § 96 Abs. 2 StVO hat die Behörde sämtliche Einrichtungen zur Sicherung und Regelung des Verkehrs, auch die vom Straßenerhalter eigenmächtig angebrachten, zumindest alle fünf Jahre auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Gegebenenfalls kann sie dem Straßenerhalter die Entfernung solcher Einrichtungen vorschreiben (§ 98 Abs. 3 zweiter Satz StVO).
Nach dieser Rechtslage ist es nicht ausgeschlossen, einen auf Privatgrund vom Liegenschaftseigentümer angebrachten Verkehrsspiegel als Einrichtung zur Sicherung und Regelung des Verkehrs gemäß § 31 Abs. 1 StVO und damit als Tatobjekt des § 99 Abs. 2 lit. e StVO zu qualifizieren. Dafür müsste die Behörde oder der Straßenerhalter aber zumindest in die Anbringung eingebunden sein und auch die Erforderlichkeit für die Verkehrssicherheit auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr geprüft haben. Im Revisionsfall gibt es dafür keine Anhaltspunkte, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.
VwGH Ro 2023/02/0013,
13.6.2024
Bernhard Krumphuber
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2024
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