Verfassungsschutz
Von Hamas bis ISKP
Von 11. bis 12. März 2024 fand der fünfte Präventionsgipfel der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) in Wien statt, mit einem Symposium unter dem Motto „Von Hamas bis ISKP: Aktuelle Herausforderungen und Bedrohungen durch islamistischen Extremismus und Terrorismus“.
Präventionsgipfel: Generaldirektor Franz Ruf, Innenminister Gerhard Karner © BMI/Gerd Pachauer
Die DSN nahm die Ereignisse im Nahen Osten zum Anlass, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und mit Expertinnen und Experten über die Eskalation in Israel und Palästina zu diskutieren sowie darüber, wer die aktuellen Akteure im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus sind, sowie über die Herausforderungen für Sicherheitsbehörden und die Wichtigkeit frühzeitiger Prävention.
„Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober hat gezeigt, dass die Bedrohungen des islamistischen Extremismus und Terrorismus alles andere als zurückgegangen sind und weiterhin eine der größten Gefahren für die nationale Sicherheit darstellen – auch in Österreich, wie dies das Einschreiten der Sicherheitsbehörden zum Jahreswechsel gezeigt hat“, sagte der Direktor der DSN, Omar Haijawi-Pirchner. Für ihn haben die letzten Monate gezeigt, dass die Gefahr für koordinierte und groß angelegte Anschläge wieder massiv gestiegen ist, was im Hinblick auf die kommenden Großveranstaltungen 2024 besonders besorgniserregend sei. Haijawi-Pirchner bekräftigte: „Der Verfassungsschutz benötigt effektive Befugnisse, die den internationalen Standards entsprechen und an den technologischen Fortschritt angepasst sind, um auf die Herausforderungen entsprechend reagieren und den bestehenden Bedrohungen wirksam entgegentreten zu können.“
Handlungsfähiger Verfassungsschutz.
Dies unterstrich auch Innenminister Gerhard Karner: „Mit kühlem Kopf die aktuellen Herausforderungen analysieren und die notwendigen Ableitungen konsequent umsetzen, das ist die Leitlinie des Verfassungsschutzes in Österreich.“ Karner betonte die Herausforderungen, mit denen sich der Verfassungsschutz konfrontiert sehe und sagte: „Messengerdienste dürfen nicht länger ein blinder Fleck für die Sicherheitsbehörden in Österreich sein.“
Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, sprach ein im Wahljahr 2024 zentrales Thema an: „Die Strafverfolgungsbehörden bemerken eine massenhafte Verbreitung von Fake-News, Deepfakes und nicht verifizierter Nachrichten über die sozialen Medien. Diese Desinformationen tragen zur weiteren Radikalisierung und ideologischen Vernetzung eines immer breiteren Publikums bei.“ Er betonte, dass verstärkt Exekutivbedienstete in der Prävention ausgebildet werden und Präventionsprogramme für unterschiedliche Zielgruppen ausgearbeitet werden, um den Herausforderungen begegnen zu können. „Der Kampf gegen Radikalisierung betrifft nicht nur die Sicherheitsbehörden. Wir sind hier als Gesellschaft gefordert.“
Experten-Meinungen.
Jan Busse: „Der Nahostkonflikt ist eine Geschichte terroristischer Gewalt.“
© BMI/Gerd Pachauer
Gerhard Conrad, ehemaliger Direktor des European Union Intelligence Analysis and Situation Center (INTCEN), unterstrich, sowohl der Angriff der Hamas, als auch der anschließende Feldzug Israels seien präzedenzlos und dass die sicherheitspolitische Tektonik in der Region, wie auch die Sicherheitslage in zahlreichen anderen Staaten mit muslimischer Bevölkerung auf absehbare Zeit verändern werden.
Dem schloss sich Jan Busse von der Universität der Bundeswehr München an und erörterte im Vortrag „Der Nahostkonflikt als eine Geschichte terroristischer Gewalt“, dass sowohl die israelische als auch die arabische Seite Gewalt als legitimes Mittel ansehen, um ihre Interessen durchzusetzen.
„Wer die Krise lösen möchte, muss auch ihre geopolitischen Ursachen verstehen“, sagte Peter Neumann. Der Professor für Sicherheitsstudien in London ist der festen Überzeugung, dass sich die Weltordnung in einer Phase des Wandels befinde, bei der es in vielen Teilen, sei es die Ukraine, der Nahe Osten bis hin nach Asien, zur Instabilität käme.
Der Frage, ob durch den Angriff der Hamas eine neue Welle des Dschihadismus bevorstehe, ging Rüdiger Lohlker von der Universität Wien nach. Für ihn suggeriere der Ausdruck einer „neuen“ Welle, dass eine „alte“ Welle abgeebbt sei. Eine Beobachtung des globalen Dschihadismus, zeige jedoch, dass ein solches Abebben nie stattgefunden habe.
Den ersten Veranstaltungstag schloss Isolde Vogel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes mit dem Thema „Antisemitismus – links, rechts, islamistisch“ ab. Spätestens seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der weltweiten Zunahme des Antisemitismus sei bekannt, was die Forschung schon lange zeige: Antisemitismus sei kein Alleinstellungsmerkmal der extremen Rechten.
Prävention in Zeiten steigender Radikalisierung.
Peter Neumann: „Die Weltordnung befindet sich in einem dramatischen Wandel.“ © BMI/Gerd Pachauer
Expertinnen und Experten des Verfassungsschutzes präsentierten am zweiten Tag der Veranstaltung im Symposium ihre Analysen zum Islamischen Staat der Khorasan Provinz (ISKP) sowie der Radikalisierung am Beispiel der „Generation Z“ und „Influencer-Preacher“. In den Diskussionspanels mit Expertinnen- und Experten des Verfassungsschutzes und aus Bereichen der Wissenschaft und der Forschung wurden diese sowie weitere Themen aufgearbeitet und mögliche Lösungsansätze gesucht.
Social Media und die rasante Verbreitung von Online-Propaganda stellen insbesondere im Hinblick auf die steigende Radikalisierung ein Gefahrenpotenzial dar. Das soziale und politische Leben der „Generation Z“ ist mehr als das jeder anderen Generation von sozialen Medien bestimmt. Besonders sogenannte „Influencer-Preacher“, die ihr konservativ-muslimisches bzw. salafistisches Gedankengut über Social-Media-Plattformen verbreiten, erfreuen sich großer Beliebtheit bei Jugendlichen.
Nach den Expertinnen und Experten ist die Bedrohungslage groß, dementsprechend sei es von enormer Bedeutung, Prävention früh anzusetzen – zu Hause, in Schulen, in Vereinen und in der Gesellschaft. In der DSN ist die Prävention sowohl auf strategischer Ebene mit dem Bundesweiten Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung (BNED) als auch mit verschiedenen Präventionsprogrammen in Schulen verankert.
„Die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Ereignisse im Nahen Osten sind noch nicht zur Gänze absehbar“, sagte Direktor Haijawi-Pirchner. „Der Terrorakt der Hamas und die Reaktion Israels werden jedoch weitreichende Folgen haben – nicht nur im Nahen Osten, sondern in ganz Europa, auch in Österreich.“
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2024
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