Tatortarbeit
Spuren als Fakten
Ob Faser-, Lack-, Brand-, Schuss-, Glas- oder Schuhspuren – das Team der Spurensicherung macht sie sichtbar, dokumentiert und sichert sie, um den Weg zur Klärung eines Tatgeschehens zu ebnen.
Am Neujahrstag 2023, um die Mittagszeit, klingelte das Telefon der Tatortgruppe 3 des Landeskriminalamts Wien – Mord in Wien-Donaustadt. Fachbereichsleiterin Chefinspektorin Sandra Pertl und vier Teammitglieder machen sich auf den Weg zum Tatort, um die Spurensicherung zu übernehmen.
Herausforderungen.
Am Tatort in Wien-Donaustadt eingetroffen, bietet sich auch für die Routiniers ein grausames Bild: ein blutüberströmter, an den Beinen gefesselter, 74-jähriger Mann liegt tot am Boden im Vorraum seines Einfamilienhauses. Das Tatortteam beginnt mit seiner Arbeit. Besonders nahe gehen auch den Profis Tatorte mit Faulleichen, Messiewohnungen oder Fälle, bei denen Kinder Opfer sind. Diese psychische wie physische Belastbarkeit, auch im Umgang mit Leichen, ist neben dem abgeschlossenen Dienstführenden-Kurs und Interesse eine der Voraussetzungen, um Teil einer Tatortgruppe zu werden.
An jedem Tatort wird zuerst die Sachlage aufgenommen. Jeder Schritt, jede Handlung muss genauen Ablaufplänen folgen, um keine Spuren zu vernichten oder zu verunreinigen. „Wir müssen uns einen Überblick verschaffen“, erklärt Pertl. „Zu Beginn legen wir einen Trampelpfad an, teilen die Mitarbeiter ein, dokumentieren fotografisch und grenzen die Tatörtlichkeit ein. Unsere wichtigsten Utensilien sind der Spurenschutz – man kennt ihn in Form von Einweg-Overalls, Mundschutz, Schuhüberzügen oder Einweghandschuhen, um eine Kontamination der Spuren zu verhindern, die Spiegelreflexkamera, um alles fotografisch zu sichern, Spurensicherungsmaterial für biologische Spuren und solches für daktyloskopische Spuren, also etwa Finger- oder Handflächenabdrücke.“
Spuren als Fakten.
Erste Spuren mussten auch an der Leiche in Wien-Donaustadt gesichert werden, damit sie nicht verloren gehen, bevor der Leichnam in die Gerichtsmedizin transportiert wurde. Zurück blieben Chaos, Glassplitter von einem Bilderrahmen mit Familienfoto und jede Menge Blut am Tatort. Kommoden und Schränke im Einfamilienhaus wurden offensichtlich durchwühlt. Zettel, Rechnungen, Kleidungstücke, Münzen und Pflanzenteile lagen auf dem Fußboden und auf den Einrichtungsgegenständen wild verstreut. Ein Kampf dürfte stattgefunden haben. Das Opfer wurde offensichtlich mit Walkingstöcken geschlagen und misshandelt. Die abgebrochenen und verbogenen Walkingstockteile wurden verpackt und gesichert. Genauso wie alle anderen herumliegenden Gegenstände, mit denen die Täter Kontakt gehabt haben könnten. „Sichergestellt werden all jene Originalspurenträger, die für eine weitere spurentechnische Untersuchung, zu Beweiszwecken und für die Klärung des Tatgeschehens von Bedeutung sein könnten“, sagt Pertl.
Finger- oder Handflächenabdrücke werden mittels Einstaubverfahren (Adhäsionsverfahren) oder mobilem Bedampfungsgerät sichtbar gemacht, fotografisch dokumentiert und mit Folie oder Abformmasse gesichert. Biologische Spuren werden entweder als Original in sterilen DNA-Sicherungstaschen verpackt oder mittels Stieltupferabrieb oder DNA-Sicherungsblattfolien gesichert. Faserspuren werden mit einem speziellen Polizeispurensicherungsklebeband gesichert. „Bei Bedarf kann ein Team des Bundeskriminalamts mit einem 3-D-Laserscanner angefordert werden, um den Tatort zu vermessen. Nachdem es heutzutage so gut wie keine Geständnisse gibt, ist es umso wichtiger, einen objektiven Sachbeweis zu finden, um den Beschuldigten die Tat zweifelsfrei nachzuweisen“, sagt Pertl.
Einsatzbereiche.
„Es gibt zwei Hauptsäulen der Tatortarbeit“, erklärt Pertl. „Die Spurensicherung und die Tatortdokumentation. Unsere Arbeit reicht vom Sichern der Spuren über die chemische Behandlung des Tatorts z. B. mittels Blue-Star-Forensic zur Sichtbarmachung latenter Blutspuren, was man auch aus TV-Serien kennt, bis hin zur Teilnahme an der Obduktion einer Leiche, Spurenadministration und Planzeichnungen im Maßstab.“
Zum Einsatz kommt das Team der Spurensicherung etwa bei Kapitalverbrechen wie Mord, Mordversuch, schwerem Raub (Home-Invasion), bedenklichen Todesfällen, Explosionstatorten, Bränden mit Toten, Vergewaltigungen oder beim Anfertigen von Phantombildern. Das ist pro Jahr je Gruppe zwischen 40- und 50-mal der Fall.
„In jedem Bundesland gibt es eine zentrale Tatortgruppe, hier in Wien sogar vier, mit insgesamt 14 Männern und 5 Frauen“, sagt Pertl. „Zusätzlich sind Bezirksspurensicherer im Einsatz und in Wien die Top-Teams, was zu einer höheren Aufklärungsquote beiträgt. Sie übernehmen jeden Tatort gerichtlich strafbarer Handlungen, an dem kriminaltechnisch verwertbare Spuren als Beweismittel oder Indizien für das Gerichtsverfahren erwartet werden und wegen der Auffindungssituation wahrscheinlich sind. In anderen Bundesländern werden wir nur in Einzelfällen tätig, etwa, wenn ein Tatort in Wien ist und eine Hausdurchsuchung in einem anderen Bundesland stattfindet und die Unterstützung der Tatortgruppe angefordert wird.“ Sieben Tage hintereinander war das Team am Tatort in Wien-Donaustadt beschäftigt. Die Hauseingangstüre wurde dazwischen immer versperrt und versiegelt. Danach mussten von den gesicherten Gegenständen und Spurenträgern Studioaufnahmen angefertigt werden. Alle gesicherten Spuren wurden im 4-Augen-Prinzip nummerisch erfasst und protokolliert und wurden an weitere auswertende Dienststellen übermittelt. In diesem Bereich hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Handlungsschritte wurden vereinfacht, Methoden spezifiziert.
Entwicklung der Tatortarbeit.
„Anfänglich war nur die daktyloskopische Spurensicherung von Bedeutung“, sagt Chefinspektor Kurt Herwey, Leiter des Assistenzbereichs 07 Tatort im Landeskriminalamt Wien. „Große Fortschritte gab es vor allem in den chemischen Spurensicherungs-Techniken durch Arbeitsgruppen innerhalb Österreichs und internationalen Erfahrungsaustausch z. B. mit dem BKA Wiesbaden. Seit 8 Jahren gibt es etwa ein akkreditiertes Labor mit Hightech-Geräten zur Sichtbarmachung von daktyloskopischen Spuren auf unterschiedlichsten Materialoberflächen. Jedoch kommt auch immer mehr moderne Technik am Tatort zum Einsatz. Biologische Spuren waren zum Beispiel bei der Gründung der Tatortgruppen im Jahr 1991 kein großes Thema.“ Heute sind DNA-Spuren nicht selten der Schlüssel zur Klärung eines Falles. „Aber auch in den DNA-Instituten der Gerichtsmedizin wurden in den letzten Jahrzehnten extreme Fortschritte gemacht“, berichtet Herwey. „Es reicht immer weniger biologisches Material aus, um DNA-Muster zu erstellen. Früher brauchte man dafür etwa ein Haar mit Wurzel. Heute gelingt das auch ohne Wurzel. Kleinste Hautpartikel reichen aus. Gleichzeitig haben sich die Sicherungsmittel für biologische Spuren verbessert. Anfänglich wurden für die Sicherung von DNA-Material Wattestiel-Tupfer mit sterilem Wasser verwendet. In den letzten Jahren setzen sich immer mehr neue DNA-Sicherungstechniken durch.
Auch lichttechnische Verfahren helfen bei der Suche und Sichtbarmachung von biologischen Spuren. Für bestimmte Spurenarten gibt es immer mehr und umfangreichere Datenbanken (Afis, DNA, auch für Schuhspuren, Fasern, Waffen, etc.), denn, was bringt eine gesicherte Tatortspur, wenn ich diese mit nichts vergleichen kann?“
Nach 24 Tagen konnte die Beweis- und Spurensicherung auch am Tatort Wien-Donaustadt durch die Tatortgruppe 3 abgeschlossen werden. Die Auswertungen der von der Tatortgruppe 3 gesicherten Spuren ergaben Trefferergebnisse. Es konnten wichtige und eindeutig objektive Sachbeweise erbracht werden, die zur Klärung der Straftat gedient haben. Als Täter wurde ein polnischer Staatsbürger ausgeforscht und bereits am 9. Jänner 2023 von Beamten des Landeskriminalamts Wien, Ermittlungsbereich Leib Leben, festgenommen. Er steht im Verdacht, auch den Mord an einer 31-jährigen Frau im Bezirk Floridsdorf begangen zu haben.
Julia Brunhofer/Herbert Zwickl
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2024
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