ALES-Tagung
Neue Überwachungsbefugnisse?
Bei der ALES-Tagung am 7. November 2023 erörterten Expertinnen und Experten verschiedene Aspekte des Spannungsfeldes zwischen einer effizienten Kriminalitätsbekämpfung durch gezielte Überwachungsbefugnisse und einem umfassenden Grundrechtsschutz.
Bei der Eröffnung der Tagung der interinterdisziplinären Forschungsstelle für modernes „Law-Enforcement“ (Austrian Center for Law-Enforcement-Sciences – ALES) wies ALES-Leiterin Susanne Reindl-Krauskopf, angesichts der Erhöhung der Terrorwarnstufe in Österreich aufgrund der Eskalationen im Nahost-Konflikt, auf die Brisanz des Tagungsthemas hin – „Überwachen wir (nicht) genug – neue Befugnisse für Polizei und Strafjustiz?“ Nach einer überleitenden Moderation widmete sich Farsam Salimi, assoziierter Professor am Institut für Strafrecht und Kriminologie und stellvertretender Rechtsschutzbeauftragter beim Bundesministerium für Inneres (BMI), der Frage, inwiefern die Sicherstellungsbefugnisse der Strafprozessordnung (StPO) den Anforderungen des digitalen Zeitalters noch gerecht werden. Ausgehend von der Annahme, die vermeintlich „technologieneutrale“ Gleichbehandlung digitaler und analoger Beweismittel in der StPO ließe sich nicht mehr rechtfertigen, verortet er einen signifikanten Reformbedarf im Bereich der strafprozessualen Sicherstellungsbefugnisse. Hierbei gelte es insbesondere, eine Trennung der Phasen des Zugriffs auf einen Datenträger und dessen Auswertung zu beachten. Wünschenswert seien außerdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Anwendung von Zwangsmitteln zur Entsperrung elektronischer Datenträger sowie Regelungen betreffend die Sicherstellung virtueller Vermögenswerte inklusive der Verankerung sogenannter „Behörden-Wallets“. „Digitale Brieftaschen“ dienen der sicheren Verwahrung konfiszierter Vermögenswerte durch Polizei und Justiz bis zur weiteren strafrechtlichen Verwertung.
Verschlüsselte Kommunikation.
Laut Reindl-Krauskopf könne der moderne Rechtsstaat es sich nicht erlauben, der organisierten Kriminalität, die meist verschlüsselt kommuniziere, einen „ermittlungsfreien Raum“ zuzugestehen. Sie forderte daher eine verfassungskonforme Neuregelung der Überwachung verschlüsselter Kommunikation. Unter Berücksichtigung jener Argumentationslinien des Verfassungsgerichtshofes, die 2019 zur Aufhebung jener Bestimmungen geführt haben, die den Einsatz des „Bundestrojaners“ ermöglichten, gelte es – um ein effektives Rechtsschutzsystem gewährleisten zu können – neben einer Restrukturierung der begleitenden Kontrolle der Maßnahme, umfassende Nebenbestimmungen wie etwa Löschungsverpflichtungen und Verwendungsbeschränkungen vorzusehen.
Cybercrime.
Einblicke in aktuelle Herausforderungen bei Cybercrime-Delikten gewährte Klaus Mits, Leiter der Abteilung „Kriminalpolizeiliche Assistenzdienste“ des Bundeskriminalamtes. Er thematisierte potenzielle Lösungsansätze und hob das Kriminalitätsphänomen des „Call-ID -Spoofings“ hervor, bei dem Telefonbetrüger durch (Ver-)Fälschung der Rufnummer die Herkunft eines Anrufes verschleiern. Auch das Problem mangelnder Identifizierbarkeit eines bestimmten (kriminellen) Nutzers im Internet bei Anwendung von CG-NAT (Carrier Grade Network Address Translation) thematisierte er: Bei dieser technischen Lösung wird eine öffentliche IP-Adresse gleichzeitig einer Vielzahl an Nutzern zugeordnet.
Telekommunikationsdaten.
Ingeborg Zerbes vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien widmete sich in ihrem Vortrag einem rechtsordnungsübergreifenden Vergleich des Zugriffs auf Telekommunikationsdaten im deutschen sowie im österreichischen Strafprozessrecht. Hierbei könne man beobachten, dass die deutschen Regelungen durchwegs umfassendere Ermittlungsbefugnisse einräumen – insbesondere bei der „Online-Durchsuchung“, die eine „Systemtotalüberwachung“ ermögliche. In Deutschland könnten – im Gegensatz zu Österreich – zusammengefasst alle Datenspuren überwacht werden.
Überwachung.
Der Frage, ob in Österreich derzeit (nicht) genug überwacht werde, gingen in der von Lisa Rösler, Universitätsassistentin am Institut für Strafrecht und Kriminologie, moderierten Podiumsdiskussion die Diskutanten Omar Haijawi-Pirchner, Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Norbert Wess, Rechtsanwalt, Ingeborg Zerbes und Bernd Ziska, Vizepräsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, nach. Einigkeit bestand dahingehend, dass in Österreich derzeit nicht mehr „sachgerecht“ überwacht werde und man dem zeitnah durch eine gesamtheitliche Reform der StPO sowie des SPG unter Einbeziehung sämtlicher Stakeholder und losgelöst von der politischen Brisanz des Themas begegnen müsse.
Johanna Schachner
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2024
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