Slowakei
Kommando der Luchse
Vor 30 Jahren wurde die Slowakei ein unabhängiger Staat. Für Anti-Terror-Einsätze und Sonderlagen ist landesweit die Spezialeinheit „Lynx Commando“ zuständig. Sie führt seit 2021 den Vorsitz im ATLAS-Verbund, dem Verbund europäischer Polizei-Spezialeinheiten.
Angehörige des „Lynx Commando“ bei einer Geiselbefreiungsübung in einem Flugzeug in Wien Schwechat
© Gerd Pachauer
Schüsse, Schreie, Menschen in Panik: Eine Gruppe von maskierten Tätern dringt mit Waffengewalt in einen Linienbus in der slowakischen Stadt Komarno ein und nimmt die Fahrgäste als Geiseln. Nach erfolglosen Verhandlungen der Polizei mit den Geiselnehmern stürmen Beamte der Sondereinheit Lynx Commando und Angehörige anderer europäischer Interventionsgruppen den Bus, überwältigen die Täter und befreien die Passagiere. Dieses Szenario war Teil einer internationalen Anti-Terror-Übung des ATLAS-Verbundes europäischer Spezialeinheiten im September 2023.
Die Speerspitze der slowakischen Polizei für Anti-Terror-Einsätze und Sonderlagen ist die Sondereinheit des Polizeipräsidiums der Slowakei (útvar osobitného určenia – UOU). Sie hat ihren Sitz in Bratislava und kommt im gesamten Staatsgebiet zum Einsatz. Seit Ende 2000 trägt die Einheit die internationale Bezeichnung „Lynx Commando“ – der Luchs ist ihr Symbol. Die Wurzeln des „Luchs-Kommandos“ gehen auf die Spezialeinheit URNA (Útvar rychlého nasazení) zurück, die 1981 als Polizei-Sondereinsatzgruppe der ehemaligen Tschechoslowakei gegründet worden war. Als mit 1. Jänner 1993 aus der Tschechoslowakei zwei neue Staaten – die Tschechische Republik und die Slowakische Republik – entstanden, führte dies zu einer Neuordnung der Polizeiorganisationen.
Noch in der Tschechoslowakei war am 1. Februar 1991 eine schnelle Interventionseinheit (Pohotovostný policajný útvar PZ Bratislava) bei der Polizeidirektion Bratislava aufgestellt wurde, die mit Teams in Bratislava, Banská Bystrica und Košice einschreiten konnte. In der Slowakei übernahm diese Einheit die Zuständigkeiten der bisherigen Sondereinheit URNA, weshalb das Jahr 1991 auch als Gründungsjahr des Lynx Commando angesehen wird. Am 1. März 1997 kam es zur Auflösung der Einsatzteams in Bratislava, Banská Bystrica und Košice – an ihrer Stelle wurde eine nationale Sondereinheit beim slowakischen Polizeipräsidium geschaffen.
Derzeit zählt das Lynx Commando weniger als 200 Bedienstete und ist in drei Abteilungen untergliedert: Die „Operative Einheit“ besteht aus drei Zügen mit Einsatzbeamten und Präzisionsschützen. Die zweite Abteilung kümmert sich um die methodische und technische Unterstützung der operativen Einsätze und das Ausbildungswesen. In dieser Abteilung sind Sprengstoff-Entschärfer, Diensthundeführer, weitere taktische Spezialisten und Instruktoren angesiedelt. Die dritte Abteilung verwaltet unter anderem den Fuhrpark der Sondereinheit; ihre Spezialgebiete sind Auslandseinsätze, Logistik und Administration. Deshalb sind ihr auch geschulte Analysten und Verhandler zugeordnet. Zu Ausbildungszwecken werden neben der Zentrale in Bratislava Einrichtungen im ganzen Land genützt.
Abzeichen der Spezial einheit „Lynx Commando“
© Gregor Wenda
Rekrutierung.
Um Mitglied des Lynx Commandos zu werden, muss man bereits Angehöriger der slowakischen Polizei sein und einen Führerschein der Klasse B besitzen. Es gibt keine Altersgrenze für Bewerbungen. Das Auswahlverfahren dauert mehrere Wochen. Am Beginn steht eine körperliche Eignungsprüfung, bei der Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer und Koordinationsfähigkeiten überprüft werden. Weiters müssen Bewerberinnen und Bewerber eine psychologische Testung und ein kommissionelles Gespräch absolvieren. Üblicherweise besteht weniger als die Hälfte der Angetretenen diese Eingangsphase. Wer sie geschafft hat, muss sich der sogenannten „Höllenwoche“ stellen, in der die Bewerber Willenskraft und Durchhaltevermögen unter Beweis stellen müssen. Bei langen Märschen mit schwerem Gepäck und anderen herausfordernden Prüfungen, erschwert durch Nahrungs- und Schlafentzug, soll sich die Belastbarkeit der Anwärter zeigen. Nur etwa zehn Prozent der Kandidaten bewältigen diese Etappe und kommen nach weiteren Untersuchungen unter Beiziehung eines Lügendetektors in die Endauswahl.
Der Rechtsrahmen für die Einsätze des Lynx Commandos findet sich im slowakischen Polizeigesetz und in Erlässen des Innenministeriums. Der Kommandant der Sondereinheit untersteht direkt dem Polizeipräsidenten; seit 1. April 2022 bekleidet Štefan Hamran, der zuvor ab 2011 das Lynx Commando geleitet hatte, dieses Amt. Die Kompetenz der Sondereinheit umfasst im wesentlichen Interventionen gegen Terroristen, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Geiselbefreiungen und Entführungen, den Schutz hochrangiger Personen, den Begleitschutz von Geldtransporten und die Sicherung diplomatischer Vertretungen der Slowakei im Ausland.
Regionale Einheiten.
Neben dem Lynx Commando gibt es in jeder der acht regionalen Polizeidirektionen der Slowakei eine „Polizeieinheit für Notfälle“ (Pohotovostný policajný útvar – PPU). Diese Einheiten, die mit den „Schnellen Reaktionskräften“ in Österreich vergleichbar sind, gehören zur Bereitschaftspolizei und verfügen über eine spezielle Ausbildung und Ausrüstung. Bei besonders komplexen Lagen übernimmt das Lynx Commando. Seit einiger Zeit bestehen Überlegungen, die regionalen Einheiten zukünftig als „Zweigstellen“ ohne Fokus auf Anti-Terror-Einsätze in das Lynx Commando zu integrieren.
Zu den Aufgaben des „Lynx Commando“ gehören unter anderem Interventionen gegen Terroristen, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Geiselbefreiungen, Entführungsfälle und der Begleitschutz von Geldtransporten
© Gerd Pachauer
Spektakuläre Einsätze.
Mehr als 1.000 Hochrisiko-Einsätze und 1.200 Transportsicherungen hat das Lynx Commando seit seiner Gründung absolviert. Gleich im ersten Jahr seines Bestehens, 1991, wurde die Sondereinheit zu einer Geiselnahme in einer Möbelfabrik beordert, die unblutig beendet werden konnte. Am 12. Juli 2010 gelang es Kräften des Lynx Commando, nach mehr als zehn Stunden eine Geiselnahme zu beenden. Ein Täter hatte drei Polizeibeamte in seine Gewalt genommen und wurde nach langwierigen ergebnislosen Verhandlungen von einem Präzisionsschützen gestoppt, um ein mögliches Blutvergießen zu verhindern. Am 5. August 2014 musste das Lynx Commando gegen einen ehemaligen Polizisten ausrücken, der nach seiner Rückkehr von Auslandseinsätzen als Söldner ins kriminelle Milieu abgerutscht war und auf der Fahndungsliste der Exekutive stand. Der Gesuchte verbarrikadierte sich im Haus seiner Eltern und eröffnete das Feuer auf die Polizeibeamten, die das Gebäude umstellten. Nach erfolglosen Verhandlungen stürmten Beamte des Lynx Commando das Haus und überwältigten den Täter, der schwer verletzt wurde. Später wurde er rechtskräftig zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Auch im Fall des Mordes am slowakischen Investigativreporter Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová im Herbst 2018 intervenierte das Lynx Commando. Das Paar war in seinem Haus in Veľká Mača erschossen worden. Die Tötungsdelikte standen mutmaßlich in engem Zusammenhang mit der journalistischen Tätigkeit Kuciaks und erregte deshalb nicht nur in der Slowakei, sondern auch auf internationaler Ebene Aufsehen. Nach intensiven Ermittlungen konnten die Täter identifiziert und vom Lynx Commando festgenommen werden.
ATLAS-Vorsitz.
Mit 1. Juli 2021 übernahm die Slowakei, vertreten durch das Lynx Commando, von Österreich den Vorsitz im ATLAS-Verbund der europäischen Polizei-Spezialeinheiten. Die feierliche Übergabe des Vorsitzes fand am 29. Juni 2021 im Hauptquartier des Einsatzkommandos Cobra in Wiener Neustadt statt. Die Slowakei kann auf langjährige Erfahrung bei der Leitung der Expertengruppe Building im ATLAS-Verbund zurückgreifen und hatte bei einem Treffen der ATLAS-Kommandanten in Helsinki im Oktober 2019 den Zuspruch erhalten, an die ATLAS-Spitze aufzurücken.
Jedes Jahr werden in der Slowakei ATLAS-Übungen durchgeführt, darunter die „Common Challenge“ mit zahlreichen europäischen Interventionsgruppen in Komarno. Mit dem Einsatzkommando Cobra bestehen durch die nachbarschaftliche Nähe besonders enge Beziehungen. So wurden bei einer „Cross Network Exercise“ des EU-Flugsicherheitsprojekts EIFS (Enhancing In-Flight-Security) mit dem ATLAS-Verbund im Oktober 2022 in Österreich auch Beamte des Lynx Commando beigezogen, um die Beendigung einer Flugzeugentführung am Flughafen Wien-Schwechat zu trainieren. Sollte das EKO Cobra bei einer Sonderlage am Flughafen Unterstützung aus dem Ausland benötigen, hätten Einsatzkräfte aus Bratislava die kürzeste Anfahrtszeit.
Gregor Wenda
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2023
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