Historische Angelegenheiten
„Tot ist nur, wer vergessen wird“
In einem Gedenkakt am 31. August 2023 wurde in Niederösterreich zweier Zwangsarbeiter gedacht, die 1943 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten mit einem Flugzeug abgestürzt waren. Mitarbeiter der historischen Abteilung des Innenministeriums arbeiteten den Fall auf.
Vor 80 Jahren, am 21. August 1943, zerschellte ein Sturzkampfbomber der Reihe Ju-88, vom Luftpark Wiener Neustadt losfliegend, im Wechselgebiet. Was zunächst wie ein Unfall während eines Trainingsfluges aussah, stellte sich als Flucht zweier polnischer Zwangsarbeiter heraus. Die im Luftpark eingesetzten Polen Stanislaus Krason und Ludwik Michalski hatten eine günstige Gelegenheit genützt, um sich eines am Gelände abgestellten Kampfflugzeuges zu bemächtigen. Sie setzten es in Betrieb und flogen damit von Wiener Neustadt aus in südliche Richtung. Es gelang ihnen nicht, Flughöhe zu erreichen. Wenige Dutzend Kilometer vom Flugfeld entfernt, wo sich nach der Ebene des Wiener Neustädter Beckens die ersten Hügel erheben, geriet das Flugzeug ins Trudeln und stürzte um 12.45 Uhr im Ortsteil Neustift am Hartberg, nahe der Bahnstation Zöbern, ab. Die beiden Piloten kamen ums Leben. Sie wurden geborgen und zwei Tage später am Friedhof in Unteraspang in einer anonymen Grabstätte beigesetzt. Die Grabinschrift und auch die Erinnerung an diesen Vorfall verblassten im Lauf der Jahrzehnte.
Späte Aufarbeitung.
Erst durch Recherchen des Militärhistorikers Dr. Markus Reisner wurde die Wissenschaft vor ein paar Jahren auf den Fall aufmerksam, unterstützt durch lokale Kenner der Materie wie etwa Kommerzialrat Robert Pompe, Dr. Max Stiglbauer, Regierungsrat Heinz Moser und andere Unterstützerinnen und Unterstützer aus der Region. Auch die polnische Botschaft in Wien und das für die Kriegs- und Opfergräberfürsorge zuständige Bundesministerium für Inneres (BMI) wurden über die Sachlage informiert, wo sich insbesondere Ulrike Hutsteiner, Georg Mandl, Andreas Drmola und Irene Hulka der Aufarbeitung annahmen. Als das für das Gedenken verantwortliche Ressort arbeitet das BMI seit Jahren an einer neuen, gemeinsamen Erinnerungskultur. Beispielhaft steht der Ankauf von Liegenschaften des ehemaligen KZs Gusen, wo nun gemeinsam mit internationalen Partnern wie der Republik Polen eine neue Gedenkstätte für das wichtigste Außenlager des KZs Mauthausen gestaltet wird. So wurde dieser Fall von Anfang an von der historischen Abteilung des BMI gemeinsam mit dem ehemaligen sowie dem aktuellen Militärattaché Polens und der Abteilung der NÖ-Landesregierung bearbeitet.
Exhumierung.
Im März 2023 wurde die Grablage in Zusammenarbeit mit dem archäologischen Institut der Universität Wien exhumiert, um Licht in die Angelegenheit zu bringen. Unter Teilnahme von Univ.-Prof. Dr. Claudia Theune wurde das Grab geöffnet; die dort aufgefundenen Knochenteile wurden entnommen. Dank der Unterstützung der anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums wurde die Identität der beiden bestatteten Personen festgestellt, ebenso konnten im Grab befindliche Flugzeugteile dank der Unterstützung nationaler und internationaler Experten dem abgestürzten Flugzeugtyp zugeordnet werden. Im Zusammenwirken mit der polnischen Botschaft wurde der Grabstein mit einer zweisprachigen Gedenktafel neu gestaltet.
Gedenkakt.
Fast auf den Tag genau 80 Jahre nach den Ereignissen fand am 31. August 2023 ein von der historischen Abteilung des BMI und der polnischen Botschaft in Wien organisierter Gedenkakt am Friedhof Unteraspang statt, in dessem Rahmen die Gedenktafel enthüllt wurde. „Tot ist nur, wer vergessen wird“, lautet die Überschrift dieser Tafel. Unter den 50 Gästen aus Österreich und Polen befanden sich Innenminister Mag. Gerhard Karner, Geschäftsträger MMag. Janusz Styczek, der stellvertretende Direktor des polnischen Instituts für nationales Gedenken Dr. Konrad Graczyk und Sektionschef Dr. Mathias Vogl. Eine gemischte Ehrenformation der Landespolizeidirektion Niederösterreich und der polnischen Armee erwies den beiden Zwangsarbeitern die letzte Ehre. Nach der Begrüßung und Eröffnung durch den Abteilungsleiter für historische Angelegenheiten Stephan Mlczoch, BA BA MSc würdigten Redner die Zusammenarbeit zwischen dem BMI und Polen in Fragen des Gedenkens und der Erinnerung.
Innenminister Karner unterstrich in seiner Rede den außergewöhnlichen Anlass für den Gedenkakt: „Ihren Namen und ihre Würde, also das, was ihnen die Nationalsozialisten nehmen wollten, bekommen zwei polnische Zwangsarbeiter 80 Jahre später wieder zurück – aus einem anonymen Grab ist nun eine würdevolle, letzte Ruhestätte geworden.“ Mit der Gedenktafel solle sichergestellt werden, „dass diese einzigartige Geschichte nie mehr in Vergessenheit gerät.“
S. M.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2023
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