Sicherheitsakademie
Unruhen, Demos, Blockaden
In der Sicherheitsakademie (SIAK) des Innenministeriums fand im Juli 2023 eine dreitägige Veranstaltung zum Themenschwerpunkt Public Order / Crowd-Management / Riot-Control“ statt.
Polizeidirektor Dr. Bernd Bürger, BA MA (Bayerisches Polizei-Fortbildungsinstitut, BPFI) gab Einblicke in die Massenpsychologie – speziell bei Großveranstaltungen und Demonstrationen – und skizzierte Vorschläge für die Polizei, wie mit dem Verhalten von Menschen in der Masse umgegangen werden könne. Er gab Vorschläge, wie Polizeibedienstete sich mental auf derartige Einsätze vorbereiten könnten: etwa sich gedanklich mit Szenarien auseinanderzusetzen und sich mit Themen zur jeweiligen Veranstaltung zu befassen. Das „polizeiliche Gegenüber“ müsse differenziert betrachtet werden. Beispielsweise setzen sich Menschenmassen bei Großversammlungen nicht nur aus einer großen Gemeinschaft mit gleichen Interessen, sondern womöglich aus vielen unterschiedlichen Gruppierungen zusammen.
Ordnungsdienst der Polizei in Österreich.
Oberst Ernst Albrecht, der frühere Kommandant der Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung – WEGA (Landespolizeidirektion Wien), erklärte die Struktur der unterschiedlichen Einheiten, die bei der heimischen Bundespolizei vorrangig für die Abwicklung im sogenannten „Großen sicherheitspolizeilichen Ordnungsdienst (GSOD)“ eingesetzt werden. Er erläuterte die „3-D-Philosophie“ (Dialog – Deeskalation – Durchsetzen) und erörterte, welche Einheiten für welche Stufen ausgebildet und ausgerüstet sind. Albrecht umrahmte seine Ausführungen mit Einsatzvideos der WEGA.
Polizeilicher Ordnungsdienst in den USA.
Captain Alan Hanson (Fairfax County Police Department) aus den USA informierte über den polizeilichen Ordnungsdienst in den USA sowie den Stand der Ausrüstung und Einsatztaktiken. 2014 wurde in den USA eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich in Europa unter anderem bei den britischen und deutschen Polizeibehörden über polizeilichen Ordnungsdienst informierte. Die amerikanischen Kollegen hätten die klare Definition der Standards für Schutzausrüstungen und diverse Einsatztaktiken beeindruckt, die sich über Jahrzehnte bewährt haben.
Aus diesen Erkenntnissen entstand unter anderem der „Public Order Response and Operation Standard“, der als amerikanisches GSOD-Handbuch betrachtet werden kann. Da in Amerika jeder Staat sowie etliche Counties oft über unterschiedlich ausgeprägte Gesetze und Polizeibehörden verfügen, wird die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit im EMAC (Emergency Management Assistance Compact) geregelt. Dies erleichtert bei Großeinsätzen oder Krisen die Anforderung bzw. Koordination von Einheiten über Staatsgrenzen hinweg. Hanson gab auch Ein- und Überblicke zu den Einsatzabläufen (Baltimore City Riots 2015 und Stürmung des US Capitols).
Niederländische Ordnungsdienstpolizei.
Chief Superintendent Paul Moss (Police Academy of The Netherlands) stellte den Zuhörern die Struktur der niederländischen Ordnungsdienstpolizei vor und erklärte, wie die Aus- und Fortbildung für derartige Einheiten geregelt sei. Beispielsweise wird in den Niederlanden die Ausbildung der Ordnungsdienstpolizei auf dem Wasser stark forciert, da es viele Einsatze auf den Gewässern gibt. Ein Hauptaugenmerk wird auf vernetzte, regelmäßige Übungen gelegt. Es finden an jedem „Practise-Thursday“ Übungen statt, an denen sämtliche Einheiten und deren Schnittstellen teilnehmen. Dies soll zu einer friktionsfreieren und effizienten Zusammenarbeit im Einsatz führen. Spezielle technische Einheiten runden das Spektrum der Ordnungsdienstpolizei in den Niederlanden ab, die für die Überwindung von Hindernissen aller Art ausgebildet und ausgerüstet sind.
Ordnungsdienst des Los Angeles Police Departments.
Captain Brian Bixler vom Los Angeles Police Department (LAPD) ließ die Zuhörer unter anderem an dem physisch und psychisch herausfordernden Polizeieinsatz „Unruhen nach dem Tod von George Floyd“ gedanklich teilhaben. Er sprach über die sozialen und taktischen Herausforderungen für den gesamten Polizeiapparat in Los Angeles. Gleichzeitig zeigte Bixler in einer ehrlichen Art und Weise auf, dass das LAPD zu dieser Zeit nur über sehr rudimentäre Taktiken im Ordnungsdienst verfügte, die aber aufgrund der Ereignisse angepasst wurden. Er stellte das neue System vor, wie derartige Phänomene beurteilt und mit polizeilichen Taktiken gemanagt werden können. Bixler stellte die Rolle der Führungskräfte in den Fokus der Entscheidungen. Sind die Aufträge klar formuliert? Welche Folgen hat meine Entscheidung? Kann ich in dynamischen Situationen klaren Kopf bewahren? Wie gehe ich mit einer Mehrzahl an Einsatzorten um? Diese Grundsätze gleichen jenen, die den Führungskräften der österreichischen Bundespolizei in der „Richtlinie des exekutivdienstlichen Führungssystems bei besonderen Lagen“ (RFbL) vermittelt werden.
Bixler stellte die berittene Polizei des LAPD vor, die auch im Ordnungsdienst zum Einsatz kommt. Sie besteht seit 1987 und umfasst derzeit rund 20 Bedienstete und 24 Dienstpferde. Der besondere Vorteil der berittenen Einheit besteht aus Sicht des LAPD unter anderem in der flexiblen Einsetzbarkeit und Manövrierfähigkeit im Gegensatz zu motorisierten Einheiten. Als effiziente taktische Komponente führte er die Tactical Response Force (TRF) an, die Verdächtige festnimmt. Diese besonderen Einheiten werden auch bei Großschadensereignissen und dergleichen eingesetzt. Diese Einheit kann in Bezug auf das Aufgabenspektrum im GSOD mit den in Österreich eingerichteten Greiftrupps/ Greifzügen der Einsatzeinheit (EE) verglichen werden.
Ordnungsdienstpolizei in Portugal.
Colonel Pedro Nogueira (Guarda Nacional Republicana, GNR), gab einen Einblick in die Organisation dieser landesweit tätigen militärischen Einheit in Portugal, die in vier unterschiedliche Levels/Teilbereiche des Einschreitens gegliedert ist. Ein Teilbereich bildet die Ordnungsdienstpolizei (Public-Order-Intervention-Group = 3rd Level of Response). Die Einheiten sind in Porto, Lissabon und Faro stationiert. Um dieser Einheit beitreten zu können, muss ein strenges Auswahlverfahren absolviert werden. Laufende Trainings und Leistungstests tragen dazu bei, dass die Bediensteten fit und durchsetzungsfähig bleiben. Nogueira gab einen Überblick über gewalttätige Demonstranten und wie die GNR einschreitet. Er informierte unter anderem über den Lkw-Lenker-Streik 2019 in Portugal, wo mit schweren Lastwägen wichtige Durchzugsstraßen blockiert wurden. Herausforderungen für die Polizei waren die Entfernung der Lkws sowie das Durchkommen polizeilicher Kräfte. Nogueira gab Einblicke in die Ausrüstung sowie die Tätigkeiten, die die GNR national wie international vornimmt. Er verwies auf die CEPOL-Conferenz in Portugal im November 2023, an der auch österreichische Vertreter als Vortragende teilnehmen werden.
Portland-Proteste.
Captain Franz Schoening vom Portland Police Department, Oregon, hielt einen Vortrag über die „100 Tage der Portland-Proteste von Mai 2020 bis Juli 2020“. Er gab einen Überblick über die Organisation und Struktur der Polizeibehörde in Portland. Die Stadt habe vielfache Erfahrung mit Demonstrationen mit Gewaltpotenzial. Die Polizei musste auch in der Öffentlichkeitsarbeit viel dazulernen. Das Portland Police Department verfügt über besonders ausgebildete Dialog-Polizisten (vgl. TAKKOM der österreichischen Bundespolizei) sowie über „Rapid Response-Teams“ (RRT), die im Anlassfall gewaltbereite Personen festnehmen. Monate vor Beginn der Proteste im Mai 2020 wandelte sich die öffentliche Meinung gegenüber der Polizei: Bedenken hinsichtlich der Voreingenommenheit und Legitimität der Polizei wuchsen. In den sozialen Medien entstanden (oft absichtlich verfälschte) Bilder und Geschichten in Verbindung mit enormer Aufmerksamkeit internationaler Medien hinsichtlich der örtlichen Proteste. Diese Ansichten führten mit der Zeit dazu, dass innerhalb der Polizei die Tätigkeit im Ordnungsdienst als „Karrierekiller“ empfunden wurde. Zudem wurden seitens der Behörden bereits seit Längerem nicht in notwendige „Rapid Response-Teams“ investiert. Am 25. Mai 2020 kam G. Floyd bei einer polizeilichen Amtshandlung zu Tode und es kam zu ersten Ausschreitungen im Stadtgebiet. Es folgten rund 100 Tage zivile Unruhen im gesamten Stadtgebiet von Portland/Oregon.
Captain Schoening führte weiter aus: Die Konversation mit den Protestierenden verlief nicht, wie gewünscht – es gab keine Kommunikation. Viele Protestierende waren gut organisiert und erschwerten taktische Maßnahmen der Polizei. Eine Herausforderung aus Sicht der Polizei stellte die Durchhaltefähigkeit der eigenen Kräfte dar. Ebenso machten richterliche oder politische Entscheidungen die (Zusammen-)Arbeit mit Unterstützungskräften der Bundespolizei bzw. der Feuerwehr teils zunichte. Die als Unterstützung eingesetzte Bundespolizei sah sich nicht an örtliche Gesetzesvorschriften gebunden und setzte ausnahmslos Bundesrecht durch, was die Situation im Zusammenhang mit den Protestierenden weiter verschlechterte. Die State Police und die umliegenden Sheriffs hätten zur Unterstützung Tränengas einsetzen müssen, was die Behörde nicht erlaubte. Zu allem Überdruss wurde an Tag 93 der Proteste eine „Trump-Truck-Rallye“ mit ca. 900 Fahrzeugen abgehalten, wobei Zusammenstöße von linken und rechten Gruppierungen befürchtet werden mussten. Nachdem die Justiz eine Anklage gegen Mitglieder der RRT erhob, traten am 17. Juni 2020 sämtliche Angehörige dieser Einheit zurück. Der Einsatz konnte schlussendlich bewältigt werden, jedoch erlitt das Ansehen der Polizei erheblichen Schaden. Der durch die gewalttätigen Proteste verursachte Schaden betrug etwa 23 Millionen Euro. Schoening legte dar, welche Erkenntnisse sie daraus gezogen hätten und was für künftige polizeiliche Lagen dieser Art bedacht bzw. in die Überlegungen hinsichtlich der Einsatztaktiken einbezogen werden sollte: Die gute Organisation des Gegenübers, Verwendung von Laser gegen Polizeibeamte, psychische Wirkung durch Laubbläser, Schilder, Farbbeutel, Pyrotechnik, Nägel in Schwimmnudeln etc. auf die Einheiten; Verwendung von Fahrzeugen und Krähenfüßen zur Unterbrechung von Transport- und Versorgungswegen der Polizei; Beamte wurden auf ihrem Weg zur bzw. von der Dienststelle von Demonstranten beleidigt und benötigten teilweise beim Schichtwechsel selbst Schutz. Dieser belastende Umstand führte dazu, dass es zu psychischen und sozialen Folgen für eine Mehrzahl an Polizeibediensteten kam. Familien und Freundschaften zerbrachen oft an dem immensen Druck des Dienstes sowie der Meinungsunterschiede in der Bevölkerung. Als Reaktion darauf wurden laut Schoening Taktiken mit Fahrzeugen oder Fahrrädern zur Ergreifung potenzieller Straftäter bzw. zur Zerstreuung von Menschenmengen erprobt. Beeindruckend ist die Einbettung von Feuerwehrsanitätern („Embedded Fire Medics“) in die Ordnungsdienstpolizei. Hierbei handelt es sich um Angehörige der Feuerwehr, die sich freiwillig für den Dienst im Ordnungsdienst melden können. Dort werden sie ausschließlich in dieser Funktion (medizinische Belange bzw. Brandbekämpfung) innerhalb der Polizeieinheiten mitgeführt und eingesetzt. Sie verfügen über eine eigene Uniform und Schutzausstattung. So können Polizisten für ihre primäre Aufgabe eingesetzt bleiben und die Zusammenarbeit sowie das Verständnis zwischen den Organisationen wird überdies gefördert.
Organisator der Veranstaltung war Chefinspektor Mag. Thomas Greis, MAS, der seit mehreren Jahren – mittlerweile auch international gut besuchte – Veranstaltungen zum Thema „Polizei und Gewalt“ in der SIAK organisiert. An der Vortragsreihe nahmen 100 Vortragende und Zuhörer aus 14 Nationen teil. Die Vorträge wurden in Englisch gehalten.
A. H.
Taktische Kommunikation
Ausbildung mit internationaler Beteiligung
Vor 5 Jahren wurde die „Taktische Kommunikation (TAKKOM)“ bei der österreichischen Bundespolizei eingeführt und erste Bedienstete wurden ausgebildet. Mittlerweile sind österreichweit rund 60 Exekutivbedienstete als „Taktische Kommunikatoren“ tätig. Sie sind immer im Team mit Kommandant, Sprecher, Techniker und Lenker im „TKF (Taktisches Kommunikationsfahrzeug)“ unterwegs und werden meist im Rahmen von Großereignissen eingesetzt. Bislang wurden rund 500 Einsätze absolviert. Die meisten TKF-Einsätze finden bei Versammlungen (Demonstrationen/Kundgebungen), Fußballspielen oder sonstigen Großevents (wie Konzerte) statt.
Um diese Tätigkeit – die „Fingerspitzengefühl“ benötigt – unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben und der jeweiligen polizeilichen Lage bewerkstelligen zu können, sind Aus- und Fortbildungen notwendig.
Die Grundausbildung „Taktische Kommunikation“ umfasst rechtliche Hintergründe und das Verständnis für polizeitaktische Vorgehensweisen. Ein wichtiger Teil der Ausbildung handelt davon, wie eine Information taktisch gezielt und in der richtigen Wortwahl zum rechten Zeitpunkt an die Menschen übermittelt werden kann. Massenphänomene sowie die „Psychologie von Menschenmassen“ werden ebenso behandelt wie die Kommunikation allgemein. Hierzu werden regelmäßig nationale und internationale Fachexperten eingeladen.
Von 10. bis 14. Juli 2023 fand die 7. Ausbildung in Wien statt, an der 14 Polizeibedienstete aus Österreich sowie je zwei Bedienstete aus Deutschland und der Schweiz teilnahmen. Aufgrund des jahrelangen Austausches zwischen diesen Ländern ist es dem Ausbildungsleiter, Chefinspektor Mag. Thomas Greis, MAS gelungen, gegenseitige Hospitationen zu organisieren. Dabei werden Einsätze besprochen und Erfahrungen ausgetauscht – so auch in dieser Ausbildungswoche, wo die bereits einsatzerfahrenen Kollegen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich die neuen „Taktischen Kommunikatoren“ mit Rat und Tat unterstützten.
TAKKOM zeigt bei jedem Einsatz erneut, dass es ein wirksames taktisches und strategisches Instrument für polizeiliche Behörden im Umgang mit größeren Menschenansammlungen darstellt. Anfragen und Besuche aus dem europäischen Ausland dazu belegen, dass man bei der österreichischen Bundespolizei am richtigen Weg ist.
A. H.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2023
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