Kriminalgeschichte
„Gewisser Zug von Grausamkeit“
Ein vierzehnjähriger Oberösterreicher erschlug im März 1935 bei Leonfelden mit einer Axt drei Menschen, raubte Geld und steckte den Vierkanthof in Brand, auf dem er gearbeitet hatte.
Am Faschingssonntag, dem 3. März 1935, um ca. 23 Uhr, bemerkten Nachbarn, dass der Vierkanthof des Bauern Josef Preining, vulgo Enzenhofer, in Weinzierl Nr. 4 bei Leonfelden (seit 1961 Bad Leonfelden) im Mühlviertel in Oberösterreich brannte. Die Nachbarn liefen zum Hof, um den Brand zu löschen und verständigten die Feuerwehr. Feuerwehrleute fanden im Stall den 64-jährigen Bauern, seine 54-jährige Frau Katharina und die 21-jährige Tochter Maria, genannt Marie, leblos und blutüberströmt vor. Die Leiche des Bauern befand sich in kniender Stellung, den Oberkörper gegen eine Bank gelehnt. Die Schädel der drei Toten waren zertrümmert, Teile der Gehirne klebten am Boden.
Die Feuerwehrleute befürchteten, dass auch der Halterbub des Bauernhofs getötet worden sein könnte. Sie wollten im Getreidekasten nachsehen, der vom Feuer verschont geblieben war. Die Tür war versperrt und der Schlüssel war in der Küche nicht auffindbar. Als die Feuerwehrleute die Türe zum Getreidekasten aufbrechen wollten, hörten sie eine Stimme. Sie brachen ein Fenster auf und zogen den 14-jährigen Johann Uebermasser ins Freie. Der Bub behauptete, um Hilfe geschrien zu haben, aber niemand habe ihn gehört.
Johann Uebermasser stammte aus einer kinderreichen Familie, die auf dem Binderbauerngut in Haid bei Leonfelden als „Inwohner“ lebte. Er galt als überdurchschnittlich intelligent und als guter Schüler, aber auch als aufsässig, frech und gewalttätig. In einem Schulbericht wurde vermerkt, er sei mürrisch und bösartig und habe verbrecherische Anlagen. Einige Verwandte seiner Mutter waren Trinker und Epileptiker. Als Dreizehnjähriger kam Uebermasser im Februar 1934 auf den Bauernhof der Familie Preining, wo er als Hüterbub und Kleinknecht arbeitete – für Kost und 100 Schilling Jahreslohn, das entspricht heute einem Wert von 430 Euro. Nebenbei besuchte er den verkürzten Schulunterricht. Mit der Magd verstand er sich gut. Vom Bauern fühlte er sich gut behandelt; Josef Preining gab ihm einmal für besonderen Fleiß zehn Schilling Extrageld.
Hansl Uebermasser erzählte den Gendarmen, dass zwei unbekannte Männer um halb neun Uhr abends an der Haustür geklopft hätten. Als er die Tür geöffnet habe, sei er überfallen und gefesselt worden. Dann hätten ihm die Räuber ein Tuch in den Mund gestopft und ihn mit dem Umbringen bedroht, sollte er schreien. Die Unbekannten hätten dann den Bauern, seine Frau und die Tochter erschlagen, Feuer gelegt und ihn nach einer Stunde in den Getreidekasten gesperrt. Uebermasser lieferte auch eine Beschreibung der Täter.
Überraschende Wende.
Bei der näheren Befragung verstrickte sich Hansl Uebermasser in Widersprüche. Bei ihm wurden 663 Schilling (heutiger Wert ca. 2.800 Euro) gefunden, die Josef Preining bei einem Ochsenverkauf eingenommen hatte. Nach stundenlangem Verhör legte der Bursche ein Geständnis ab. Er habe einen Zorn auf die Bäuerin gehabt, weil sie ihn wegen Bettnässens beschimpft und verspottet habe. Er sei sehr gekränkt gewesen und habe sie deshalb erschlagen wollen, aber auf eine passende Gelegenheit gewartet. Die Bäuerin habe sich aber nie allein auf dem Hof befunden, deshalb habe er beschlossen, auch den Bauern und die Tochter zu ermorden. Er habe gehofft, die Bluttat dadurch glaubwürdiger auf unbekannte Raubmörder lenken zu können.
Vor den Morden in die Messe.
Uebermasser besuchte am 3. März, dem Faschingssonntag, die heilige Messe und war mit seinen Eltern in Reichenthal. Am Abend kehrte er zum Enzenhofer-Gut zurück. Als am Abend der Knecht eines benachbarten Hofes die Söhne der Bauernfamilie Preining zu einer Faschingsfeier im nahen Wirtshaus abholte, entschloss sich Uebermasser, seinen Mordplan umzusetzen. Er löste gegen 20:30 Uhr im Stall einen Ochsen von der Kette und berichtete dem Bauern, dass im Stall ein Ochse frei herum laufe. Als Josef Preining den Stall betrat, schlug Uebermasser mit einer Axt von hinten so lange auf den Kopf des Bauern ein, bis sein Opfer tödlich verletzt zusammenbrach. Dann lockte der Bursche die 21-jährige Marie zum Stalltor, wo er mit der Hacke auf sie einschlug. Die junge Frau stürzte bewusstlos zu Boden. Als Uebermasser nun sein drittes Opfer in den Stall holen wollte, hörte er, dass Marie noch röchelte. Er ging zu ihr zurück und zertrümmerte ihr den Schädel, bis sie sich nicht mehr rührte. Dann zerrte er die Tote an den Füßen in den Stall.
Uebermasser rief nun nach der Bäuerin, die sich im ersten Stock des Hauses bereits zum Schlafen hingelegt hatte. Er sagte ihr, eine Kuh beginne im Stall zu kalben. Als Katharina Preining zum Stall kam, erschlug er auch sie mit Axthieben. Der Mörder durchsuchte nun den Wohnbereich nach dem Geld aus dem Ochsenverkauf, fand es aber nicht. Er ging wieder in den Stall, durchsuchte die Kleider der Leiche des Bauern, fand das Geld und nähte es in der Küche in seine Weste ein. Um Spuren zu verwischen, zündete Uebermasser den Hof an, indem er eine brennende Kerze in das Stroh steckte. Die Axt warf er ins Feuer, um seine Fingerabdrücke zu vernichten. Dann wälzte er sich im Schnee, um ein Handgemenge vorzutäuschen. Er sperrte sich im Getreidekasten ein und warf den Schlüssel beim Fenster hinaus.
Der Vierkanthof brannte bis auf die Grundmauern ab. Landwirtschaftliche Geräte wurden vernichtet, auch das Vieh kam in den Flammen um. Über 2.000 Menschen nahmen am Begräbnis der drei Mordopfer am 7. März 1935 teil, darunter der Landesbauernführer Landesrat Josef Mayrhofer und Bezirkshauptmann Ernst Fraydenegg-Monzello.
Jugendstrafe.
Hansl Uebermasser wurde in das Bezirksgericht Leonfelden gebracht und hätte zum Standgericht nach Wien überstellt werden sollen, wo ihm die Todesstrafe gedroht hätte.
Das standrechtliche Verfahren war am 10. November 1933 eingeführt worden, fünf Wochen nach einem missglückten Attentat auf Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Das Standrechtsverfahren galt für die Mord, Brandstiftung und öffentliche Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums. Es richtete sich gegen Straftäter, die auf frischer Tat betreten wurden oder deren Schuld ohne Verzug feststellbar war. Als Standgericht zuständig war das Wiener Landesgericht I.
Der Staatsanwalt des Standgerichts entschied, den Fall Uebermasser an das Jugendgericht abzutreten. Der Dreifachmörder Johann Uebermasser wurde am 13. März von Leonding zu Fuß nach Linz eskortiert. Uebermasser wurde im Juli 1935 vom Jugendschöffensenat in Linz wegen dreifachen meuchlerischen Raubmordes und des Verbrechens der Brandstiftung angeklagt. Laut psychiatrischem Gutachten war Uebermasser während der Morde geistig voll zurechnungsfähig und in der Lage, das Unrecht seiner Taten einzusehen. Eine vorübergehende Sinnesverwirrung wurde ausgeschlossen. Der Psychiater attestierte dem Angeklagten einen „gewissen Zug von Grausamkeit“. Der Angeklagte bekannte sich schuldig, die Bluttat aus Hass gegen die Bäuerin wegen der Kränkung und auch wegen Geldgier verübt zu haben.
Hansl Uebermasser wurde zu zehn Jahren strengen Arrests verurteilt, mit einem Fasttag an jedem 3. März, dem Jahrestag der Morde. Es war die höchst zulässige Strafe im Jugendgerichtsgesetz für einen Jugendlichen. Der Verurteilte zeigte keine Reue und nahm das Urteil an. Da sein Vater als gesetzlicher Vertreter mit der Verurteilung einverstanden war, wurde das Urteil sofort rechtskräftig.
Über das weitere Schicksal des Verurteilten ist nichts bekannt. Franz Steinmaßl erwähnt in seinem Buch „Arsen im Mohnknödel“, dass Johann Uebermasser während des Zweiten Weltkriegs in einem Strafbataillon gefallen sei. Nach einer anderen Version habe Uebermasser nach dem Krieg in einer Landeshauptstadt als Kaufmann gearbeitet.
Werner Sabitzer
Quellen/Literatur:
Steinmaßl, Franz: Der rätselhafte Hüterbub. In: Arsen im Mohnknödel. Kriminalität im Mühlviertel von der Jahrhundertwende bis 1938. Edition Geschichte der Heimat, Grünbach 1992, S. 300-310
Vierzehnjähriger Knabe verübt eine dreifache Mordtat. In: Erlafthal-Bote, 10. März 1935, S. 7
Drei Raubmorde eines Vierzehnjährigen. In: Illustrierte Kronen Zeitung, 7. Juli 1935, S. 4-5
Der dreifache Mörder von Weinzirl vor Gericht. In: Mühlviertler Nachrichten, 12. Juli 1935, S. 6-8
Justizgeschichte
Das „Graue Haus“
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es zu einem Anstieg der Kriminalität in Wien. Das Stadtgericht und das Gefangenenhaus in der Bürgerschranne am Hohen Markt waren diesem Anstieg nicht gewachsen. Das Zucht- und Arbeitshaus in der Leopoldstadt war ebenfalls zu klein.
Kaiser Franz I. beschloss daher, ein neues „Criminalgefangenenhaus“ zu bauen. Nach einer sehr langen Planungszeit wurde 1832 mit der Errichtung des neuen Kriminalgerichts in der Alser Vorstadt in der heutigen Landesgerichtsstraße/Alser Straße begonnen. Auf dem Gelände befanden sich davor die bürgerliche Schießstätte, andere Gebäude und der Stephans-Friedhof. Geplant war ein Gefängnistrakt mit 125 Zellen für 964 Häftlinge. Das neue, dreistöckige Kriminalgerichtsgebäude wurde am 13. Mai 1839 seiner Bestimmung übergeben. Die Finanzierung übernahm die Stadt Wien. Die Gerichtsentscheidungen erfolgten durch kommunale Richter. Anfang der 1870er-Jahre wurde das Gebäude unter anderem mit einem Schwurgerichtssaal erweitert, später erfolgten weitere Umund Ausbauten. Es gab auch eine Hauskapelle, einen Spitalstrakt, und die Armesünderzelle. 1905/06 wurde ein drittes Stockwerk aufgesetzt.
Die größten Modernisierungs- und Erweiterungsbauten erfolgten zwischen 1980 und 1995. Heute ist das Landesgericht für Strafsachen Wien das größte Gericht Österreichs. Das angebaute Gefangenenhaus (Justizanstalt Wien-Josefstadt) ist eine der am stärksten ausgelasteten Strafvollzugseinrichtungen Österreichs. Der Gebäudekomplex wurde (und wird) wegen der früheren grauen Häftlingskleidung „Graues Haus“ genannt.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2023
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