Kriminalgeschichte
Ein unerklärlicher Kindesmord
Aus einem Fluss in Wiener Neustadt wurde im November 1875 die Leiche eines Kindes geborgen. Eine junge Frau erschien bei der Polizei und gestand den Mord. Ihr Motiv erschien unerklärlich.
Am Nachmittag des 9. November 1874 befand sich ein sechsjähriges Mädchen nach einem Besuch ihrer Großmutter auf dem Heimweg in die elterliche Wohnung in Wiener Neustadt; begleitet von der dreieinhalbjährigen Anna Pescha. Unterwegs wurden die beiden Mädchen von einer jungen Frau angesprochen, die den Kindern Zuckerl versprach, wenn sie mit ihr mitkämen. Die Mädchen willigten erfreut ein. Bei einer Fabrik angelangt, gab die Unbekannte der Sechsjährigen eine kleine Schachtel und sagte, darin sei eine Münze, damit könne das Mädchen Zuckerl kaufen. Die Sechsjährige ging freudig weg, öffnete unterwegs die Schachtel und sah, dass sich darin keine Münze befand. Sie kehrte um, traf aber die anderen nicht mehr an.
Enttäuscht ging das Mädchen nach Hause und erzählte den Vorfall ihrer Mutter, die sofort die Mutter der Dreieinhalbjährigen informierte. Die beiden Mütter suchten nun die Gegend nach der vermissten Anna ab. Sie begegneten einem Mann, der die Leiche eines Kindes in den Armen hielt. Der Mann, dessen Frau und ein Arbeiter hatten das Kind im Fischabach („Warme Fischa“) treiben gesehen und aus dem Wasser gezogen. Das Mädchen war bereits tot. Es handelte sich um Anna Pescha. Die gerichtsärztliche Untersuchung ergab Tod durch Ertrinken. Äußerliche Verletzungen wurden nicht festgestellt.
Freiwilliges Geständnis.
Drei Tage nach dem Auffinden der Kindesleiche kam die 19-jährige Theresia Exel in das Polizeikommissariat Baden bei Wien und behauptete, Anna Pescha umgebracht zu haben. Sie habe das Mädchen in den Bach geworfen und den Kopf des Opfers in das Wasser gedrückt. Theresia Exel nannte ein außergewöhnliches Motiv für den Kindesmord. Sie habe die Tat aus Ärger über ihre Mutter verübt, die sie gegen ihren Willen in die Besserungsanstalt Wiener Neudorf verschafft habe. Deshalb habe sie ein schweres Verbrechen verüben wollen, um ihrer Mutter und dem Stiefvater eine „große Schande“ zu bereiten.
Das Mordmotiv erschien den Ermittlern unerklärlich. Deshalb wurde die junge Frau von Psychiatern auf ihren Geisteszustand untersucht. Die Gutachter stellten nach dreimonatiger Beobachtung im Allgemeinen Krankenhaus in Wien fest, dass Theresia Exel geistig gesund sei und den Mord nicht unter dem Einfluss einer, wenn auch nur vorübergehenden Geistesstörung verübt habe.
Theresia Exel, geboren am 14. September 1855 im Gebärhaus in Wien, wuchs bei Pflegeeltern und in Heimen auf und besuchte nur fallweise den Schulunterricht. 1865 kam sie zu ihrer Mutter nach Simmering. Die Mutter war mit einem Alkoholiker verheiratet, der Theresia als „Findelkind“ sehr schlecht behandelte. Als Zehnjährige wurde Theresia ihren Angaben nach von ihrem ersten Vormund „verführt“. Zwei Jahre später riss sie von zu Hause aus und arbeitete gelegentlich als Dienstmagd und Wäscherin. Außerdem ließ sie sich von Männern aushalten. Sie wurde fünfmal wegen Diebstahl und Veruntreuung verurteilt. Mit 17 Jahren wurde Theresia über Betreiben ihrer Mutter in die Besserungsanstalt Wiener Neudorf eingewiesen, damit sie ihren Lebenswandel ändere. Sie schrieb Briefe an ihre Mutter, sie möge sie aus dem Heim herausholen; die Mutter reagierte aber nicht. Auch ihre Bitten an die Anstaltsleiterin, sie freizulassen, halfen nicht. Bei einem Wutanfall schlug sie ein Fenster ein. Theresia wurde erst im November 1874 aus der Anstalt entlassen. Sie kehrte aber nicht nach Hause zurück, weil sie sich vor ihrem Stiefvater fürchtete, sondern ging am 8. November Richtung Wiener Neustadt. Sie übernachtete in Baden mit einem Mann, der ihr zwei Gulden (heutiger Wert 28 Euro) gab. Am nächsten Tag kam sie in Wiener Neustadt an, wo sie am Nachmittag die beiden kleinen Mädchen sah und eine unheilvolle Entscheidung traf.
15 Jahre Kerker.
Theresia Exel wurde wegen vollbrachten meuchlerischen Mordes angeklagt und von den Geschworenen am 15. Juni 1875 im Kreisgericht Wiener Neustadt einstimmig schuldig gesprochen. Weil die Angeklagte noch keine 20 Jahre alt war, wurde sie nur zu fünfzehn Jahren schweren Kerkers verurteilt. Die Mörderin kam zur Strafverbüßung in die „k. k. Weiberstrafanstalt“ Wiener Neudorf. Die 1853 errichtete Strafanstalt wurde von Nonnen betreut.
Werner Sabitzer
Quellen/Literatur:
Die Mörderin Theresia Exel. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, 19. Juni 1875, S. 3
Ein räthselhafter Mord. In: Neue Freie Presse, 20. Juni 1875, S. 7
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2023
Druckversion des Artikels (PDF 188 kB)