Internationale Katastrophenhilfe
Suche in Schutt und Trümmern
Joachim Brandlhofer, Referatsleiter im Innenministerium, nahm als Freiwilliger mit seinem Hund im AFDRU-Team bei der Suche nach verschütteten Personen nach den Erdbeben in der Türkei teil. Ein Bericht aus Sicht eines Katastrophenhelfers.
Als ich am 6. Februar 2023, um 6 Uhr in den Nachrichten von dem Erdbeben in der Türkei hörte, sagte ich noch zu meiner Gattin, dass das ein AFDRU-Einsatz werden könnte. Kurz nach 7 Uhr – ich war gerade auf dem Weg ins Büro – erreichte mich bereits der Anruf des Leiters unserer Rettungshundestaffel, dass AFDRU – die Austrian Forces Disaster Relief Unit – alarmiert wurde. Ich wurde gefragte, ob ich Zeit hätte, in die Türkei zu fliegen. Sofort verständigte ich meine Vorgesetzten und bekam „grünes Licht“.
Die AFDRU ist das Katastrophenhilfeelement des Bundesheeres für Such- und Rettungsaktionen in Städten (Urban Search and Rescue – USAR). Aufgestellt wird AFDRU erst im Anlassfall aus Freiwilligen des Aktiv- und Milizstandes. Im Bedarfsfall wird es durch zivile Spezialisten wie zum Beispiel Rettungshundeführer oder Bergretter ergänzt. Die Verantwortung für die Aufstellung und Formierung von AFDRU liegt beim Kommando der ABC-Abwehrschule in Korneuburg.
Ich bin Mitglied beim Verein der Feuerwehr Wien Rettungshunde und absolviere dort Prüfungen und Einsatztests. Da das Bundesheer selbst keine Rettungshunde hat, wurde bereits vor vielen Jahren die Plattform „AFDRU Rescue Dogs“ gegründet. Darin finden sich verschiedene österreichische Rettungshundeorganisationen, die bei Bedarf ihre Teams dem Bundesheer zur Verfügung stellen. Aus diesem Grund bekam ich die Möglichkeit, bei diesem Einsatz dabei zu sein.
Die AFDRU-Mission „AUTHUM/TUR 2023“ bestand aus 82 Mitgliedern (Berufs- und Milizsoldaten, Mitglieder der Bergrettung und der Plattform „AFDRU Rescue Dogs“) – ausschließlich Freiwillige. Das AFDRU-Team fuhr nach der Ankunft in der Türkei in die Provinz Hatay nahe der syrischen Grenze. Auf der Fahrt bekamen wir einen ersten Eindruck von den Zerstörungen durch das Erdbeben.
Suchhunde.
Wir sind sechs Hundeführer gewesen. Je zwei vom Verein der Feuerwehr Wien Rettungshunde, dem Österreichischen Verein der Diensthundeführer und der Rettungshundestaffel der Feuerwehr Traun waren paarweise einer Rettungs- und Bergegruppe zugewiesen. Mein Kollege Günter Obermayer und ich waren in der ersten Gruppe und begannen unverzüglich mit der Suche.
Wie muss man sich den Ablauf vorstellen? Der Kommandant macht sich ein Bild von der Lage an der Schadensstelle: Wo sind allfällige Gefahren, wo ist die Wahrscheinlichkeit bei großen Schadensstellen am größten, noch lebende Menschen zu finden? Nach der Einweisung der Gruppe wird mit der Suche mit einem Rettungshund begonnen. Sollte der Hund menschlichen Geruch unter den Trümmern wahrnehmen und dies anzeigen, wird, sofern weder Sicht- noch Sprechkontakt mit dem Opfer aufgenommen werden kann, ein weiterer Hund zur Bestätigung in die Trümmer geschickt. Wenn auf diese Art eine verschüttete Person lokalisiert werden kann, wird mittels technischer Ortung (Schallortung oder Kamera, etc.) der Ort genauer eingegrenzt. Danach beginnt die Gruppe mit der Bergung. Dies kann je nach Lage des Opfers viele Stunden dauern.
Günter Obermayer und ich waren zum ersten Mal bei einem realen Einsatz dabei und obwohl wir die Abläufe unzählige Male im Training, bei Prüfungen oder bei Einsatztests durchgeführt hatten, befiel mich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Der Trümmerkegel war ein ehemals mehrstöckiges Haus, das nur mehr schwer als solches zu erkennen war. Anders als bei Übungen kann hier der Hund nicht in Ruhe suchen, sondern es stehen eine Menge Leute auf und neben der Schadensstelle, um nach ihren Angehörigen, Freunden und Nachbarn, teils mit bloßen Händen, zu suchen.
Mein Kollege begann mit der Suche; und nachdem er nach einiger Zeit keine Anzeige hatte, war ich an der Reihe. Ich begab mich auf das Dach des Hauses und ließ meinen Hund, einen Parson Russel Terrier, systematisch den Trümmerkegel absuchen, aber leider ohne Erfolg. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite zeigte mein Hund plötzlich an, jedoch konnte nach kurzer Nachschau nur ein Toter lokalisiert werden.
Mann lebend geborgen.
Auch im Sektor unserer Gruppe tat sich etwas: Menschen berichteten, dass sie in einem Haus mit jemandem Sprechkontakt hätten. Unser Dolmetscher nahm Kontakt auf und der Mann teilte ihm mit, dass er im Auto sitze und seine Tochter hinter ihm wäre. Da sich in diesem Haus keine Tiefgarage befunden hatte und das Auto des Mannes zerstört, aber leer, auf der Straße stand, nahmen wir an, dass er nach zweieinhalb Tagen nach dem Ereignis desorientiert und verwirrt war. Da wir auch nicht genau lokalisieren konnten, wo sich der Mann befand, begaben wir uns auf die Suche. Wir stiegen von außen in das Haus ein und kamen von innen zur Wohnungstüre, konnten diese aber wegen der Einsturzgefahr nicht öffnen. Deshalb schnitten wir ein Loch in die Tür, gerade so groß, dass mein Hund durchschlüpfen konnte. Der Hund lokalisierte die Person unterhalb unserer Ebene, sodass mit den Bergungsarbeiten begonnen werden konnte. Nach einigen Stunden schwerer Arbeit konnten der Mann und seine Tochter lebend aus den Trümmern geborgen werden. Die nunmehr obdachlos gewordenen Bewohner standen bei ihren zerstörten Häusern und versuchten zu retten, was zu retten war. Diese Menschen, die nur mehr das hatten, was sie retten konnten oder von Hilfsorganisationen bekommen hatten, teilten mit uns Getränke und Süßigkeiten.
Tags darauf rückten wir gegen 4 Uhr aus und trafen noch in der Dunkelheit an der uns zugewiesenen Schadensstelle ein: In einem ehemals sechsstöckiges Haus, bei dem bereits vorher eine Gruppe gearbeitet hatte und abgelöst werden musste, wurden lebende Personen vermutet. Das Gefährliche an dieser Stelle war, dass die daneben liegenden Häuser nicht eingestürzt waren, jedoch jederzeit von dort Trümmer herunterfallen oder diese Häuser bei einem allfälligen Nachbeben ebenfalls einstürzen konnten. Also gingen wir mit äußerster Vorsicht ans Werk. Beim kleinsten Verdacht einer Gefahr musste das Rückzugssignal ausgelöst werden. Nach einer bestätigten Anzeige durch die Hunde begannen die Bergekräfte, zur verschütteten Person vorzudringen, während wir Hundeführer an benachbarten Häusern versuchten, eingeschlossene Personen aufzufinden. Nach mehreren Stunden Arbeit musste die Gruppe aber vorerst aufgeben, da ohne schweres Gerät, wie Bagger oder Kräne, eine Bergung nicht möglich war. Daher übergaben wir die Schadensstelle an die lokalen Kräfte, die ihrerseits versuchten, mit schweren Maschinen die Arbeit zu vollenden und rückten ein.
In den österreichischen Medien wurde berichtet, dass das Kontingent seine Arbeit eingestellt hätte, da die Lage in Antakya aufgrund von Schusswechseln zu gefährlich wäre. Diese Meldungen war falsch. Wir blieben bis zu weiteren Aufträgen in Bereitschaft und nahmen die Arbeit immer dann wieder auf, wenn der entsprechende Auftrag erteilt wurde. Auch wenn in der Stadt tatsächlich Schüsse fielen, kam es zu keiner Zeit zu Feindseligkeiten gegenüber den Rettungskräften bzw. waren diese in Gefahr.
Bei der Suche nach Überlebenden in einem teilweise zerstörten Hotel, dessen zweiter Stock sich inzwischen auf Straßenniveau befand, hatte mein Kollege kein Glück und so erhielt ich den Auftrag, den restlichen Teil abzusuchen. Ich schickte deshalb meinen Hund zur Suche und begab mich ebenfalls ins Innere des Gebäudes. Plötzlich hörte ich von draußen Rufe und spürte, dass es Zeit war, den Ort sofort zu verlassen: ein relativ schweres Nachbeben begann sich gerade aufzubauen. Auf schnellstem Weg liefen mein Hund und ich über die Trümmer und retteten uns mit einem letzten Sprung ins Freie.
Dank und Anerkennung.
Der Einsatz des AFDRU-Teams endete nach zehn Tagen. Wir reisten mit einer Chartermaschine der AUA zurück nach Österreich. Nach der Landung in Schwechat wurden wir von der Bundesministerin für Landesverteidigung auf dem Rollfeld begrüßt. Als wir die Ankunftshalle für die Busse, die uns in die Kaserne bringen sollten, betraten, schlug uns tosender Applaus von Vertretern türkischer Organisationen entgegen. Wir wurden gemeinsam mit unseren Hunden mit Geschenken überhäuft. Auch der türkische Botschafter und der Militärattaché waren gekommen, um uns ihren Dank auszusprechen. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Am Montag danach wurde am Hauptplatz in Korneuburg ein großer Festakt abgehalten, wo wir von der Verteidigungsministerin die Einsatzmedaille des Österreichischen Bundesheeres verliehen bekamen. Am Tag darauf waren wir „Wiener“ Rettungshundeführer beim Bürgermeister der Stadt Wien eingeladen, wo uns Dank und Anerkennung der Stadt Wien ausgesprochen wurde. Schlussendlich erfolgte am 17. März 2023 noch ein sehr berührender Empfang einer Abordnung des Kontingents in der türkischen Botschaft in Wien, wo ich die Rettungshunde vertreten durfte.
Joachim Brandlhofer
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2023
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