Verkehrsrecht
Straßenverkehr und Recht
Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zu den Themen E-Scooter als Fahrzeuge im Sinn der StVO, Methadon als Suchtgift und Bindung an Straferkenntnisse im Entziehungsverfahren.
E-Scooter als Fahrzeug im Sinn der StVO
Ein E-Scooter wird laut VwGH dem Fahrzeugbegriff im Sinne der StVO unterstellt. Für die Bestrafung von Übertretungen sind die Landespolizeidirektionen zuständig
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Die Landespolizeidirektion Wien verhängte gegen den Lenker eines Minirollers mit elektrischem Antrieb eine Geldstrafe. Sie legte ihm zur Last, diesen in alkoholisiertem Zustand am 7. September 2021 auf einer Straße in Wien benützt zu haben (§ 99 Abs. 1a iVm § 5 Abs. 1 StVO).
Das Verwaltungsgericht Wien gab der Beschwerde des Lenkers statt und hob das Straferkenntnis wegen Unzuständigkeit der Landespolizeidirektion auf. Für die Benützung von Klein- und Minirollern mit elektrischem Antrieb, einer Bauartgeschwindigkeit von höchstens 25 km/h und einer maximalen Leistung von nicht mehr als 600 Watt („E-Scooter“) seien gemäß § 88b Abs. 2 StVO zwar die für Radfahrer geltenden Vorschriften zu beachten, darunter das Verbot, ein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand zu lenken oder in Betrieb zu nehmen (§ 5 Abs. 1 StVO). E-Scooter fallen als solche jedoch nicht unter den Fahrzeugbegriff des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO. § 5 Abs. 1 StVO, der auf das Lenken eines Fahrzeugs abstellt, sei auf E-Scooter also nur sinngemäß und nicht dem Wortlaut nach anwendbar. Das Lenken eines E-Scooters in alkoholisiertem Zustand verstoße daher nicht gegen § 5 Abs. 1 StVO, sondern nur gegen § 88b Abs. 2 StVO. Für die Bestrafung von Übertretungen des X. Hauptstücks der StVO, einschließlich des § 88b, seien die Landespolizeidirektionen aber nicht zuständig (§ 95 Abs. 1 lit. b StVO).
Die LPD Wien legte Amtsrevision ein und war erfolgreich. Aus der Begründung des VwGH: § 2 Abs. 1 Z 19 StVO nimmt bestimmte Kleinfahrzeuge, die vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmt sind, darunter Klein- und Tretroller, vom Fahrzeugbegriff und von den daran anknüpfenden Bestimmungen der StVO aus. Eine Anwendung dieser Ausnahme auf E-Scooter würde jedoch zu einem Widerspruch im Gesetz führen, weil § 88b Abs. 2 StVO die Verwendung dieser Beförderungsmittel auf der Fahrbahn, sofern auf ihr das Radfahren zugelassen ist, erlaubt und voraussetzt, während § 2 Abs. 1 Z 19 StVO gerade auf die Verwendung außerhalb der Fahrbahn abstellt. Dieser Widerspruch ist zu vermeiden, indem man E-Scooter dem Fahrzeugbegriff unterstellt, was mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO ohne weiteres vereinbar ist.
§ 88b Abs. 2 StVO verweist für die Benützung von E-Scootern auf die für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften. Als Verweisungsnorm entfaltet er Rechtswirkungen nicht von sich aus, sondern erst in Verbindung mit den Bestimmungen, auf die er verweist (Bezugsnormen). Entgegen dem Verwaltungsgericht Wien ist für Zwecke des Verwaltungsstrafrechts nicht die Verweisungs-, sondern die Bezugsnorm als übertretene Bestimmung anzusehen, hier also der außerhalb des X. Hauptstücks stehende § 5 Abs. 1 StVO. Für die Bestrafung von Übertretungen dieser Bestimmung – auch durch Lenker eines E-Scooters – sind die Landespolizeidirektionen zuständig.
Da das Verwaltungsgericht die Zuständigkeit der Landespolizeidirektion Wien zu Unrecht verneint hat, war das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
VwGH Ra 2022/02/0043, 23.11.2022
Methadon als Suchtgift
Während einer Fahrzeugkontrolle stellten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beim Lenker eine träge bzw. fehlende Pupillenreaktion fest. Sie führten ihn dem Amtsarzt vor, der ihm Blut abnahm und ihn klinisch untersuchte. Im Blut des Lenkers wurde Methadon in einer für eine Substitutionsbehandlung üblichen Konzentration festgestellt. Diese Konzentration, so das amtsärztliche Gutachten, habe bei mangelnder Gewöhnung, nicht stabil eingestellter Medikation oder nicht regelrechter Aufnahme die Fahrtüchtigkeit durchaus in einem straßenverkehrsrelevanten Ausmaß beeinträchtigen können.
Mit Straferkenntnis vom 9. Juni 2021 verhängte die Landespolizeidirektion Oberösterreich gegen den Lenker eine Geldstrafe, weil er das Fahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt habe (§ 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO). Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Lenker Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, das der Beschwerde stattgab, das Straferkenntnis aufhob und das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Lenker einstellte.
Der Lenker, so die Begründung des Landesverwaltungsgerichtes, habe das Methadon in einer Drogenersatztherapie verschrieben bekommen. Wegen dieser Besonderheit sei das Methadon ausnahmsweise als (verschreibungspflichtiges) Medikament und nicht als Suchtgift einzustufen. Allfällige körperliche Auswirkungen, die aus seiner Einnahme resultierten, begründeten eine sonstige Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gemäß § 58 Abs. 1, aber keine Beeinträchtigung durch Suchtgift gemäß § 5 Abs. 1 StVO. Da das Lenken eines Kraftfahrzeugs in einem nicht durch Alkohol oder Suchtgift, sondern auf andere Weise beeinträchtigten Zustand keine Strafbarkeit nach § 99 Abs. 1b StVO begründe, sei das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Die Landespolizeidirektion Oberösterreich legte Amtsrevision ein und war erfolgreich. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofes: Da Methadon in Anhang I zur Suchtmittelverordnung als unter § 2 Abs. 1 SMG fallende Substanz aufscheine, sei es ein Suchtgift im Sinne dieser Bestimmung. Im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 StVO – und damit auch der von der Landespolizeidirektion Oberösterreich herangezogenen Strafbestimmung des § 99 Abs. 1b StVO – komme es nur darauf an, ob die Fahrtüchtigkeit durch dieses Suchtgift beeinträchtigt war. Unerheblich sei hingegen, dass das Suchtgift aufgrund einer ärztlichen Verschreibung eingenommen worden war. Da das Landesverwaltungsgericht der ärztlichen Verschreibung zu Unrecht Relevanz beigemessen hat, war das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Im fortgesetzten Verfahren wird zu untersuchen sein, inwieweit die Fahrtüchtigkeit des Lenkers zur Tatzeit infolge der festgestellten Methadon-Konzentration tatsächlich beeinträchtigt war, und zwar anhand eines ergänzenden Gutachtens, weil das von der Landespolizeidirektion eingeholte amtsärztliche Gutachten zur Frage der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit keine fallbezogene Einschätzung enthält, sondern nur pauschale Aussagen über verschiedene Möglichkeiten.
VwGH Ra 2021/02/0247, 4.7.2022
Straferkenntnisse im Entziehungsverfahren
Mit Straferkenntnis vom 3. März 2020 verhängte die Landespolizeidirektion Tirol gegen den Lenker eines Kraftfahrzeugs eine Geldstrafe. Sie legte ihm zur Last, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt unter besonders gefährlichen Verhältnissen einen durch Videomessung festgestellten zeitlichen Sicherheitsabstand von nur 0,164 Sekunden zum unmittelbar vor ihm fahrenden Fahrzeug eingehalten hatte (§ 99 Abs. 2 lit. c iVm § 18 Abs. 1 StVO).
Mit Bescheid vom selben Tag entzog die Bezirkshauptmannschaft Kufstein ihm für sechs Monate die Lenkberechtigung für alle Fahrzeugklassen. Da er beim Hintereinanderfahren einen zeitlichen Sicherheitsabstand von 0,2 Sekunden unterschritten hatte, so die Bescheidbegründung unter Hinweis auf das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol, liege eine bestimmte Tatsache vor, die unter Berücksichtigung aller Umstände auf die Verkehrsunzuverlässigkeit des Lenkers schließen lasse (§ 7 Abs. 3 Z 3 lit. b FSG). Dies führe zwingend zur Entziehung der Lenkberechtigung (§§ 24 Abs. 1 Z 1 und 26 Abs. 2a iVm § 3 Abs. 1 Z 2 FSG).
Das Landesverwaltungsgericht Tirol gab der Beschwerde des Lenkers gegen die Entziehung statt. Dem lag zugrunde, dass mittlerweile das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol wegen Verfolgungsverjährung im Rechtsmittelweg aufgehoben und aus diesem Grund das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt worden war. Führerscheinbehörden seien an Entscheidungen der Strafbehörden – und an verwaltungsstrafrechtliche Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte – gebunden. Wegen der Aufhebung des Straferkenntnisses und der Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens hätte die Bezirkshauptmannschaft Kufstein also davon ausgehen müssen, dass der Lenker die ihm angelastete Übertretung nicht begangen hat und die von ihr angenommene, die Verkehrszuverlässigkeit ausschließende Tatsache somit nicht vorliegt.
Die Bezirkshauptmannschaft Kufstein legte Amtsrevision ein und war erfolgreich. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofes: War ein in § 7 Abs. 3 FSG genanntes, gegen die Verkehrszuverlässigkeit sprechendes Verhalten bereits Gegenstand einer (rechtskräftigen) verwaltungsstrafrechtlichen Entscheidung gegen den Lenker, so ist die Führerscheinbehörde im Entziehungsverfahren grundsätzlich daran gebunden. Nicht gebunden ist sie allerdings an Entscheidungen über die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens aus bloß formalen Gründen, z.B. wegen Verfolgungs- oder Strafbarkeitsverjährung. Wurde das Verwaltungsstrafverfahren daher – wie hier – wegen Verfolgungsverjährung eingestellt oder existiert überhaupt keine verwaltungsstrafrechtliche Entscheidung, so hat die Führerscheinbehörde selbständig als Vorfrage zu prüfen, ob das fragliche Delikt verwirklicht wurde.
Da das Verwaltungsgericht Tirol zu Unrecht eine Bindung an die Einstellung des gegen den Lenker geführten Verwaltungsstrafverfahrens angenommen hat, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
VwGH Ra 2021/11/0182, 26.8.2022
Bernhard Krumphuber
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2023
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