Gendarmeriegeschichte
Von der Chargen- zur Zentralschule
Von 1935 bis Anfang der 2000er-Jahre wurden an der Gendarmeriezentralschule in Mödling Tausende Chargen und Offiziere ausgebildet. Im Herbst 2016 wurde der Gebäudekomplex abgerissen.
Gendarmeriezentralschule: Exerzieren in den 1980er-Jahren.
© Egon Weissheimer
Der Bürgermeister der Gemeinde Mödling organisierte für den 16. April 2016 eine Besichtigung der in die Jahre gekommenen Gebäude der ehemaligen Gendarmeriezentralschule (GZSch) in Mödling. Ein halbes Jahr später begannen die Abbrucharbeiten und ein Stück Gendarmerietradition war Geschichte. Tausende eingeteilte, dienstführende und leitende Gendarmeriebeamte hatten hier von 1935 bis Anfang der 2000er-Jahre Fachlehrgänge absolviert. Heute stehen auf dem Gelände der ehemaligen GZSch Wohnhäuser.
„Chargenschule“.
Schulgebäude der Gendarmeriezentralschule (Abriss 2016).
© Egon Weissheimer
Bis 1929 erfolgte die Ausbildung zu Postenkommandanten bei den Gendarmerieergänzungsabteilungen (später: Schulabteilungen, Schulungsabteilungen) bei den Landesgendarmeriekommanden. Die „Chargenschule“ dauerte sechs Monate. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Ausbildung auf zehn Monate ausgedehnt. Neben Gesetzen und Dienstvorschriften wurden Fächer wie Arithmetik, Geometrie, Deutsch, Geografie, Geschichte, Naturlehre und Naturgeschichte unterrichtet. Während der Ausbildung mussten die Teilnehmer zwei oder mehrere Themen aus dem Berufsleben verfassen sowie Prüfungen ablegen. Den Abschluss bildete eine Prüfung vor einer gemischten Kommission aus Gendarmerieoffizieren und „politischen Beamten“ (Juristen).
Zentralchargenschule.
Vorläuferin der Gendarmeriezentralschule war die „Zentralchargenschule“. Sie wurde mit 1. Jänner 1929 beim Landesgendarmeriekommando (LGK) Steiermark im ehemaligen Karmeliterkloster in Graz errichtet. Das LGK hatte das von Kaiser Joseph II. aufgelöste Kloster 1919 bezogen. Davor diente das Gebäude als Militärspital. Am 1. Jänner 1930, nahm hier die „Zentralschule der österreichischen Bundesgendarmerie“ in Graz den Betrieb auf.
Zentralschule in Mödling.
Unterkunftsgebäude der Gendarmeriezentralschule in Mödling (1980).
© Egon Weissheimer
1935 wurde die GZSch von Graz nach Mödling in Niederösterreich verlegt. In diesen Gebäuden hatte sich ab 1869 die auf Initiative von Franz Xaver Grutsch gegründete landwirtschaftliche Mittelschule und Forschungsstätte „Francisco Josephinum“ befunden, die 1934 nach Wieselburg in Niederösterreich übersiedelt war.
Bei der Eröffnung des neuen Unterkunftsgebäudes der Zentralschule der Bundesgendarmerie am 4. Mai 1935 wurde die neue Fahne der GZSch eingeweiht und dem Kommandanten der Zentralschule Oberst Ernst Sieber übergeben. Es handelt sich um eine 115 x 150 Zentimeter große Fahne aus Ripsseide mit rotweißroten Seidenflammenbordüren. Auf der Vorderseite befindet sich ein ca. 75 x 80 Zentimeter großer schwarzseidener Bundesadler und auf der Rückseite sind in einem goldenen Lorbeerfestonkranz die neun in Gold gestickten Länderwappen aufgereiht. Im Kranz befindet sich die Goldinschrift: „Zentralschule der österreichischen Bundesgendarmerie“. Zur Einweihungsfeier am 4. Mai 1935 kamen unter anderem Bundespräsident Wilhelm Miklas, Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg, Erzbischof Dr. Theodor Kardinal Innitzer, Bundesminister Bundeskanzleramt Emil Fey, Staatssekretär für Sicherheitswesen Dr. Hans Hammerstein-Equord, Staatssekretär für das Sicherheitswesen Karl Karwinsky, Gendarmeriezentralinspektor General Jakob Burg, Wiens Polizeipräsident Dr. Michael Skubl sowie alle Landesgendarmeriekommandanten und die Militärattachés von England, Frankreich, Italien, der Tschechoslowakei und Jugoslawien. Patin für die Korpsfahne war Herma Schuschnigg, die Frau des Bundeskanzlers.
Ehemaliges Karmeliterkloster in Graz: Sitz der Zentralchargenschule ab 1929 bzw. der Zentralschule der Bundesgendarmerie von 1930 bis 1935.
© Werner Sabitzer
Von 1935 bis zum „Anschluss“ im März 1938 wurden 833 Gendarmen zu Postenkommandanten ausgebildet. Die Lehrgänge dauerten zehn Monate. Außerdem wurden 35 Gendarmen mit Matura zu Offizieren (Gendarmerieoberleutnant) ausgebildet. Diese Kurse dauerten zwei bzw. zweieinhalb Jahre. Weitere 150 Gendarmen erhielten eine Ausbildung in technischen Fächern. Im oberen Geschoß des Hauptgebäudes befanden sich auch Wohnungen für Gendarmeriebeamte. Die Räume wurden später zu Büroräumen.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Österreich im März 1938 wurde die Gendarmeriezentralschule in eine Polizeischule umfunktioniert.
Verlegung nach Horn.
Nach dem Ende des NS-Regimes 1945 wurden die meisten Gebäude der GzSch in Mödling von der russischen Besatzungsmacht genützt, der Schule verblieb nur das Unterkunftsgebäude. Über Anordnung der sowjetischen Besatzer vom 29. März 1951 musste auch dieses Haus geräumt werden und die Schule wurde in die Albrechtskaserne nach Horn im Waldviertel verlegt.
Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 dauerte es einige Zeit, bis der Schulbetrieb in Mödling wieder aufgenommen werden konnte. Nach dem Abzug der Besatzungssoldaten wurden die Bauten im September 1955 renoviert und Zubauten errichtet. Am 2. Oktober 1956 begannen 159 Gendarmen mit dem Fachkurs (Chargenkurs) 1956/57, dem ersten Chargenkurs nach dem Zweiten Weltkrieg. 1960 kam das „Technische Gebäude“ mit dem Vortragssaal und Garagen hinzu, intern „Pentagon“ genannt. Ebenfalls neben dem Hauptgebäude wurde das „Kriminalistische Gebäude“ errichtet. Die GZSch war im Rang eines Landesgendarmeriekommandos.
Gendarmeriezentralschule in Mödling: Hörsaal; Blick auf die Schul-, Unterkunfts-, Technik- und Bürogebäude (1980).
© Egon Weissheimer
Ab 1976 war für die Ausbildung der leitenden Gendarmeriebeamten (Offiziere) nicht mehr die GZSch, sondern die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit zuständig. Im Jänner 1976 begann die erste gemeinsame Offiziersausbildung für Angehörige der Sicherheitswache, des Kriminaldienstes und der Gendarmerie – als „Gehobener Fachlehrgang 1976/78“. Ab Jänner 1987 hatte der Offizierslehrgang Bezeichnung
„Sicherheitsakademie“. Da das Zentralgebäude in der Grutschgasse 3 zu klein wurde, entstanden 1980 bis 1982 in der Quellenstraße 13 und in der Technikerstraße 16 (für die Offiziersausbildung) zwei weitere Gebäude. 1985 wurden ein Sportplatz und eine Turnhalle errichtet und 1995 wurde das „Kriminalistische Gebäude“ mit einer Laboreinrichtung und neuen kriminaltechnischen Geräten ausgestattet. Im Durchschnitt befanden sich in Mödling 220 Gendarmen pro Jahr aus allen Bundesländern außer Wien. 1977 wurde die Organisation und Geschäftsordnung der Gendarmeriezentralschule (OGO GZSch) erlassen.
Waffenausbildung in der GZSch.
© Egon Weissheimer
In der GZSch erfolgten die Ausbildungslehrgänge für dienstführende („Chargen“) und leitende Gendarmeriebeamte (Offiziere), Sonderverwendungs- und Ergänzungslehrgänge sowie Lehrgänge im Rahmen der berufsbegleitenden Fortbildung. Lehrer waren Gendarmerieoffiziere, die administrativen Aufgaben erfolgten von dienstführenden Beamte als Hauptsachbearbeiter. Jede Klasse hatte einen hauptamtlichen Lehrer als Klassenvorstand. Pro Woche gab es 34 Unterrichtsstunden. Internetkurse wurden in der HTL Mödling abgehalten.
Sicherheitsakademie.
Mit dem Start der Sicherheitsakademie als Ausbildungs- und Forschungseinrichtung für alle Bedienstete des Ressorts im Jänner 2003 verlor die Gendarmeriezentralschule Mödling an Bedeutung und nach der Eröffnung des Neubaus des Bildungszentrums Traiskirchen in Niederösterreich wurde die Tätigkeit der Gendarmeriezentralschule eingestellt.
Werner Sabitzer
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022
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