Gewaltpräventionsberatung
Gewaltkreislauf beenden
Seit einem Jahr gibt es ein verpflichtendes Beratungsgespräch für Gefährder/-innen. Mehr als 80 Prozent der Verpflichteten absolvierten ein termingerechtes Erstgespräch.
In der Praxis der Beratungsstellen für Gewaltprävention zeigt sich tatsächlich eine Bereitschaft von Personen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen worden ist, sich auf eine Beratung einzulassen und sich mit unangenehmen Themen wie „Gewaltbereitschaft“ und „Gewalttätigkeit“ auseinanderzusetzen.
Seit 1. September 2021 trudeln bei den Beratungsstellen für Gewaltprävention täglich zahlreiche „§38a-Dokumentationen“ (Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots) ein: Im Sicherheitspolizeigesetz ist seit der letzten Novelle vorgesehen, dass die Beratungsstellen für Gewaltprävention von jedem Betretungs- und Annäherungsverbot informiert werden. Dort heißt es dann erst einmal auf eine Kontaktaufnahme durch den oder die Gefährder/-in zu warten. Denn diese/-r hat fünf Tage Zeit, mit der Beratungsstelle Kontakt aufzunehmen und einen Termin für ein Erstgespräch in den nächsten 14 Tagen zu fixieren. Damit fügt sich ein neuer Baustein in das Unterstützungssystem ein. Die Polizei schafft durch das Betretungs- und Annäherungsverbot Sicherheit und bringt Bewegung in das System. Gewaltschutzzentren und die Kinder- und Jungendhilfe werden über ein Betretungs- und Annäherungsverbot informiert und können damit proaktiv auf Betroffene zugehen und Unterstützung anbieten.
Verpflichtende Beratung.
Neu ist, dass es auch ein verpflichtendes Angebot für Gefährder/-innen gibt. Seit Bestehen des Gewaltschutzgesetzes gibt es immer wieder Forderungen und Anläufe, es solle auch etwas für die Personen geben, von denen eine Gefährdung ausgeht. Die verpflichtende Beratung nach Betretungs- und Annäherungsverbot sieht jetzt eine Beratung im Umfang von sechs Stunden vor und wird vom Bundesministerium für Inneres finanziert. Entscheidend ist, dass die Beratung unmittelbar einsetzt. „Der Eindruck des Polizeieinsatzes ist bei den meisten Gefährdern in der Beratung noch frisch, wenn es darum geht, an einem Problembewusstsein zu arbeiten“, sagt Christoph Koss, Geschäftsführer von Neustart. „Das sind ganz andere Start-Voraussetzungen, weil wir nicht lange erklären müssen, welche unangenehmen Folgen es hat, wenn in der Familie der eigene Wille mit Gewalt durchgesetzt wird.“
Mehr als 80 Prozent der Verpflichteten absolviert ein termingerechtes Erstgespräch. Darin werden die Rahmenbedingungen offengelegt und der gesetzliche Rahmen geklärt. Teil der Beratung ist eine Krisenintervention, wenn das erforderlich ist. „Die Erfahrungen des ersten Jahres bestätigen, dass Krisenintervention in Ausnahmefällen notwendig ist. Ziel der Beratungen ist es jedoch, am Thema Gewalt und der Übernahme der Verantwortung für das eigene Handeln zu arbeiten“, sagt Ursula Luschnig, Leiterin der Beratungsstelle für Gewaltprävention der Caritas Kärnten.
Täterstrategien hinterfragen.
In dieser Auseinandersetzung geht es vor allem darum, typische Strategien der Täter zu hinterfragen und diese mit anderen Perspektiven zu konfrontieren. In der Gewaltpräventionsberatung wird gemeinsam mit den Klient/-innen erarbeitet, wer die Verantwortung dafür trägt, dass es zu Gewalt gekommen ist. Es ist immer der oder die Gewalttäter/-in. Rechtfertigungen, man sei „provoziert“ worden oder habe die Kontrolle verloren, werden hinterfragt. Vor sich selbst und vor einer Beraterin oder einem Berater einzugestehen, für Gewalt in den eigenen vier Wänden verantwortlich zu sein, ist in erster Linie mit Gefühlen von Schuld und Scham verbunden.
Das ist ein wichtiges Stadium auf dem Weg der Auseinandersetzung mit der eigenen Gewaltbereitschaft. Aber es darf nicht der Schlusspunkt sein. Danach geht es darum, die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und dafür einzusetzen, dass auch schwierige und emotionale Situationen nicht wieder eskalieren. „Gewaltfreiheit ist eine Entscheidung. Es geht darum, den Gewaltkreislauf zu beenden bzw. zu unterbrechen und alternative Handlungsstrategien zu entwickeln“, sagt Ursula Luschnig.
Handlungsplan.
Es braucht Überlegungen, was die Auslöser von Gewalt sind und sein können. Wie kann eine gewaltbereite Person erkennen, dass sie wieder darauf zusteuert, „auszurasten“? Wie kann rechtzeitig davor ein anderer Weg eingeschlagen werden? Dazu hat sich etwa die Planung eines „Time-out“ bewährt. Diese Intervention ist aus dem Anti-Gewalt-Training bekannt. Es geht dabei darum, einen Handlungsplan in petto zu haben, der bei ersten Anzeichen einer möglichen Eskalation konsequent umzusetzen ist. Der Umfang von sechs Stunden bringt es mit sich, dass man nicht in allen Fällen ausschließen kann, dass Gefährder/-innen wieder gewalttätig werden. Aber die ersten Schritte sind geschafft. Oft ist gerade der Beginn einer Veränderung schwierig.
In den Beratungsstellen für Gewaltprävention wird ein Schwerpunkt darauf gelegt, dass am Ende der Gewaltpräventionsberatung eine Weitervermittlung an ein sinnvoll anschließendes Angebot steht. Das kann eine Suchtberatung sein, ein Anti-Gewalt-Training oder eine Erziehungsberatung.
Gewalt-Stopp.
In der Gewaltpräventionsberatung spielen viele Themen eine große Rolle. Wenn Kinder im Haushalt leben, ist die Auseinandersetzung mit deren Betroffenheit von zentraler Bedeutung. Die Erfahrung zeigt, dass von Gefährder/-innen regelmäßig unterschätzt und verdrängt wird, welche Auswirkungen das Aufwachsen in einem Gewaltklima für junge Menschen hat. Ziel jeder Gewaltpräventionsberatung ist ein sofortiger Gewalt-Stopp. Dafür braucht es mehrere Hebel, die koordiniert an unterschiedlichen Stellen ansetzen. Das gelingt nur im Zusammenspiel der Institutionen. Bewährt hat sich die sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz.
Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz.
„Gemeinsam mit der Exekutive, der Sicherheitsbehörde und der Beratungsstelle für Gewaltprävention haben wir es geschafft, die Fallkonferenzen in Oberösterreich zu etablieren. Sie sind getragen von Professionalität und gegenseitigem Vertrauen und Respekt zwischen den beteiligten Institutionen“, sagt Eva Schuh, Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum Oberösterreich. Das jedenfalls kann die Basis sein, um durch gezielte Zusammenarbeit auch bei Hochrisiko-Fällen das Schlimmste zu verhindern. „Das Gelingen der Gewaltpräventionsberatung hängt wesentlich von der Kooperation mit der Exekutive und den Sicherheitsbehörden ab“, sagt Christoph Koss, Geschäftsführer von Neustart. „Gefährder werden geladen. Wenn dies erforderlich ist, wird Druck aufgebaut, damit sie zu uns in die Beratungsstelle für Gewaltprävention kommen. Im ersten Jahr hat das bereits ausgezeichnet funktioniert.“
Dina Nachbaur
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022
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