Interview
„Gebündelt und zukunftsfit“
Mag. Helmut Tomac, Generalsekretär im Bundesministerium für Inneres, über Schwerpunkte und Herausforderungen der Reorganisation der Zentralleitung des Innenministeriums.
Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für eine Reorganisation der Zentralleitung gewesen?
Als ich im Jänner 2020 zum Generalsekretär des BMI berufen worden bin, hat es schon nach wenigen Tagen einen Cyber-Angriff auf das Außenministerium gegeben, seither hat sich eine herausfordernde Situation nach der anderen für das BMI gestellt – zuerst die Covid-Pandemie, ebenso die zunehmende Migration, der Terroranschlag im November 2020 sowie die aktuelle Ukraine-Krise. Dessen ungeachtet war eine Neustrukturierung des BVT von höchster Priorität und es war allgemein von Bedeutung, dass unsere Organisation sich trotz all dieser Belastungen weiterentwickelt. Im Auftrag des damaligen Bundesministers Karl Nehammer und in enger Abstimmung mit seinem Kabinett haben wir daher analysiert, welche Handlungsfelder und Prioritäten sich – unter Zugrundelegung des Regierungsprogramms – in dieser Legislaturperiode für das Innenressort ergeben.
Was die Geschäftseinteilung in der Zentralstelle des Innenministeriums betrifft, war klar, dass einer Restrukturierung ein hoher Stellenwert einzuräumen ist. Die letzte diesbezügliche größere Evaluierung ist 2002/2003 erfolgt. Seither hat sich sehr viel verändert: Trends wie Globalisierung, Migration, Digitalisierung und viele andere demografische Entwicklungen haben die Gesellschaft und die Anforderungen an das BMI als Sicherheitsdienstleister der Republik nachhaltig verändert. Hinzu kommen Diskussionspunkte, die mir schon in meiner Zeit als Kabinettsreferent 2007/2008 bekannt wurden, und auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses war deutlich der Ruf nach einer Anpassung der Geschäftseinteilung zu vernehmen. Im Zentrum standen dabei Schnittstellenproblematiken, Sicherheitsaspekte in Hinblick auf Informations- und Kommunikationstechnologien, Zuständigkeitskonflikte und damit einhergehend auch Doppel- und Mehrgleisigkeiten. Wir haben uns die historischen Reformen aus den Jahren 2005 (Wachkörperreform) und 2012 (Behördenreform) zum Vorbild genommen und uns dafür entschieden, die Änderung der Geschäftseinteilung von innen heraus wachsen zu lassen; also die Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmend einfließen zu lassen. Daher haben wir als „Vorspann“ zur Reform eine umfassende Analyse des IST-Standes in Auftrag gegeben. Experten und Kenner des Hauses haben diese Analyse unter Einbindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus allen Arbeitsbereichen vorgenommen.
Aufbauend auf diesem Analyseergebnis hat der damalige Innenminister Karl Nehammer schließlich den Auftrag zur Projektierung einer Reorganisation der Zentralstelle des BMI gegeben und zwar mit markanten Eckvorgaben: Schaffung einer in die Zukunft gerichteten Organisationsstruktur unter besonderer Berücksichtigung der Grundsätze „Einheit der Führung“ und „Zusammenführung der Ressourcen und Ergebnisverantwortung“.
Eine weitere Vorgabe war, klare Zuständigkeiten zu schaffen und vermeidbare Schnittstellen zu beseitigen. Unter Einbeziehung der zunehmenden Digitalisierung und der aktuellen technischen Standards sollte zudem auf moderne Arbeitsabläufe besonderes Augenmerk gelegt werden.
Was waren besondere Herausforderungen bei der Erarbeitung der Reform?
Angesichts der breiten und vielschichtigen Aufgabenfülle im Bundesministerium für Inneres und der Dimension des Projektes – schließlich ist die gesamte Zentralleitung betroffen und nicht nur einzelne Teilbereiche – handelte es sich um ein außerordentlich komplexes Vorhaben mit zahlreichen Betroffenen. Wir haben in der Vergangenheit historische Reformen im Polizeibereich nach derselben Arbeitsmethode vorangetrieben und immer darauf gesetzt, uns „von innen heraus“ zu reformieren; das bedeutet, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verantwortung zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, selbst mitzugestalten. So sind uns Reformen gelungen, die über die Bundesgrenzen hinaus Beachtung und Anerkennung gefunden haben: 2005 mit der Wachkörperzusammenlegung und 2012 mit der Behördenreform. Denselben Anspruch haben wir jetzt auch bei der Reform der Zentralstelle, denn der Weg zu einer modernen und nachhaltigen Organisation ist ein gemeinsamer, der auf den Erfahrungen der Expertinnen und Experten in den einzelnen Sektionen aufbaut und ihre Handschrift tragen soll.
Was sind aus Ihrer Sicht die Schwerpunkte der Reform?
Wir sehen drei große Schwerpunkte – zum einen die Einrichtung der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) einschließlich des Transfers der NIS-Agenden in die Sektion IV, die mit 1. Dezember 2021 umgesetzt wurde. Zum anderen die Neuausrichtung der Organisationseinheiten der Zentralleitung mit 1. Juli 2022 und die Bündelung der IKT-Aufgaben in der Direktion Digitale Services (DDS) in der Sektion IV ebenfalls mit 1. Juli 2022.
Bei Hintergrundgesprächen mit den Medien zur Reform stand zumeist die Einrichtung der Bundespolizeidirektion im Fokus. Die aber – das ist mir wichtig – nicht das einzig zentrale Element dieser Reform ist. Inhaltlich ist beispielsweise die Frage der Bündelung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) eine ebenso wichtige für das Haus.
Wir wissen, dass die IKT-Struktur im Haus historisch gewachsen ist und – in den Sektionen verstreut – auf Idealismus, Engagement und Fachwissen einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Heranziehung unterschiedlichster Systeme aufgebaut wurde. Die technische Entwicklung schreitet aber mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit voran, wird immer komplexer und bedarf gerade im BMI eines besonderen Augenmerks, wenn es um Sicherheitsfragen geht. Bei all diesen Herausforderungen, die damit verbunden sind, bestand kein Zweifel, dass die Bündelung von IKT-Agenden in einer eigenen Direktion ein Zeichen der Zeit und Voraussetzung für eine in die Zukunft gerichtete Organisationsstruktur ist. Es gilt, Hard- und Softwarekomponenten unter ein Sicherheitsregime zu stellen, IKT-Agenden sowie damit verbundene Prozesse zu professionalisieren und dadurch den Anforderungen an eine moderne IKT gerecht zu werden. Es war uns bewusst, dass dies eine herausfordernde Veränderung ist, die nun unmittelbar vor der Umsetzung steht. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass der Schalter nicht einfach am 1. Juli umgelegt werden kann, sondern es eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird, bis die neuen Organisationsstrukturen mit Leben erfüllt und die nötigen Umstellungen vollzogen sind, um die Aufgaben so erfüllen zu können, wie es angedacht ist. Vor uns steht ein länger andauernder Aufbauprozess, den wir gemeinsam gestalten müssen. Daran führt kein Weg vorbei und die Einrichtung der DDS ist diesbezüglich einer der Kernbereiche dieser Reform.
Durch die neue Geschäftseinteilung wird mehr Verantwortung an die einzelnen Sektionen übertragen. Was sind hier aus Ihrer Sicht die wesentlichen Punkte?
Ressourcen- und Ergebnisverantwortung sind wesentliche Anforderungen an Führungskräfte. Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, bedarf es der entsprechenden Informationen und Werkzeuge. Daher war es mir wichtig, diese Grundlagen – wie sie bereits in den Landespolizeidirektionen vorhanden sind – auch den Leitern der Sektionen zur Verfügung zu stellen. Die Sektion I bleibt unverändert Dienstbehörde, aber sie gibt Teilaspekte an die anderen Sektionen ab, in denen künftig auch final dienstbehördliche Entscheidungen getroffen werden können. Die juristische Umsetzung, wie beispielsweise das Erlassen der Bescheide oder der Abschluss von Dienstverträgen, verbleibt bei den Experten in der Präsidialsektion, in der neuen Abteilung „Personal Services“.
Was ist aus Ihrer Sicht wesentlich für die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit?
Vorweg zusammengefasst: In dieser Sektion wird es mit der Einrichtung einer Gruppe Bundespolizeidirektion, einer eigenen Gruppe für Organisation, Ressourcen und Krisenmanagement sowie der Schaffung neuer Abteilungen für polizeiliche Sondereinsätze und operatives Grenz- und Fremdenpolizeimanagement wesentliche Veränderungen geben. Auch die Eingliederung der Flugpolizei in den Organisationsverbund der DSE sowie die Schaffung eines Referats für unbemannte Flugsysteme sind wesentliche Bestandteile.
Entgegen mancher Berichterstattung wird mit der Bundespolizeidirektion (BPD) keine neue Führungsebene eingezogen. Vielmehr werden im Wesentlichen die Aufgaben der ehemaligen Gruppe II/A und II/C neu zusammengefasst und mit der Gruppe II/BPD eine zentrale Ansprech- und Servicestelle für die Landespolizeidirektionen geschaffen. Mit dem Ziel, polizeiliche Sonderaufgaben und Einsätze weiter zu professionalisieren und verstärkt auch bei Einsatzlagen zu koordinieren bzw. zu servicieren, wird für Sondereinsatzbereiche der Polizei eine eigene Abteilung eingerichtet. Dies betrifft insbesondere die Bereiche des Sicherheits- und Ordnungsdienstes, der WEGA, der SRK, des Einsatztrainings sowie des Diensthundewesens und des Alpindienstes. Dass hier ein Handlungsbedarf in der Zentralstelle gegeben ist, haben uns die sehr fordernden Demoeinsätze in Zusammenhang mit Corona ebenso gezeigt wie zahlreiche andere Groß-einsätze der jüngeren Vergangenheit. Darüber hinaus sollen heute häufig dislozierte Fachexpertisen in der Zentralstelle gebündelt werden.
2019 wurde die Sektion V eingerichtet. Im Zuge dessen wurden auch polizeilich-operative Aufgaben der Grenz- und Fremdenpolizei aus der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (GD) in die Sektion V verlagert. Das war ein gewisser Widerspruch zu den grundlegenden Zielen der Wachkörper- und Behördenreformen, nämlich der höchstmöglichen Herstellung einer Einheit der Führung. Unzweifelhaft ist es wichtig, strategische und behördliche Agenden der Fremdenpolizei bzw. des Migrationswesens in einer eigenen Sektion abzubilden. Die operative Polizeiarbeit soll aber wieder gebündelt werden und unter einer Führung stehen. Dementsprechend nehmen wir mit dieser Geschäftseinteilung eine notwendige Anpassung vor. Wesentlicher Bestandteil der Reorganisation ist auch eine völlige Neuausrichtung des Krisenmanagements mit Blickrichtung Krisensicherheitsgesetz. Neben organisatorischen Veränderungen sind diesbezüglich bereits intensive bauliche Maßnahmen in die Wege geleitet.
Im 3. und 4. Untergeschoß des BMI am Minoritenplatz wird ein sehr modernes BMI-Lagezentrum – allenfalls Bundeslagezentrum – entstehen: Der Architektenwettbewerb dafür hat schon stattgefunden, Baubeginn wird 2023 sein. Aufgabe eines Bundeslagezentrums wird es sein, die gesamte Bundesregierung mit Lagebildern aus allen Lebensbereichen zu versorgen, zu unterstützen und eine enge Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften sowie weiterer Partner bei der Bewältigung von Krisen zu gewährleisten. Das ist eine wesentliche, zukunftsorientierte Veränderung zur heutigen Situation und wird nun auch in unseren organisatorischen Überlegungen mitberücksichtigt.
Gibt es etwas, dass sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zentralleitung für die neue Geschäftseinteilung und die Zeit nach dem 1. Juli 2022 mitgeben möchten?
Die Umsetzung der Restrukturierungsmaßnahmen wird mit 1. Juli 2022 beginnen. Beginnen sage ich deshalb, weil eine derart umfassende und tiefgehende Veränderung nicht per Knopfdruck von einer Minute auf die andere erfolgen bzw. funktionieren kann. Es liegt in der Natur der Sache, dass es in der Umsetzung in vielen Details noch zu Problemstellungen kommen wird, die Schritt für Schritt einer Lösung zugeführt werden müssen. Gewisse Abläufe müssen sich erst wieder neu einspielen und die technisch administrativen Umstellungen stellen ebenfalls eine große Herausforderung dar.
Es ist mir daher wichtig, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihren Beitrag für einen möglichst reibungslosen Übergang zu ersuchen. Es ist mir aber auch wichtig, zum Ausdruck zu bringen, dass Veränderungen für jede Organisation unverzichtbar sind, um eingefahrene Entwicklungen zu korrigieren und sich für die Zukunft fit zu halten.
Interview: Michaela Jana Löff
Zur Person
Mag. Helmut Tomac, 1965 in Innsbruck geboren, absolvierte die HTL in Jenbach. Von 1988 bis 1990 absolvierte er die Gendarmerie-Grundausbildung und versah von 1990 bis 1992 Dienst in den Gendarmerieposten Kematen und Jenbach. Von 1993 bis 1994 absolvierte er die Ausbildung zum leitenden Beamten an der Sicherheitsakademie in Mödling. Danach war er für kurze Zeit als Referatsleiter in der Schulungsabteilung des Landesgendarmeriekommandos Niederösterreich tätig, ehe er im Mai 1995 nach Tirol zurückkehrte. Dort verlief seine Karriere im Landesgendarmeriekommando vom Referatsleiter über den stellvertretenden Abteilungsleiter zum Abteilungsleiter der Personalabteilung. Nebenberuflich studierte Tomac Rechtswissenschaften und schloss das Studium 2003 ab. 2003 bis 2005 leitete er im Verbund von „team04“ das bundesweite Teilprojekt „Personal- und Planstellenbewirtschaftung“ des neuen Wachkörpers Bundespolizei. Tomac war in den Jahren 2007/ 08 als Referent im Kabinett von Innenminister Günther Platter und danach von Dr. Maria Fekter tätig. Im November 2008 kehrte er als Landespolizeikommandant nach Tirol zurück. Tomac war auch im Prozess zur größten Behördenreform 2012 maßgeblich eingebunden.
Das Modell der Geschäftsleitung bei den Landespolizeidirektionen fußt auf seiner Projektarbeit. Mit Umsetzung dieser Reform wurde Tomac 2012 zum ersten Landespolizeidirektor Tirols bestellt. Die Innenminister Karl Nehammer (01/2020) sowie Gerhard Karner (12/2021) bestellten ihn zum Generalsekretär im Innenministerium.
Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2022
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