Sport

Mit dem Fahrrad von Ferlach an die Südspitze Spaniens

Ende März 2020 hatten wir einen Flug nach Spanien gebucht, um mit dem Rad vom südlichsten Punkt des europäischen Festlandes (Tarifa) nach Hause zu fahren. Alles war fertig und bereit zur Abreise, doch der Ausbruch der Corona Epidemie in Italien und schließlich in ganz Europa brachte das Vorhaben zu Fall.

Heuer war es so weit und aus verschiedenen Gründen verschoben wir den Termin in den Herbst. Damit wir aber nicht in den Winter hineinfahren, wechselten wir auch die Richtung und buchten einen Flug am 10.11. von Malaga nach Wien. Jetzt mussten wir nur noch die Reise so planen, dass wir erstens unser Ziel, den südlichsten Punkt erreichen und dann rechtzeitig am Flughafen sind. Die sportliche Ausrichtung unserer Tagesetappen von den bisherigen Reisen hielten wir bei und kamen bei der Planung auf 20 Tage bis Tarifa. Dann noch zwei Reservetage und das Abfahrtsdatum stand mit 20. Oktober fest. Die Wettervorhersage bei der geplanten Abfahrt versprach ein Italientief und wir realisierten, dass wir eines nicht bedacht hatten: die kurzen Herbsttage. Also versuchten wir kurzfristig noch Zeit zu gewinnen und starteten einen Tag früher, am 19. Oktober.
Meine Freunde Mag. Peter Sagmeister und Robert Tscharf und ich radelten bei dichtem Nebel in Ferlach mit unseren Drahteseln, voll bepackt mit Zelt, Schlafsack, Unterlagsmatte als Notunterkunft, zwei Garnituren lange Radwäsche, Ausgehkleidung und eine Garnitur kurze Radwäsche, Erste Hilfe Material, Akkupack, Radreparaturkit (Speichen, Mantel, Schläuche, Werkzeug) Richtung Italien. Das erste Ziel war Spilimbergo, doch wir bekamen nur 15 km vorher ein Appartement in Cornino. Damit war aber auch klar, dass wir uns selbst um unser Essen kümmern mussten. Beim letzten Geschäft vor der Unterkunft kauften wir also so großzügig ein, dass wir satt wurden, aber nichts zurücklassen oder mitnehmen mussten. Die nächste Etappe brachte uns vom Navi geführt über kleine Straßen und einem Feldweg nach Vicenza. Bedingt durch den kürzeren Vortag mussten wir die 15 km einarbeiten und nach 160 km bekamen wir in einer Jugendherberge Quartier. Abends vergönnten wir uns eine Pizza in der Nähe. In der Sommerzeit wurde es um 08:00 Uhr so hell, dass man mit Beleuchtung starten konnte, und das mussten wir auch tun, damit wir für die langen Etappen ausreichend Zeit zur Verfügung hatten. Wir mussten schließlich auch einmal essen und rasten. Die Poebene brachte keine großen Hindernisse und wir spulten unsere Kilometer brav herunter. Der Routenplaner von der Plattform "Komoot" verband verkehrsarme Straßen mit Radwegen und nur wenn es nicht anders ging, mussten wir auf Bundesstraßen. Mit Nächtigungen in Cremona und Casale Monferrato radelten wir durch Turin Richtung Alpen. Dieser Tag war insofern anstrengend, weil der Zielort Oulx bereits auf 1100 m liegt und die Steigungen erst nach 120 zurückgelegten Kilometern anfangen. Es war der fünfte Tag mit ca 8 Stunden Belastung und bergauf spürt man am schweren Rad jeden Kilogramm. Dazu kommt, dass die kleinen Straßen durch die Ortschaften viel steiler angelegt sind als die Bundesstraße. In Oulx hatten wir ein Appartement gemietet und bevor wir dorthin rollten, war noch der Supermarkt am Programm. Voll bepackt mit Köstlichkeiten übernahmen wir wieder eine Kleinwohnung und ließen es uns gut gehen. Der nächste Tag sollte uns über die Alpen nach Frankreich führen, doch es regnete. Im Sommer wäre das kein großes Hindernis, aber im Herbst schaut das anders aus. Lange Diskussionen über die Taktik und Sinnhaftigkeit brachten das Ergebnis, einen Tag zu warten, zumal für den nächsten Tag Schönwetter prophezeit und wir ja einen Tag früher gestartet waren. Wie zur Belohnung starteten wir bei wolkenlosem Himmel vorbei an Sestriere Richtung Frankreich. Auf 1850 m Seehöhe blickten wir auf den südlichsten Viertausender der Alpen, der Barre des Ecrins. In Briancon kamen wir wieder in wärmere Gefilde, bogen aber wieder ab, um verkehrsbedingt nicht zu nahe an die Küste zu gelangen. In Gap fanden wir mit dem Hotel F 1 das günstigste Quartier. Mit Gemeinschaftsdusche und WC am Gang, einem 10 m2 Zimmer mit Doppelbett und einem Stockbett quer drüber kamen wir samt Frühstück auf 26 Euro für alle drei.
Da wir spätestens um 21:00 Uhr sowieso in die Betten fielen, stieg der Anspruch auf Komfort zu einem nicht unbedingt notwendigen Luxusgut. Die Alpen lagen hinter uns, aber das küstennahe Hinterland wurde niemals flach. Durch eindrucksvolle Canyons und kleine Passstraßen rollten wir nach Avignon. Zwei Etappen mit 165 km ließen uns die bleierne Müdigkeit spüren, mit der man morgens aufs Rad steigt. Da war es nur recht, dass wir vor den Pyrenäen eine "kürzere" eingeplant hatten. Nach 136 km erreichten wir Arles sur Tech. Hier begann der Anstieg zu den Pyrenäen und an diesem Tag realisierten wir auch, dass wir erst die Hälfte unserer Reise erreichten. Doch die wunderschöne kleine Straße mit moderaten Steigungen durch herbstlich verfärbte Wälder entschädigte uns ein wenig für die Mühe. Wir erreichten eine Höhe von 1520 m, bevor wir Spanien erreichten. Die Höhenmeterbilanz aber erreichte mit 2290 Metern an diesem Tag den Höchststand des täglich zu bewältigenden Wertes. Eine Buchung der Unterkunft in Berga über die Plattform "booking.com" war nicht möglich, weil keine Quartiere mehr zur Verfügung standen, doch wir hatten Glück. Auf Google Maps entdeckten wir ein Gästehaus und mittels E-Mail bekamen wir eine Zusage. Die Fahrräder mussten wir mit dem Aufzug ins Zimmer bringen und es gab nur Stockbetten. Ein Spaziergang durch die Stadt und ein Abendessen rundeten den Abend ab. Das Frühstück nahmen wir im Zimmer am Boden ein, weil das angebotene Frühstück erst ab 08:00 Uhr zu haben war, da wollten wir wegfahren. Doch ein platter Reifen bei Robert verzögerte unsere Abreise ein wenig. Die Landschaft wechselte und entlang des Rio Segre kamen wir durch hügeliges Gelände nach Lleida. Wieder hatten wir ein Appartement und verpflegten uns selbst. Peter lief in der Küche zur Höchstform auf und servierte faschierte Laibchen mit Kartoffeln und Salat. Die Etappen nach Andorra (Stadt) und Teruel führten durch prärieartige Landschaften und man fühlte sich wie in Arizona. Die Fahrt durch einen Nationalpark voller Kiefernwälder und rotes Gestein nach Teruel ließ uns über die Vielfalt des spanischen Binnenlandes staunen. Doch die Hügel hörten nicht auf und in der letzten Woche wurde die Planung unserer Reise überschaubarer. Das Wetter war auf unserer Seite, es sollte schön bleiben und wir hatten noch genug Reserve. Deshalb beschlossen wir, es ein bisschen gemütlicher anzugehen, pro Tag weniger Kilometer zu fahren, die Landschaft ein wenig mehr zu genießen und mehr Erholungszeit bei früherer Ankunft zur Verfügung zu haben. Also kürzten wir die Etappen von 160 auf 130 km und meinten jetzt wird alles leichter. Doch schon am nächsten Tag verfuhren wir uns und mussten 10 km mehr fahren. Der Tag nach Ossa de Montiel führte uns durch eine Hochebene und die Windprognose stand auf Sturm. 28 km/h Windgeschwindigkeit im Schnitt mit Böen bis zu 42 km/h, nur leider von der falschen Seite. Der erste mühte sich 5 km ab, dann kam der Führungswechsel und in diesem Rhythmus ging es den ganzen Tag dahin. Auch bei der kürzeren Etappe kamen wir erst um 16:30 Uhr ans Ziel. Wir hatten noch 5 Tage zu radeln, also wurde es Zeit für die Logistik am Flughafen zu denken. Wir brauchten Schachteln, um die Räder zu verpacken, sonst werden sie nicht mitgenommen. Wir kontaktierten per Mail ein Fahrradgeschäft, das wir im Internet gefunden hatten, doch leider ohne Erfolg. Also schauten wir um ein Flughafentaxi und konnten mit dem Fahrer zwei Tage später Kontakt aufnehmen, der uns die Schachtel besorgte, während wir durch die Berge der Sierra dem Ziel näherkamen. Die Route war so angelegt, dass wir erst am vorletzten Tag der Reise in Sichtweite zum Meer kamen. Auf der Fahrt von Campillos nach Algeciras tauchte plötzlich eine Bucht in der Ferne auf und der Felsen von Gibraltar stand plötzlich wie eine Festung da.
Nach den 1600 Höhenmetern dieses Tages glaubten wir nur noch ans Meer rollen zu müssen, doch die Abfahrt war weniger lang als gedacht und es blieben noch 45 km durch hügeliges Hinterland übrig, wieder über eine Schotterstraße, die bremste und schließlich über die Bundesstraße zum Hotel. Wir waren nur noch 39 km vom Ziel entfernt, brauchten also nicht gleich um 07:00 Uhr (wie nach der Zeitumstellung üblich) losfahren. Gemütlich genossen wir das Frühstücksbuffet und radelten über die viel befahrene Bundesstraße nach Tarifa. Doch das war kein Problem, denn die Disziplin der spanischen Autofahrer ist beachtlich. Die Autos fahren so lange hinter dem Radfahrer, bis sie mit ausreichend Abstand überholen können. Die Berge von Afrika rund um Tanger sind hier nur 15 km entfernt. Immer wieder blieben wir stehen, um den Ausblick zu genießen. Schließlich rollten wir nach Tarifa und erreichten nach genau drei Wochen unser Ziel, das Ende Europas.
Es blieb noch ein Rasttag in Tarifa, den wir zum Bummeln nutzten, bevor wir am 10. November pünktlich in den Flieger nach Hause steigen konnten. Mit dem Bewusstsein, dass es wahrscheinlich die letzte derartige Reise war, konnten wir eine sehr intensive Zeit miteinander verbringen und das Erlebte wird für die nächsten Jahre ein ständiger Begleiter sein.
Für die Statistiker: 2750 km und 23.610 Höhenmeter

Sepp Bierbaumer

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Foto: ©  J. Bierbaumer
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Artikel Nr: 20183 vom Mittwoch, 23. November 2022, 11:06 Uhr
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