Ausgabe 4/2017


Der Greifreflex beim Erwachsenen. Die forensischen Bedeutungen weiterer neurochirurgischer und neurologischer Themen

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M. C. Silke Brodbeck, M. Sinikka Brodbeck, Juha  Öhman

In einigen Fällen von Schussverletzungen werden Greifreflexe als Auslöser für "akzidentelle Schussauslösungen", also unfallbedingte Schussverletzungen von Schützenseite, angegeben. Die Angabe eines Reflexes soll das Unfallartige eines Schussgeschehens unterstreichen. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, was genau ein Greifreflex ist und welche Bedeutung er im forensischen Kontext von Schussverletzungen hat. Zudem wächst das medizinische Wissen der einzelnen Fachdisziplinen stetig und führt zu einer erheblichen Zunahme der Datenmenge und darüber hinaus zu weiterführender Subspezialisierung im Rahmen der verschiedenen, medizinischen Fachdisziplinen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, klinische Schwerpunkte der neurologischen und neurochirurgischen Disziplinen mit den Fallstricken, die durch fehlenden klinischen Bezug in der forensischen Betrachtung entstehen können, aufzuzeigen.

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Sicherheitsgefährdungen in der stationären Altenhilfe. Aggression und Gewalt unter Bewohnerinnen und Bewohnern

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Thomas Görgen

Sicherheit und Lebensqualität der in Heimen lebenden hochaltrigen Pflegebedürftigen sind nicht nur durch mögliches Fehlverhalten von Pflegekräften und strukturelle Defizite in den Einrichtungen bedroht, sondern auch durch von Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern ausgehende aggressive Handlungen. Erst in jüngster Zeit wird diese Problematik überhaupt wahrgenommen. Der Beitrag unterzieht die internationale Literatur zu "residenttoresident aggression" (RRA) einer Sichtung und stellt Forschungsbefunde zu Erscheinungsformen, Verbreitung, Tatfolgen, Bedingungsfaktoren und Handlungskontexten von RRA, zum Umgang von Pflegekräften mit entsprechenden Problemlagen sowie zu Perspektiven der Intervention und Prävention dar.

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Selbstbestimmungsfähigkeit, psychische Gesundheit und Sexarbeit

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Stefan Tschöke, Brendan Snellgrove, Dana Bichescu-Burian, Raoul Borbé

Die Begründungen von Frauen für ihre Entscheidung in der Sexindustrie zu arbeiten sind vielfältig. An erster Stelle werden ökonomische Gründe genannt. Inwieweit es sich jeweils um eine freie, selbstbestimmte Entscheidung handelt, ist dabei eine kontrovers diskutierte Frage. Die Meinungen hierzu schwanken zwischen zwei Extremen: von "Geschäftsfrauen" bis hin zu "alles Gewaltopfer". Die Durchführung von wissenschaftlichen Studien bei dieser Klientel ist insgesamt schwierig, da es sich um eine mobile, sich schnell verändernde und heterogene Population handelt, die sich zu einem nicht unerheblichen Teil in der Illegalität befindet. Auf Grund besserer Erreichbarkeit stammen die vorhandenen Daten häufig von Frauen, die im Bereich der Straßenprostitution tätig sind. Repräsentative Stichprobenerhebungen aus dem gesamten, heterogenen Tätigkeitsspektrum sind bisher nicht vorhanden. Thematisch dominieren sozialwissenschaftliche Fragestellungen, psychiatrische Fragestellungen zur psychischen Gesundheit sind eher selten. Die Situation der untersuchten Sexarbeiterinnen ist durch eine hohe Prävalenz an a) anhaltender interpersoneller Gewalt, b) einer Lebensgeschichte mit sexuellem Missbrauch in der Kindheit und c) psychischen Störungen, v.a. Störungen infolge von wiederholten Traumata sowie Abhängigkeitserkrankungen, gekennzeichnet. Auf der Basis eines narrativen Reviews sollen mögliche Verflechtungen zwischen Sexarbeit, psychischer Gesundheit und der Frage der Selbstbestimmungsfähigkeit diskutiert werden. Es wird postuliert, dass es sich bei den Protagonisten in der Sexindustrie um ein Kontinuum zwischen beiden Polen "Geschäftsfrau" und "Gewaltopfer" handelt. Die Fähigkeit zur selbstbestimmten Entscheidung ist hierbei das entscheidende Kriterium, welches ein Maßstab für den Hilfebedarf sein kann.

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Verzerrungen in der Kriminalitätsberichterstattung. Welche Delikte TV-Journalisten auswählen, wie sie Opfer idealisieren – und wie sie die Polizei darstellen

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Thomas Hestermann

Das Fernsehen liefert ein anderes Bild von Verbrechen und Gewalt, als es Polizeistatistiken tun. Die Hauptfigur der Berichterstattung ist das Verbrechensopfer, aber es ist ein idealisiertes Opfer, bevorzugt weiblich. Drastische und sexuelle Gewalt steht im Vordergrund. Mehr als jeder zweite deutsche TV-Gewaltbericht zeigt Mord und Totschlag. Überlebt das Opfer, sinkt die journalistische Aufmerksamkeit unter zehn Prozent. Das Fernsehen hat ausländische Gewalttäter als Angstfigur neu entdeckt – um Gewalt gegenüber Ausländern geht es dagegen kaum. Die Polizei gehört zu den wichtigsten Informationsquellen und wird eher sachlich beschrieben.

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Salafismus als Nährboden des islamistischen Terrorismus?

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Michail Logvinov

Das salafistisch geprägte informelle islamische Milieu in Europa avancierte in den letzten Jahren zu einem umstrittenen Phänomen. Viele politische und sicherheitsbehördliche Entscheidungsträger glauben, einen Nexus zwischen dem Salafismus und dem islamistischen Terrorismus bzw. Dschihadismus ausmachen zu können, weshalb die sich selbst auf dem Weg der "frommen Vorfahren" wähnenden Milieuangehörigen als gefährlich und ihre Weltbilder als "geistiger Nährboden des Terrorismus" gelten. Dabei ist das Befürworten der Gewaltanwendung keine ausschließliche Domäne des militanten Salafismus. Die die Gewalt legitimierenden Problemdiagnosen sind im Salafismus obendrein ein komplexes Thema. Was den Salafismus und den (IS)-Dschihadismus ähnlich erscheinen lässt, sind die Mechanismen der religiösen Sinnproduktion: Beide Strömungen rekurrieren auf das ur-islamische Gemeinde-Paradigma als Appelationsinstanz. Bei der relationalen Situationsdefinition scheint jedoch jede Strömung in ihren eigenen Werkzeugkasten zu greifen. Während für den Salafismus primär der pädagogische Aspekt im Vordergrund steht, greift der zeitgenössische Dschihadismus auf dieselben kanonischen Quellen zurück, um eine Synthese zwischen dem ursprünglich arabischen Reichs- und späteren Weltreligionsparadigma zu vollziehen. Um theologischen und handlungspraktischen Widersprüchen vorzubeugen, konstruiert er seine eigene Gewalttheologie als Grundlage für die so verstandene islamische Orthopraxie. Zugleich sollte berücksichtigt werden, dass der dschihadistische Bezug auf den Koran und das Goldene Zeitalter des Islams auch andere Wurzeln hat. Bekanntlich definierten charidschitische Interpretationsmodelle den Koran als für alle Muslime unverrückbaren Maßstab. So suchten die Gruppen der Azraqiten ihr Heil in der Auswanderung aus der Gemeinschaft der Muslime und erklärten jeden für ungläubig, wer sich nicht zu ihnen bekannte oder seine Haltung verbarg.

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Besonderheiten im Umgang mit Kindern bei polizeilichen Ermittlungen

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Veit Petzoldt

Eine polizeiliche Vernehmung stellt Polizeibeamte immer vor die große Herausforderung, die richtigen auf den Gesprächspartner angepassten und für den jeweiligen Vernehmungsanlass zielführenden Kommunikationsstrategien auszuwählen und anzuwenden. Dies erfordert nicht nur eine gewissenhafte Vorbereitung auf die Vernehmung, sondern zudem eine nicht unerhebliche Schulung der Beamten im Umgang mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten. Viele Polizeibeamte konnten im Laufe ihrer Dienstjahre zahlreiche Erfahrungen in Vernehmungssituationen mit erwachsenen Tatverdächtigen und Zeugen sammeln; das Thema wird bereits an den Polizeischulen eingehend behandelt. Weniger geschult sind die Beamten dagegen im Umgang mit Kindern in Vernehmungssituationen – hier kommt zur Pflicht der Wahrheitsermittlung noch eine Pflicht zur Fürsorge für die minderjährigen Personen. Besonders wenn Kinder zu Opfern sexuellen Missbrauchs geworden sind, benötigen sie parallel zur polizeilichen Ermittlung auch intensive psychologische und – ganz einfach ausgedrückt – menschliche Betreuung. Nicht selten haben Polizeibeamte hier Hemmungen; oft aus der Angst heraus, etwas falsch zu machen und die Kinder damit noch einmal zu verletzen. Aber – und dies soll der Artikel aufzeigen – es ist notwendig, dass man sich solchen Herausforderungen stellt und darauf vorbereitet. In vielen Fällen stellen Beamte neben der Wahrheitsermittlung auch das Vertrauen der Kinder in die Polizei, oder sogar in Erwachsene insgesamt, wieder her. Wenn die Hemmungen einmal überwunden sind, kann es ein sehr schönes Gefühl sein, im Rahmen der beruflichen Tätigkeit, einem hilflosen Kind zur Seite zu stehen. Nur wenige Situationen innerhalb des Polizeiberufes zeigen den Charakter der Polizei als Institution, aber auch den Charakter des einzelnen Beamten, so deutlich. Sie sollten auf diese Situationen vorbereitet sein!

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Die Verrechtlichung des Autofahrens in der Ersten Republik. Gesetzgebung und Fiskalpolitik von 1918–1938

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Walter Blasi

In einem vorangegangenen Beitrag aus dem Jahre 2016 wurden die Gesetzgebung und Fiskalpolitik am Beginn des Automobilismus bis zum Untergang der österreichischungarischen Monarchie behandelt (Blasi 2016). Zur Erinnerung, damals wurde noch vor den Folgen einer restriktiven Verkehrspolitik gewarnt, um das Aufkommen des "zarten Pflänzchens Automobilismus" und den damit verbundenen Wirtschaftszweig nicht zu gefährden. Mit dem Ende der Monarchie sah sich "Rest-Österreich" mit großen wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Davon waren auch die Automobilfabriken des klein gewordenen Österreich schwer betroffen. Aus einem Importland, dessen heimische Kraftfahrzeugindustrie nur etwa die Hälfte des Fahrzeugbestandes abdecken konnte, wurde über Nacht eine Exportindustrie, die bis zum "Anschluss" schwer unter Druck stand. Zunächst erreichten die Preise für Automobile phantastische Höhen und auch die Betriebskosten schnellten gewaltig in die Höhe, so dass der Mittelstand nicht mehr mithalten konnte. Mit der Währungssanierung konnte die wirtschaftliche Lage stabilisiert werden und es folgte eine Phase der Prosperität, die allerdings mit dem "Schwarzen Freitag" im Jahre 1929 ein jähes Ende fand. Was folgte, war eine neuerlich von wirtschaftlichen Schwierigkeiten geprägte Phase. Eine Besonderheit des Automobilismus in der Ersten Republik war, dass auch hier die Politik spürbar wurde. Als die Monarchie zerfiel, überlebten zwei Strukturelemente: die Länder und die politischen Parteien. Die österreichischen Parteien mit ihren scharfen ideologischen Profilierungen (katholisches Leben versus sozialistisches Leben) hatten sich rasch als Weltanschauungsparteien formiert. Diese beiden Lager sollten sich bis zum Ende Österreichs unversöhnlich gegenüberstehen. Straßenverkehrs- und Steuerrecht erfuhren auf Grund der Entwicklung des Automobilismus in der Ersten Republik Änderungen, wobei speziell Letzteres auf Grund der wirtschaftlichen Lage des Staates oft Anlass für heftige Auseinandersetzungen war und sich die diversen Geldbeschaffungsideen als kontraproduktiv erweisen sollten. Im März 1938 erfolgte dann der "Anschluss", wodurch Österreich Teil des Deutschen Reiches wurde und deutsches Recht auf dem Kraftfahrzeugsektor zur Anwendung kam.

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