Rechtsstaat und Menschenrechte

Berichte zu Themenschwerpunkten

Neben der Behandlung aktueller, das Innenressort betreffender menschenrechtlicher Fragestellungen legte der Menschenrechtsbeirat regelmäßig Themenschwerpunkte fest, die von Arbeitsgruppen aufgearbeitet und der Bundesministerin oder dem Bundesminister für Inneres in Form von Berichten zur Kenntnis gebracht wurden. Zu diesen Arbeitsgruppen konnten neben Mitgliedern des Beirates und der Kommissionen auch externe Expertinnen und Experten beigezogen werden.

Hier finden Sie alle bisher veröffentlichten Berichte des Menschenrechtsbeirates zu Schwerpunktthemen in einer kurzen Zusammenfassung sowie als pdf-file zum Download.


2012/06 - Präsentation des Berichtes Menschenhandel

Opfer des Menschenhandels müssen effektiver identifiziert werden - Schulung und Sensibilisierung von PolizeibeamtInnen dringend erforderlich

Menschenhandel ist ein weltweit auftretendes Phänomen: Täglich werden unzählige Frauen, Kinder und Männer sexuell, in ihrer Arbeitskraft, durch Zwang zur Bettelei oder unfreiwilliger Organentnahme ausgebeutet. Der Menschenrechtsbeirat hat sich der Identifizierung der Opfer von Menschenhandel durch die Polizei gewidmet. In seinem umfassenden Bericht stellt der Menschenrechtsbeirat fest, dass beim Opferschutz und der Tätersuche durch die Kriminalpolizei deutliche Fortschritte erkennbar sind, dass jedoch im Rahmen verwaltungspolizeilichen Handelns, zB beim polizeilichen Einschreiten im Kontext der Prostitution oder bei der Durchführung der Schubhaft, Methoden angewandt werden, die es schwer bis unmöglich machen, dass Opfer von Menschenhandel sich zu erkennen geben bzw. identifiziert werden können. Die Kommissionen des Menschenrechtsbeirates haben Fakten erhoben, aufgrund deren Analyse der Menschenrechtsbeirat Empfehlungen an die Bundesministerin für Inneres erstattet hat, die bei einem Pressegespräch erläutert werden.

Bericht (1,4 MB) 

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2012/06 - Präsentation des Berichtes Misshandlungsvorwürfe

PRESSEINFORMATION

Zum Bericht der Arbeitsgruppe "unabhängige polizeiexterne Beschwerdestelle für Misshandlungsvorwürfe gegen Organe der Sicherheitsexekutive"

Dieser Bericht formuliert ein Konzept für eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle, die sich mit Misshandlungsvorwürfen durch Vertreter der Sicherheitsexekutive befasst. Zu Grunde liegt der Gedanke, dass in der Vergangenheit vielfach öffentliche Kritik an der Vorgangsweise der zuständigen staatlichen Stellen in solchen Fällen geübt wurde. Auch internationale Organisationen, die mit dem Menschenrechtsschutz befasst sind, haben diesbezüglich Empfehlungen erteilt. In Reaktion darauf hat es der Menschenrechtsbeirat für notwendig erachtet, neue Ideen für den institutionellen Rahmen beim Umgang mit Misshandlungsvorwürfen zu entwickeln. Dabei wird im vorliegenden Papier ein ehrgeiziges Konzept vorgeschlagen.

Diese Arbeitsgruppe baute auf die Ergebnisse einer ersten Arbeitsgruppe zu diesem Thema unter dem Titel "Die Polizei als Täter?" veröffentlicht 2007 auf, in der alle während eines Zeitraums von einem Jahr im Zuständigkeitsbereich der OStA Wien eingeleiteten Strafverfahren wegen Quälens eines Gefangenen (§ 312 StGB) oder (vorsätzliche) Körperverletzung durch Polizisten im Zuge einer Amtshandlung (§§ 83, 84, 313 StGB) analysiert und ausgewertet wurden. Als Ergebnis der ersten Arbeitsgruppe konnte unter Anderem festgestellt werden, dass

In strafrechtlicher Hinsicht oftmals eine rasche und umfassende Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen nicht unabhängig, und die unabhängige Untersuchung nicht rasch und umfassend sei. Zudem wurde betont, dass eine rasche, umfassende und unabhängige Ermittlung durch den Einsatz einer professionell ausgebildeten, ausgestatteten Ermittlungseinheit unbedingt erforderlich sei. Die Aufnahme eines eigenen Straftatbestandes der Folter (Definitionsmerkmale des Art 1 UN-Antifolterkonvention in Verbindung mit einer angemessenen Strafdrohung) in das StGB wäre notwendig.

In menschenrechtlicher Hinsicht eine zu starke Determinierung des österreichischen Systems der Untersuchung, Aufklärung und Sanktionierung von möglichen Misshandlungsvorwürfen durch strafrechtliche Gesichtspunkte geprägt sei. In weiterer Folge wurden daher Strafverfahren durch die StA häufig eingestellt, was im Ergebnis oftmals den unbefriedigenden Effekt hat, dass Straflosigkeit Folgenlosigkeit nach sich zieht.

Aufgrund der Ergebnisse der ersten Arbeitsgruppe beschloss der Beirat die Einsetzung einer neuen Arbeitsgruppe. Der Schwerpunkt dieser Arbeitsgruppe lag in der Errichtung und Ausgestaltung einer unabhängigen Stelle, die neben der Entgegennahme von Beschwerden auch und ausschließlich für die notwendigen Ermittlungshandlungen in Kooperation mit den Staatsanwaltschaften und Disziplinarbehörden zuständig ist. Damit hat die Arbeitsgruppe ein eher visionäres Konzept gewählt.

Ziel war es, jene Erfordernisse zu überlegen, die angebracht wären, um Beschwerden über Misshandlungen durch Organe der Sicherheitsexekutive unabhängig und objektiv untersuchen zu können, sowie den Beschwerdeführer über die weiteren Verfahrensschritte zu informieren. Diese Funktion soll eine polizeiexterne Beschwerdestelle (pexBeSt) wahrnehmen. Um Vorwürfe effizient klären zu können, braucht diese pexBeSt auch die Funktion einer Ermittlungseinheit, die rasch und unabhängig die Ermittlungen durchführt und die Ergebnisse an die StA sowie gegebenenfalls den Disziplinarbehörden übermittelt. Die dadurch ermöglichte rasche und unabhängige Ermittlung würde überdies die Situation der BeamtInnen verbessern, weil im Falle ihrer Unschuld diese rasch und unabhängig erwiesen werden könnte.

Die Arbeitsgruppe hat sich auf folgende Grundsätze geeinigt:

  • Die pexBeSt darf nur für Beschwerden über Misshandlungsvorwürfe und nicht für andere Beschwerden (zB unfreundliches Verhalten eines Polizisten) zuständig sein.
  • Der Begriff der Misshandlung ist nicht notwendigerweise im Sinne der Körperverletzung bzw. Misshandlung nach dem StGB zu verstehen, sondern an internationalen Vorgaben (zB Judikatur des EGMR) auszurichten.
  • Es soll eine rasche und unabhängige Aufnahme einer Beschwerde wegen einer behaupteten Misshandlung durch die Polizei gewährleistet und der Beschwerdeführer über das weitere Vorgehen informiert werden. Ein einheitliches Verfahren für die Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen wird vorgeschlagen.
  • Diese pexBest soll die Ermittlungen führen und nach deren Abschluss das Ergebnis der StA bzw. gegebenenfalls den Disziplinarbehörden übermitteln. Sie soll das Recht bekommen, Beweise aufzunehmen (zB Vernehmungen durchzuführen und Gegenstände sicherstellen).
  • Soweit im Rahmen von Ermittlungen Eingriffe in Grundrechte erforderlich sind, soll der pexBeSt die Möglichkeit zukommen, die Anordnung solcher Maßnahmen bei der StA anzuregen. Die pexBeSt kann selbst einen Sachverständigen bestellen oder die Bestellung eines Sachverständigen bei der StA beantragen.
  • Es soll der pexBeSt die Möglichkeit eingeräumt werden, gegenüber der StA und den Disziplinarbehörden Empfehlungen abzugeben, wie mit dem jeweiligen Verfahren weiter umgegangen werden soll. Diese Empfehlungen sollten zum Bestandteil des Akts werden, damit sie im Rahmen eines Straf- oder Disziplinarverfahrens gewürdigt werden können. Über das Ende eines Straf- oder Disziplinarverfahrens soll die pexBeSt mit Begründung informiert werden, gleichsam als Antwort auf die abgegebene Empfehlung.
  • So genannte "niederschwellige" (unterhalb der strafrechtsrelevanten Schwelle) Fälle sollten im Zusammenwirken mit den Disziplinarbehörden und dem Vorgesetzten "diversionsähnlich" erledigt werden können im Sinne eines Konfliktausgleichs. Zudem soll die pexBeSt Vorschläge bzw. Empfehlungen zu einer Wiedergutmachung im Sinne des Art 14 CAT abgeben können.
  • Schließlich sollte dem Opfer ein verschuldensunabhängiger Wiedergutmachungsanspruch an den Staat zustehen, weil sich die Frage des Verschuldens in vielen Fällen nur schwer klären lassen wird, eine rechtswidrige Misshandlung aber dennoch offenkundig ist.

Bericht (1 MB) 

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2012/06 - Präsentation Abschlussbericht des Menschenrechtsbeirates (1999-2012)

PRESSEINFORMATION

Zum Abschlussbericht des Menschenrechtsbeirates im Innenministerium (1999-2012)

Mit 1. Juli 2012 werden jene Bestimmungen des sog. OPCAT-Durchführungsgesetzes (Bundesgesetz zur Durchführung des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter) in Kraft treten, durch welche der Volksanwaltschaft die Funktion eines nationalen Präventionsmechanismus (NPM) übertragen werden. Gleichzeitig werden die Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) über den Menschenrechtsbeirat im BM.I außer Kraft treten. Damit wird dieser Beirat aufhören zu bestehen.

Aus diesem Anlass präsentiert der Beirat einen abschließenden Bericht, welcher sowohl eine Rückschau auf seine gesamte bisherige Tätigkeit, als auch einen Ausblick auf Themenbereiche, die im Rahmen des neuen NPM weitergeführt werden könnten, enthält. 

I. Einrichtung, Aufgaben und Arbeitsweise des Menschenrechtsbeirates

Der Menschenrechtsbeirat im BM.I wurde im Juli 1999 aufgrund der wiederholten Empfehlungen des Komitees zur Verhütung von Folter des Europarates (CPT) eingerichtet. Die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz, welches die gesetzliche Grundlage der Tätigkeit des MRB bildet, ist am 1. September 1999 in Kraft getreten.

Der MRB hat sich am 5. Juli 1999 konstituiert. Seither hat der MRB insgesamt 109 Sitzungen abgehalten; die letzte am 19. Juni 2012.

Dem MRB gehören elf Mitglieder und ebenso viele Ersatzmitglieder an. Diese werden vom Bundesminister/von der Bundesministerin für Inneres für eine Funktionsperiode von drei Jahren bestellt. Der/die Vorsitzende des MRB (und dessen/deren Stellvertretung) wird auf Vorschlag des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs bestellt.

Die zentrale Aufgabe des MRB ist es, den Bundesminister/die Bundesministerin für Inneres in Fragen der Wahrung der Menschenrechte zu beraten. Er hat die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden, der sonst dem BM.I nachgeordneten Behörden und der zur Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigen Organe unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte zu beobachten und begleitend zu überprüfen. Darüber hinaus entfaltet der MRB eine inhaltlich-konzeptive Arbeit und erstattet auf Grundlage dieser Arbeit dem Bundesminister/der Bundesministerin für Inneres Verbesserungsvorschläge für den gesamten Bereich der Sicherheitsverwaltung.

In diesem Sinne hat der Beirat z.B. Stellungnahmen zu Entwürfen von Bundesgesetzen (wie etwa Änderungen des Fremdenrechts) abgegeben und auch Vorschläge zu Änderungen der Praxis der Sicherheitsbehörden (z.B. hinsichtlich einer Intensivierung der Schulung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf dem Gebiet der Menschenrechte) eingebracht.

II. Die Kommissionen des Menschenrechtsbeirates

Zur Wahrnehmung der Aufgaben der Beobachtung und Überprüfung sind dem Beirat "Kommissionen" beigegeben. Diese sind regional unter Anlehnung an die Sprengel der Oberlandesgerichte (OLG) organisiert, d.h. es gibt für den Sprengel des OLG Wien drei und für die Sprengel der OLG Graz, Innsbruck und Linz je eine Kommission. Jede Kommission besteht aus sechs bis acht Mitgliedern; sie sind aus Experten und Expertinnen der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Fächer zusammengesetzt (etwa Ärzte/Ärztinnen, Juristen/Juristinnen, Psychologen/Psychologinnen, Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen).

Die Kommissionen besuchen und überprüfen alle Orte, an denen von der Sicherheitsverwaltung Menschen angehalten werden, beobachten Einsätze der Polizei bei Großveranstaltungen und Demonstrationen, Razzien und sonstigen Anlässen. Die Sicherheitsexekutive ist verpflichtet, die Tätigkeit des MRB und seiner Kommissionen zu unterstützen und Auskünfte zu erteilen.

Die Kommissionen haben in den Jahren 2000 bis 2012 insgesamt 5701 Besuche und Beobachtungen durchgeführt, die sich wie folgt gliedern:

  • 3617 Besuche bei Dienststellen der Bundespolizei (PI)
  • 1219 Besuche in Polizeianhaltezentren (PAZ)
  • 865 sonstige Beobachtungen (etwa Demonstrationen, Großveranstaltungen, Razzien und Flugabschiebungen)

Zwischen Juli 2000 und Juni 2012 haben die Kommissionen dem Beirat insgesamt 75 Dringlichkeitsberichte (DB) vorgelegt. Auf dieses Instrument wurde immer dann zurückgegriffen, wenn aus menschenrechtlicher Sicht ein rasches Tätigwerden des Beirates geboten schien. Vor der Entscheidung des MRB über die zu ergreifende Reaktion (z.B. Empfehlung) sind DB dem BM.I mit dem Ersuchen um Stellungnahme übermittelt worden.

III. Themenbereiche der Tätigkeiten des Beirates

Die Tätigkeit des MRB in den Jahren 1999 bis 2012 lässt sich in folgende Themenbereiche gliedern:

  • Sicherheitsexekutive
  • Fremden- und Asylrecht
  • Schubhaft und Abschiebungen

Bericht (1 MB) 

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2011 - Kinder und Jugendliche im fremdenrechtlichen Verfahren

EXECUTIVE SUMMARY

Im Mai 2010 setzte der Menschenrechtsbeirat eine Arbeitsgruppe "Minderjährige im fremdenrechtlichen Verfahren" ein, um seinen aus dem Jahr 2000 stammenden Bericht "Minderjährige in Schubhaft" zu aktualisieren und thematisch zu erweitern. Dieser Arbeitsgruppe gehörten neben Mitgliedern des Beirats und seiner Kommissionen Vertreterinnen und Vertreter des BMI, der Wiener MA 11, des UNHCR und des NGO-Bereichs an.

Der von dieser Arbeitsgruppe erstellte Bericht setzt sich mit folgenden Themen auseinander: Prüfung des Kindeswohls, insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen (Kapitel II); Altersfeststellung bei Jugendlichen ohne Dokumente (Kapitel III); Handlungsfähigkeit, gesetzliche Vertretung und Obsorge (Kapitel IV); Haftverhängung und Haftbedingungen in Schubhaft (Kapitel V); Anhaltung und Abschiebung von Familien mit Kindern und Jugendlichen (Kapitel VI).

Der Bericht enthält eine umfangreiche Bestandsaufnahme der internationalen Standards in diesen Themenfeldern in Relation zur innerstaatlichen Rechtslage und Praxis. Eine Reihe nach Einschätzung des Menschenrechtsbeirats kurz- oder mittelfristig umsetzbarer Anregungen sind mit Blick auf die internationalen Vorgaben und Standards als Zwischenschritte auf dem Weg zur vollen Annäherung an dieses zum Teil recht hohe Anspruchsniveau anzusehen.

Der Menschenrechtsbeirat registriert in diesem Bericht gegenüber dem Vorbericht aus dem Jahr 2000 Fortschritte, etwa im Bereich der Schubhaft und deren Ersetzung durch gelindere Mittel, in letzter Zeit ferner auch im Zusammenhang mit der Vorgangsweise bei "Familienabschiebungen" (allerdings auch einzelne Rückschritte). Er sieht jedoch weiterhin offene Fragen, Probleme und Handlungsbedarf, vor allem im Zusammenhang mit der Prüfung und Wahrung des Kindeswohls in verschiedenen Verfahrensstadien, der Feststellung des Alters (der Voll- oder Minderjährigkeit) junger Migranten, der gesetzlichen Vertretung und Obsorge unbegleiteter Jugendlicher sowie der Zusammenarbeit mit der Jugendwohlfahrt (letztere fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer). Den Eintritt der Handlungsfähigkeit mit Vollendung bereits des 16. Lebensjahres nach dem Fremdenpolizeigesetz erachtet  der Menschenrechtsbeirat für sehr problematisch.

Der Menschenrechtsbeirat hat im vorliegenden Bericht elf konkrete Empfehlungen beschlossen (vgl. vollständige Auflistung im Anhang).

Zur besseren Übersicht werden im Folgenden der Inhalt der einzelnen Kapitel des Berichts und die Überlegungen und Vorschläge in knapper Form zusammengefasst wiedergegeben. Freilich kann diese summarische Wiedergabe die ausführlichen Informationen und Erwägungen des Berichts selbst nicht ersetzen. 

Zusammenfassung Kapitel II. Prüfung des Kindeswohls

Unbegleitete minderjährige Migrantinnen und Migranten, die – etwa im Rahmen von Zugkontrollen – aufgegriffen werden und nicht um Asyl ansuchen, werden nicht selten ohne weiteres zurückgeschoben bzw. ausgewiesen. Genauere Statistiken sind diesbezüglich jedoch nicht verfügbar.

Derzeit ist die Prüfung des Kindeswohls im fremdenpolizeilichen Verfahren (entgegen den Vorgaben des Art. 5 lit.a der RückführungsRL) im nationalen Recht nicht ausdrücklich verankert.

Eine individuelle Abklärung des Kindeswohls ist vor allem vor einer Entscheidung über die Rückkehr der/des Minderjährigen oft schwierig, da die Datenweitergabe im Laufe des Asylverfahrens nur eingeschränkt möglich ist und der Erhalt von Monitoringberichten über die Situation in den Herkunftsländern nicht einfach ist.
Anregungen:

  • Aufbereitung der Dokumentation in einer Weise, die einen bundesweiten zahlenmäßigen Überblick über Zurückschiebungen und Ausweisungen unbegleiteter Minderjähriger ermöglicht.
  • Im Fall des Aufgriffs im Bundesgebiet ohne Asylantragsstellung Entscheidung über Zurückschiebung oder Ausweisung erst nach Durchführung einer sachgerechten Erstabklärung der tatsächlichen Situation im Rahmen eines Clearing-Verfahrens: Möchte die/der Minderjährige Asylantrag stellen? Familienzusammenführung mit Verwandten in Österreich oder in anderem Staat? Handelt es sich um ein Opfer von Kinderhandel? (Empfehlung)
  • Einbindung der Jugendwohlfahrt: Verpflichtende Anwesenheit einer Vertreterin bzw. eines Vertreters des JWT. Bei Zustimmung zur Zurückweisung (keine Kindeswohlgefährdung) kann eine altersadäquate Übergabe im Wege der grenzüberschreitenden Jugendwohlfahrtskooperation erfolgen. Einrichtung einer zentralen, rund um die Uhr erreichbaren Anlaufstelle zur Abklärung der zu unternehmenden Schritte als Unterstützung für die Beamtinnen und Beamten vor Ort. (Empfehlung)
  • Durchführung einer multidisziplinären (Beiziehung des JWT) vertieften Kindeswohlprüfung jedenfalls im Zusammenhang mit wichtigen Entscheidungen wie etwa der Inschubhaftnahme oder der Außerlandesbringung. (Empfehlung)
  • Erörterung im Rahmen eines Fachgesprächs, wie eine Kindeswohlprüfung im fremdenpolizeilichen Verfahren Eingang in das innerstaatliche Recht finden kann.

Zusammenfassung Kapitel III. Altersfeststellung bei Jugendlichen (UMF) ohne Dokumente

Seit der Fremdenrechtsnovelle 2009 werden bei Zweifeln über die Minderjährigkeit multifaktorielle Altersbegutachtungen, bestehend aus einer körperlichen Untersuchung, einer Beurteilung des Zahnstatus (Panoramaröntgen) und einer Handwurzelröntgenuntersuchung, durchgeführt. Im Herbst 2010 wurde zusätzlich die Möglichkeit einer CT-Untersuchung des Schlüsselbeins eröffnet. Im ersten Halbjahr 2010 wurden vom Bundesasylamt 359 Altersdiagnosen in Auftrag gegeben.

Die aktuelle Situation in Österreich kann nicht als vollständige Umsetzung internationaler Standards angesehen werden, insbesondere auf erlassmäßiger Ebene und im konkreten Vollzug.

Nach internationalen Standards ist vor Beginn eines Altersfeststellungsverfahrens ein qualifizierter unabhängiger "Vormund" zu bestellen. Die Rechtsberaterinnen und Rechtsberater im Asylverfahren erfüllen diese Aufgabe nicht zur Gänze, da von ihnen keine einschlägige Erfahrung im Umgang mit Minderjährigen verlangt wird und sich ihr Mandat auf die rechtliche Vertretung im Asylverfahren beschränkt.

AsylG, FPG, NAG und StbG legen die Nachrangigkeit der Altersbegutachtung fest. Ebenso dürfen laut einem Erlass des BM.I Altersdiagnosen nur als "ultima ratio" angeordnet werden, und zwar erst dann, wenn vorgelegte Dokumente überprüft wurden und die Echtheit der Dokumente bzw. Urkunden nicht außer Zweifel gestellt werden kann. In der Praxis wird jedoch vielfach die Überprüfung der vorgelegten Dokumente nicht veranlasst bzw. das Ergebnis der Prüfung nicht abgewartet.

Die Betroffenen werden im Rahmen der Einvernahme mit Zweifeln an ihren Altersangaben konfrontiert. Die kindgerechte Ausführung der Altersfeststellung ist jedoch fraglich, da Jugendliche berichteten, sie hätten vor/bei der Altersfeststellung große Angst gehabt und hätten sich beschämt und uninformiert gefühlt.

Zwangsmittel zur Durchsetzung einer radiologischen Untersuchung sind zwar nach internationalem und nationalem Recht ausgeschlossen, dennoch wird dies in der Praxis von den Betroffenen oft gegenteilig wahrgenommen, da sie keine Möglichkeit sehen, sich gegen die angeordneten Untersuchungen auszusprechen.

Die seit Herbst 2010 eingeführte CT-Untersuchung des Schlüsselbeins entspricht einer 6000-fachen Strahlenbelastung eines Handwurzelröntgens. Durch die Kombination mit der im Rahmen des Zulassungsverfahrens verpflichtenden TBC-Kontrolluntersuchung mittels Lungenröntgen (und allenfalls vorheriger Untersuchungen) kommt es zum Aufsummieren der Strahlenexposition und damit zu einer möglichen Erhöhung des Krebsrisikos.

Insgesamt gibt es eine Entwicklung zu vermehrten radiologischen Untersuchungen und höheren Zahlen an Altersfeststellungen, obwohl es immer noch keine allgemein anerkannte medizinisch-wissenschaftliche Methode zur Altersfeststellung gibt.

Den relevanten nationalen Gesetzen und Erlässen liegt das Prinzip „in dubio pro minore“ zugrunde, d.h. sollten Ermittlungen und Altersdiagnose nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen, so ist im Zweifel von der Richtigkeit der Angaben der/des Minderjährigen auszugehen. Dieses Prinzip wird in der Praxis allerdings nicht immer korrekt angewendet, was zu einer Überschätzung des Alters und zu einer Benachteiligung der Betroffenen führt.

Mit der Volljährigkeitserklärung (die während der Einvernahme im Zulassungsverfahren mittels Verfahrensanordnung erfolgt) verliert die betroffene Person die für Minderjährige vorgesehene rechtliche Unterstützung, zudem wird sie umgehend aus der UMF-Einrichtung entlassen.

Anregungen:

  • Verbesserte Information der Jugendlichen und zur Seite Stellen eines Obsorgeberechtigen für unbegleitete minderjährige Fremde – auch dann, wenn Zweifel an ihrer Minderjährigkeit bestehen – vor der Anordnung eines Altersgutachtens.
  • Überarbeitung der relevanten Passagen des entsprechenden Erlasses zur Klarstellung, dass radiologische Untersuchungen zur Altersdiagnose nur bei Zweifeln an der Minderjährigkeit vom Gesetz legitimiert sind.
  • Setzung einer angemessenen Frist zur Beibringung der Dokumente für den Fall, dass Asylsuchende sich Dokumente nachschicken lassen. Überprüfung der Dokumente nach Einlangen, ehe eine Altersbegutachtung veranlasst wird.
  • Verpflichtende Schulung der Behördenvertreterinnen und -vertreter in Zusammenarbeit mit unabhängigen Expertinnen und Experten zu Fragen der Altersbegutachtung.
  • Vorherige Klärung der Obsorge und der Anwesenheit des/der Obsorgeberechtigen zur Gewährleistung einer kindgerechten und korrekten Information der Betroffenen bei allen Einvernahmen und der Altersbegutachtung.
  • Gewährleistung des Rechtes betroffener Jugendlicher, eine Ärztin oder einen Arzt zu wählen, die/der die Untersuchung des Genitalbereiches durchführt sowie vorab entsprechend über dieses Recht informiert zu werden.
  • Würdigung möglicher Gründe einer Verweigerung der Altersbegutachtung im Einzelfall (statt die Weigerung bei der Beweiswürdigung unbesehen zu Lasten der Betroffenen zu werten).
  • Überlegungen im Rahmen eines multidisziplinären Gesprächs, inwieweit hohe Strahlenbelastungen reduziert werden könnten. (Empfehlung)
  • Ein stärker multiprofessionell ausgerichtetes, psychosoziale Faktoren einbeziehendes Altersfeststellungsverfahren wäre im Einklang mit den internationalen Empfehlungen wünschenswert. (Empfehlung)
  • Schulung der mit dem Vollzug des Asyl- und Fremdenrechts betrauten Personen zur Bedeutung des Grundsatzes "in dubio pro minore" sowie Information über die Unschärfen und Unsicherheiten medizinischer Altersdiagnosen
  • Eintragung des 31. Dezember des ermittelten Geburtsjahres statt des 1. Jänner in jenen Datenbanken (zB AIS, FIS und GVS), in denen das Geburtsdatum aufscheint.
  • Prüfung der Frage der Rechtsform der Feststellung der Volljährigkeit. Zur Sicherung eines ausreichenden Rechtsschutzes hält der Beirat die Erlassung eines Bescheides für wünschenswert. (Empfehlung)

Zusammenfassung Kapitel IV. (Unbegleitete) Jugendliche im fremdenrechtlichen Verfahren – Handlungsfähigkeit, gesetzliche Vertretung und Obsorge

Nach dem AsylG ist für den Eintritt der Handlungsfähigkeit ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht – also die Bestimmungen des ABGB – maßgeblich. Demnach sind Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, voll handlungsfähig.

Demgegenüber sind in Verfahren nach den Hauptstücken 2 bis 10 des FPG minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, handlungsfähig. Minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, können im eigenen Namen nur Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil setzen.

Somit werden alleinstehende 16- und 17-Jährige, die sich in einem für sie fremden Kontext befinden und mit Sprachbarrieren und kulturellen Unterschieden konfrontiert sind, in einem rechtlichen Teilbereich für handlungsfähig erklärt. Gleichzeitig bestimmen aber die UNKRK und das ABGB, dass Personen unter 18 Jahren nicht voll handlungsfähig sind, obwohl diesen idR inländische, obsorgende Eltern zur Seite stehen.

Gemäß § 12 Abs. 1 FPG können Jugendliche, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, zu einer mündlichen Verhandlung einen gesetzlichen Vertreter und eine an der Sache nicht beteiligte Person ihres Vertrauens beiziehen. Seitens der Behörde erfolgt zwar eine Belehrung über diese Möglichkeit, jedoch wird von den Jugendlichen davon praktisch nie Gebrauch gemacht.

Die nunmehr mit dem FrÄG 2011 geregelte, ab dem 1. Dezember 2011 jedem Fremden im fremdenpolizeilichen Verfahren zur Verfügung stehende Rechtsberatung kann diese Probleme nur zum Teil abfedern, zumal die Kompetenz im Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen keine für Rechtsberater geforderte Qualifikation ist.

Das Problem des Übergangs von Zuständigkeiten, insbesondere von einem Jugendwohlfahrtsträger auf einen anderen, ist ein österreichweites und ergibt sich unter anderem bei Folgeanträgen. Die Problematik liegt weniger an der gesetzlichen Regelung, als vielmehr an der Praxis, die ihre Verantwortlichkeit vielfach nicht wahrnimmt.

Derzeit besteht in den Bundesländern kein einheitliches System, was die Kostentragung für die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger anlangt.

Gemäß internationaler und nationaler Rechtslage (OGH) besteht bei unbegleiteten Minderjährigen regelmäßig per definitionem ein Obsorgenotstand. Dieser kann sich, unabhängig von der Frage der nach FPG mit Vollendung des 16. Lebensjahres eintretenden Handlungsfähigkeit, bis zum 18. Lebensjahr ergeben. Die ehest mögliche Bestellung eines Obsorgeberechtigten ist daher unabdingbar.

Die allgemeinen Jugendwohlfahrtsgesetze sind anzuwenden, insoweit die Grundversorgungsgesetze (als lex specialis) keine Sonderregelung vorsehen. Die Grundversorgung stellt keinen Ersatz für die Zuständigkeit und die Aufgaben der Jugendwohlfahrt dar; vielmehr sind die beiden Bereiche als komplementäres Ganzes zu verstehen.

Ob es Standards für die Unterbringung und Betreuung im gelinderen Mittel gibt, ist nicht bekannt. Das BM.I sieht die GVV im Bereich des gelinderen Mittels als nicht unmittelbar anwendbar an, da Grundversorgungsleistungen während der Dauer einer Anhaltung ruhen.

Anregungen:

  • Die für die Handlungsfähigkeit geltende Altersgrenze von 16 Jahren und daraus resultierende Fragen der Vertretung und Obsorge unbegleiteter Minderjähriger sollen im Rahmen eines bundesweiten Fachgesprächs zur Diskussion gestellt werden. Abhaltung dieses Gesprächs auf breiter Ebene, insbesondere unter Beiziehung von Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Kinderrechte, der Jugendwohlfahrt und des UNHCR. (Empfehlung)
  • Aufnahme der Erfahrung und Kompetenz im Umgang mit Minderjährigen in das Anforderungsprofil und die Vertragsgestaltung für Rechtsberaterinnen und Rechtsberater bei der Ausschreibung von Rechtsberatungsleistungen. (Empfehlung)
  • Erwägung einer Ausweitung des best-practice Modells eines eigenen Fachbereichs für unbegleitete minderjährige Fremde beim Jugendwohlfahrtsträger (Tirol) auf andere Bundesländer.
  • Kontaktaufnahme mit den zuständigen Stellen der Länder zwecks Lösung der im Zusammenhang mit bundesländerübergreifenden Sachverhalten auftretenden praktischen Probleme, etwa im Rahmen eines bundesweiten Fachgesprächs: Erarbeitung eines gemeinsamen Leitfadens sowie Darstellung unterschiedlicher Varianten (etwa im Bereich der Verständigung des JWT) zur Identifizierung regional gepflogener, gut funktionierender Abläufe.
  • Schaffung eines Systems zur gleichmäßigen Verteilung der Kosten für die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger auf die Länder.
  • Im Hinblick auf den nach internationaler und nationaler Rechtslage (OGH) bei unbegleiteten Minderjährigen regelmäßig anzunehmenden Obsorgenotstand, der sich bis zum 18. Lebensjahr ergeben kann, ist die ehest mögliche Bestellung eines Obsorgeberechtigten unabdingbar.
  • Die Anwendung der allgemeinen Jugendwohlfahrtsgesetze neben den Grundversorgungsgesetzen ist ernst zu nehmen und in der Praxis durchzusetzen.
  • Für die Unterbringung und Betreuung im gelinderen Mittel wären Standards zu entwickeln, welche die für die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger in Grundversorgung geltenden Standards (vgl. Artikel 7 GVV) nicht unterschreiten sollten.

Zusammenfassung Kapitel V. (Unbegleitete) Jugendliche in Schubhaft

V.I. Verhängung der Schubhaft

In der österreichischen Schubhaftpraxis besteht bei 16- und 17jährigen Jugendlichen nach wie vor ein Zahlenverhältnis von 2 zu 1 zwischen Schubhaft und gelinderem Mittel. Mit dem FrÄG 2011 erfolgte nunmehr die Herausnahme 16- und 17jähriger aus der grundsätzlichen Pflicht zur Anwendung gelinderer Mittel anstelle der Schubhaft.

Dies steht mit den internationalen Grundsätzen der Anhaltung von Jugendlichen in Schubhaft (insb. Art. 1 und 37 UNKRK und Art. 17 der Rückführungsrichtlinie) als letztes Mittel und für die kürzest mögliche Zeit nicht in Einklang.

§ 80 Abs 2 Z 1 FPG idF FrÄG 2011 sieht nunmehr in Bezug auf mündige Minderjährige eine "grundsätzliche" Beschränkung der Schubhaft auf eine Dauer von höchstens zwei Monaten vor.

Die Begründung der Schubhaftbescheide über Jugendliche ist zum Teil mangelhaft.

Eine amtswegige Haftprüfung durch den UVS erfolgt gemäß § 80 Abs. 7 FPG idF FrÄG 2011 erst nach vier Monaten durchgehender Anhaltung in Schubhaft, wozu es bei Minderjährigen nur selten kommt.

Anregungen:

  • Bereinigung der durch das Wort "grundsätzlich" in § 80 Abs.2 Z 1 FPG entstandenen legistischen Unklarheit bei nächster Gelegenheit. (Empfehlung)
  • Stärkeres Hinwirken auf Verkürzung der Haftdauer im Einzelfall.
  • Amtswegige Überprüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft durch den UVS innerhalb relativ kurzer Frist (etwa orientiert an jener des § 6 Abs. 1 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit: eine Woche). (Empfehlung)
  • Aufschlüsselung der bestehenden Statistiken über Schubhaftverhängung in Bezug auf Geschlecht, Haftdauer, regionale Verteilung (Schubhaft verhängende Behörde; PAZ) sowie die Gründe für die Verhängung und Beendigung der Haft (Rechtsmittelentscheidung, Aufhebung nach Prüfung durch BM.I, Abschiebung, etc.).
  • Einzelfallbetrachtung im Falle einer der Schubhaft vorausgegangenen Straffälligkeit, wobei die Frage des Zusammenhangs zwischen der (vorgeworfenen) Straftat und den Schubhaftzwecken zu prüfen ist.
  • Ersatz der Schubhaft bei Jugendlichen durch gelindere Mittel im Einklang mit internationalen Standards (insb. UNKRK, Rückführungsrichtlinie).

V.II. Haftbedingungen

Die in Anhaltung von Jugendlichen in Einrichtungen für Erwachsene zu den für Erwachsene geltenden Bedingungen stellt entgegen internationalen Standards derzeit noch den Regelfall dar. Infolge des Gebots der Trennung von jugendlichen und erwachsenen Häftlingen kommt es faktisch immer wieder zur Anhaltung Jugendlicher in Einzelhaft.

Schubhaft (allenfalls Einzelhaft) bedeutet insbesondere für Jugendliche eine hohe psychische Belastung, vor allem bei längerer Schubhaftdauer und kaum vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten.

Anregungen:

  • Betrauung des PAZ Rossauer Lände mit der Spezialaufgabe und -verantwortung des Schubhaftvollzugs an Jugendlichen (österreichweit). Adaptierung der dort leer stehenden Familienabteilung als offene Station für Jugendliche. (Empfehlung)
  • Gleichzeitig Ermöglichung des ausnahmsweisen Verbleibs in einem anderen PAZ wegen eines Wohnsitzes oder sonstiger bestehender Bindungen und Strukturen.
  • Schaffung von Haftplätzen für Jugendliche im neuen Schubhaftzentrum Vordernberg nur in sehr eingeschränktem Ausmaß.
  • Einführung einer Alltagsbetreuung der Jugendlichen im PAZ durch diplomierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter – in kleineren PAZen zumindest einmal wöchentlich. Klärung des Verhältnisses zur bzw. Vernetzung mit der Jugendwohlfahrt im Hinblick auf das Ziel einer zentralen Anlaufstelle und Vertrauensperson.
  • Schaffung von adäquaten Beschäftigungsmöglichkeiten im PAZ Rossauer Lände und im SHZ Vordernberg. Bei längerer Anhaltung Sicherstellung des Zugangs zu Bildung.
  • Gesetzliche Gewährleistung einer jugendgerechten Unterbringung im Stande der Anhaltung sowie der Schubhaft (die bisher nur für 14- bis 16-Jährige normiert ist - § 79 Bas. 2 FPG) auch für 16- bis 18-Jährige. 

Zusammenfassung Kapitel VI. Anhaltung und Abschiebung von Familien mit Kindern und Jugendlichen

VI.3. Rechtsgrundlage für die "faktische Mit-Anhaltung" von Kindern in Schubhaft

Nach § 76 Abs.1a FPG dürfen unmündige Minderjährige nicht in Schubhaft angehalten werden. In der Praxis kam es allerdings aufgrund bestimmter Erwägungen (etwa um die Trennung einer Familie bei der Sicherung der Ab- oder Zurückschiebung zu vermeiden) zu faktischen Anhaltungen von Minderjährigen unter 14 Jahren im PAZ. Die Grundlage des Aufenthaltes stellte eine im Einzelfall einzuholende Zustimmung des/der Erziehungsberechtigten dar.

Mit dem FrÄG 2011 wurde die bisherige Praxis nunmehr gesetzlich verankert. So bestimmt § 76 Abs. 5 FPG, dass Fremden, die zeitnah zu einer Abschiebung in Schubhaft angehalten sind, zu gestatten ist, dass sie von ihnen zur Obsorge anvertrauten Minderjährigen begleitet werden, sofern eine familien- und kindgerechte Unterbringung gewährleistet ist. Im Falle des Begleitens gelten die Schutznormen aus der Hausordnung sinngemäß für die Minderjährigen.

Die Materialien zum FrÄG 2011 betonen, dass diese Minderjährigen gerade nicht im Sinne des FPG angehalten seien. Zudem soll Schubhaft in solchen Fällen im Einklang mit Art. 17 der RückführungsRL und § 80 Abs. 1 FPG nur für die kürzest mögliche angemessene Dauer eingesetzt werden.

Anregungen:

  • Einsatz der (wenn auch kurzfristigen) Anhaltung von unmündigen Minderjährigen als ultima ratio, d.h. nur dann, wenn der Zweck nicht auch durch gelindere Mittel erreicht werden kann, und in aller Regel nur für wenige Stunden oder Tage. (Empfehlung)
  • Verhängung von Schubhaft über Familien mit Kindern über einen längeren Zeitraum nur als absolute Ausnahme, und zwar dann, wenn eine geordnete Vorbereitung der Abschiebung anderweitig nicht möglich ist, insbesondere wenn Abschiebeversuche wiederholt frustriert worden sind. (Empfehlung)
  • Berücksichtigung der Grundsätze der Art. 1 und 2 des BVG über die Rechte von Kindern, welche einen besonderen Schutz- und Fürsorgeanspruch gegenüber dem Staat zur Wahrung des Kindeswohls normieren.
  • Ausreichende Information der Eltern/Erwachsenen (bei Bedarf mittels Dolmetsch) und Auflage eines verständlich gefassten Formblattes in den wichtigsten in Betracht kommenden Sprachen.
  • Absehen von einer gänzlichen Übertragung der Obsorge über jene Minderjährigen, die nicht mitangehalten werden (können), an die Jugendwohlfahrt sowie von einer allfälligen Androhung einer solchen Übertragung gegenüber den Eltern.
  • Beiziehung der Jugendwohlfahrt in allen Fällen von Familienunterbringung in Haft oder im gelinderen Mittel sowie Einbindung in wichtige Entscheidungsprozesse.

VI.4. Haftbedingungen für Familien mit Kindern

Im Herbst 2009 erfolgte die Einrichtung einer Familienstation im PAZ Rossauer Lände. Diese wurde ein Jahr darauf im Rahmen des Programms des BM.I zur Verbesserung der Rückführungspraxis bei Familien mit Kindern geschlossen.

Im Herbst 2010 wurde die „Familienunterbringung Zinnergasse“ eingerichtet. Diese dient als Transitstation, in welche Familien und unbegleitete Minderjährige unter 16 Jahren vor ihrer Rückführung per Bus oder Flugzeug aus ihren Quartieren überstellt und für einen, maximal zwei Tage angehalten werden.

Das Gebäude ermöglicht einen weitgehend offenen Vollzug der Anhaltung im 2. und 3. Stock und verfügt über 12 Wohneinheiten zu je 54 m². Die Wohneinheiten bestehen aus einem Vorzimmer mit Kochnische, einem Bad, einem WC und zwei (Schlaf-)Zimmern. Die Fenster sind nicht vergittert, lassen sich aber aus Sicherheitsgründen nur kippen.

Ab Sommer 2011 sollen in 16 zusätzlichen Wohneinheiten im Objekt Zinnergasse auch Plätze für das gelindere Mittel geschaffen werden. Die Betroffenen sollen das Haus unter Meldepflicht auch verlassen dürfen und Freizeitmöglichkeiten erhalten.

Anregungen:

  • Gesetzliche Verankerung der Pflicht zur Bereitstellung familiengerechter Unterbringungsmöglichkeiten (durch Einrichtung von geeigneten Familienhafträumen in PAZen oder besondere Familienunterkunft).
  • Klarstellung, dass eine im Rahmen des gelinderen Mittels mögliche Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, keinesfalls einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme gleichkommen darf.

VI.5. Erhalt der Familieneinheit

Die überwiegende Anzahl von Familienabschiebungen erfolgt weitestgehend reibungslos. Den problematischen Fällen, in denen es zu einer Trennung von Familien kommt, ist gemeinsam, dass einzelne Familienmitglieder im Zeitpunkt der Festnahme durch die Beamtinnen und Beamten entweder verschwunden waren oder sich wegen akuter psychischer Probleme in stationärer Behandlung befanden.

Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, die zu einem Eingriff in das Familienleben führen kann, ist nach Art. 8 EMRK vorzunehmen: Ist nur ein Teil der Familie von der Maßnahme betroffen, ist ein Eingriff in das Familienleben zu bejahen (im Falle der Betroffenheit der gesamten Familie wäre es lediglich ein Eingriff in das Privatleben der Familienmitglieder). Dabei stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung bzw. Verhältnismäßigkeit der Maßnahme oder einer Grundrechtsverletzung.

Die Fremdenpolizei agiert hierbei in einem Spannungsfeld zwischen einer möglichst kurzen Dauer der Anhaltung und der Einplanung eines gewissen Spielraums für derartige Ausnahmesituationen (v.a. wenn ein konkreter Flug gebucht wurde oder ein von einem Nachbarstaat festgesetzter Übergabetermin eingehalten werden muss).

Anregungen:

  • Aufschiebung von Abschiebungen, die zur Trennung von Familienmitgliedern führen. (Empfehlung)
  • Bei einer wiederholten und offenbar absichtlich herbeigeführten Verhinderung der Abschiebung der gesamten Familie Entscheidung im Einzelfall nur nach sorgfältiger Abwägung der Kriterien des Art. 8 Abs. 2 EMKR und des vorrangigen Interesses an der Erhaltung der Familieneinheit. (Empfehlung)
  • Sorgfältige Dokumentation der Fälle, in denen unter Hintanstellung der Familieneinheit abgeschoben oder überstellt wird, sowie periodische Evaluierung (unter Einbeziehung des MRB). (Empfehlung)
  • Prüfung des vierstufigen Programms der UK Border Agency zur Rückführung von Familien mit Kindern daraufhin, ob die Einrichtung eines vergleichbaren Prozesses auch in Österreich sinnvoll wäre, sobald erste Erfahrungswerte über die Bewährung des Programms vorliegen.

VI.6. Durchführung von Festnahmen und Familienabschiebungen

Die Kommissionen des MRB orteten Problemfelder im organisatorischen/infrastrukturellen Bereich (wie etwa mangelndes Nahrungsangebot für Kleinkinder, Zeitdruck, nicht erfolgte Beiziehung einer Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers), aber auch im Umgang mit den betroffenen Personen (Risiko der Traumatisierung der Kinder). Gleichzeitig wurde das – vor allem in Bezug auf die anwesenden Kinder – sensible und engagierte Verhalten einzelner Beamtinnen und Beamten hervorgehoben.

Das BM.I deckte den unmittelbaren Handlungsbedarf in diesem Bereich mit dem neuen Erlass vom 29.10.2010, dem sog. 6-Punkte-Programm zur Verbesserung der Abschiebepraxis von Familien mit Kindern, grundsätzlich ab.

Diverse Jugendwohlfahrtsträger sowie der Berufsverband der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter weigerten sich, im Sinne des Erlasses bei Abschiebungen von Familien mit Kindern mitzuwirken. Das BM.I verlautbarte, dass jedenfalls auch bei kategorischer Weigerung eine Information an den JWT zu übermitteln und um Unterstützung zur Sicherung des Kindeswohls zu ersuchen ist.

Anregungen:

  • Einzelfallabwägung bestimmter Vor- und Nachteile in Bezug auf den "bestmöglichen" Zeitpunkt der Abschiebung mit dem Ziel einer möglichsten Schonung der Betroffenen, insbesondere der Kinder.
  • Sicherstellung einer kontinuierlichen psychosozialen Unterstützung der Familien durch eine Betreuungsperson (im Rahmen einer NGO oder durch unabhängige Einzelpersonen).

Bericht (1,4 MB) 

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2009 - Haftbedingungen in Anhalteräumen der Sicherheitsbehörden

Zusammenfassung

Seit Ende der 80er-Jahre kam es infolge politischer und wirtschaftlicher Konflikte in den verschiedensten Ländern zu einem enormen Anstieg von Flucht- und Migrationsbewegungen in Richtung Westeuropa und somit auch nach Österreich.

Im Zuge dessen kam es auch zu einem deutlich spürbaren Anstieg fremdenpolizeilicher Amtshandlungen und von so genannten Schubhaften, die bis zu 6 Monate dauern können. In diesem Zusammenhang gilt es die Schwierigkeit zu bewältigen, dass die Schubhaft – welche nur zur Sicherung der persönlichen Anwesenheit dient - in historisch gewachsenen "Gefängnissen" vollzogen wird und nicht in Gebäuden, welche speziell für diesen Zweck konzipiert wurden. Daraus resultierend kommt dem BMI und den nachgeordneten Dienststellen eine sehr hohe Verantwortung zu, für die dem reinen Sicherungszweck und ohne Strafcharakter dienenden Anhaltungen entsprechende Standards zu gewährleisten.

Da der MRB vornehmlich auch die Aufgabe hat, die Anhaltebedingungen in den einzelnen Dienststellen zu beobachten, haben sich die Kommissionen des Beirats schwergewichtig auch dieser Thematik gewidmet. Im Oktober 2002 wurde dem MRB seitens der Kommissionen ein Katalog von ausgewählten Mindeststandards für Anhaltebedingungen übermittelt. Die Kommissionen ersuchten den Beirat, sich damit zu befassen und ihn als neue Grundlage für menschenrechtliche Beurteilungen zu beschließen. In weiterer Folge wurde der Wunsch geäußert, diesen Katalog dem BMI zur Kenntnis zu bringen und konsequent die entsprechenden Änderungen der einschlägigen Bestimmungen einzufordern und voranzutreiben.

In seiner Sitzung vom 3. Dezember 2002 kam der MRB überein, eine fundierte Überarbeitung der Haftstandards durch eine Arbeitsgruppe des Beirates vorzunehmen. Von dieser Arbeitsgruppe wurde in der Folge der Bericht "Haftbedingungen in Anhalteräumen der Sicherheitsbehörden" erarbeitet.

Der nunmehr in seiner fünften Überarbeitung, Stand Oktober 2009, vorliegende Haftstandardskatalog beinhaltet die Bereiche

  • Anhaltebedingungen (zu Lage, Größe, Ausstattung und Zustand der Zelle, Belüftung, Lichtverhältnisse, sanitäre Einrichtungen, Selbstgefährdung, Brandschutz),
  • den Vollzug der Haft (Bekleidung, Beschäftigungsmöglichkeiten, Bewegung im Freien, Verpflegung, Rauchen, Körperpflege (Duschmöglichkeiten, Toilette, Versorgung mit Hygieneartikeln), sowie
  • Kontakt nach außen (Verständigungsmöglichkeiten: mit dem Wachpersonal (Rufglocke), untereinander, Anhaltung von Ehegatten; Verkehr mit der Außenwelt: Schubhaftbetreuung, diplomat. Vertretung, Verständigung einer Vertrauensperson; Beiziehung von DolmetscherInnen und Rechtsbeiständen (Rechtsanwaltlicher Journaldienst), Telefongespräche, Briefverkehr und Besuche).

Zu sämtlichen Punkten wurden sowohl die Regelungslage in Österreich als auch in Internationale Empfehlungen und Entwicklungsperspektiven aufgearbeitet.

Im Abschnitt V., Anhang D, wird hingegen lediglich auf bereits vom MRB erstellte, für die Anhaltung von Menschen relevante Berichte verwiesen.

In erster Linie soll der Katalog den Kommissionen des MRB eine Orientierung bei ihren Besuchen bieten. Der Bericht wird nach Änderungen, seien sie gesetzlicher Natur, dem Erkennen neuer Problembereiche, neu entwickelter Perspektiven etc., oder durch die Ergänzung des Punktes "Internationale Standards" oder der Einbeziehung aktueller Literatur, möglichst einmal jährlich aktualisiert.

Bericht (514,4 KB) 

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2009 - 10 Jahre Menschenrechtsbeirat - Themenschwerpunkte des MRB aus 10 Jahren

Menschenrechtsbeirat: Bilanz aus 10 Jahren Beratungs- und Beobachtungstätigkeit der Sicherheitsexekutive

"Der Bundesminister für Inneres wird in Fragen der Wahrung der Menschenrechte vom Menschenrechtsbeirat beraten". [§ 15a Abs 1SPG]

Seine Beratungsfunktion hat der Beirat im letzten Jahrzehnt bei legistischen Vorhaben des Innenministeriums genützt. Hier seien vor allem Änderungen im Asyl- und Fremdenrecht (Fremdenrechtspaket 2005, Neuregelung des humanitären Bleiberechts) oder die Novellierung der Anhalteordnung zu nennen. Der Menschenrechtsbeirat hat hier die Möglichkeit bekommen sich in einem sehr frühen Stadium des Gesetzgebungsprozess einzubringen und menschenrechtlich relevante Aspekte mit der Legistik der Rechtssektion des BM.I zu diskutieren.

Viele der 340 bisher ergangenen Empfehlungen des MRB haben auch einen Schulungsbedarf im Bereich der Sicherheitsexekutive aufgezeigt. Die vorgeschlagenen Schulungsmaßnahmen haben jeweils unterschiedliche Adressaten innerhalb der Sicherheitsexekutive und anderer dem BM.I nachgeordneten Dienststellen und reichen vom Sprachgebrauch innerhalb der Sicherheitsexekutive, dem Einsatztraining (Fixierungsmethoden), der Durchführung von Abschiebungen bis hin zur Berücksichtigung höchstgerichtlicher Judikatur durch die Asyl-, Fremdenpolizei oder Aufenthaltsbehörden 1. Instanz.

"Hierzu obliegt es dem Menschenrechtsbeirat, die Tätigkeit der Sicherheitsbehörde, der sonst dem Bundesminister für Inneres nachgeordneten Behörden und der zur Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigten Organe unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte zu beobachten und begleitend zu überprüfen." [§ 15a Abs 1 SPG]

Die Kontrolltätigkeit nehmen die Kommissionen stellvertretend für den MRB wahr. Diese berichten laufend dem MRB über wahrgenommene strukturelle Mängel. Ein wesentlicher Kritikpunkt, der auch nach 10 Jahren noch aktuell ist, sind die Anhaltebedingungen in den Polizeianhaltezentren. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei der Anhaltung von schutzbedürftigen Gruppen wie jener der Schubhäftlinge, Frauen und Minderjähriger. Auf vielfachem Wege (direkte Gespräche, Empfehlungen des MRB, gemeinsame Arbeitsgruppen mit dem BM.I) ist in den letzten 10 Jahren jedenfalls eine Sensibilisierung bei den Beamtinnen und Beamten vor Ort und auch bei den Verantwortlichen gelungen. Konkrete Verbesserungen sind aktuell in der Einführung der elektronischen Anhaltedatei zu sehen oder im schrittweisen Umstieg auf den "offenen Vollzug".

Die Umsetzung der vom Beirat abgegeben Empfehlungen verläuft aus Sicht des MRB immer dann schleppend, wenn für diese Schritte zusätzliche finanzielle Ressourcen bzw. Personal erforderlich sind. Dieses Dilemma zeigt sich beispielsweise bei der medizinischen Versorgung in PAZ oder dem Rechtsschutzstandard für Schubhäftlinge. Die Kommissionen orten in beiden Bereichen teils gravierende Defizite, was letztlich auch dazu führte, dass sich der Beirat schon wiederholt in Arbeitsgruppen zu diesen beiden Themenbereichen gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern des BM.I an Lösungen gearbeitet hat. Der Ist-Zustand kann aber leider noch nicht als zufriedenstellend bezeichnet werden.

Die Kontrollbefugnisse des MRB haben sich über die Jahre hinweg erweitert. So bestehen nunmehr Meldepflichten gegenüber dem Beirat bei geplanten Problemabschiebungen bzw. bei jedem gegenüber einem Angehörigen der Sicherheitsexekutive erhobenen Misshandlungsvorwurf.

10 Jahre nach seiner Einsetzung präsentiert sich dem MRB ein wesentlich transparenterer Polizeiapparat. Die Besuche der PAZ und PI bzw. die Beobachtung von Polizeieinsätzen sind für die Beamtinnen und Beamten ein Stück weit zur "Normalität" geworden und etwaige Berührungsängste konnten abgebaut werden.

Bericht (1,5 MB) 

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2008 - Rechtsschutz für Schubhäftlinge

Am 19. Dezember 2008 wurden der Bericht und die Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates (MRB) vom Vorsitzenden, Univ. Prof. Dr. Gerhart Wielinger und dem Leiter der Kommission OLG Linz, Univ. Ass. Dr. Reinhard Klaushofer, der Öffentlichkeit präsentiert.

Die erneute Befassung mit dieser Thematik erfolgte in Form einer Arbeitsgruppe in der neben Mitgliedern des MRB und seiner Kommissionen auch externe Experten und Expertinnen und Vertreter des BMI tätig waren.

Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe lassen sich wie folgt zusammenfassen: In Österreich bestehen gravierende, menschen- und völkerrechtlich bedenkliche Rechtsschutzdefizite für Schubhäftlinge.

  • Schubhäftlinge sind regelmäßig wegen
    • ihrer Sprach- und Rechtsunkundigkeit,
    • der Haftsituation,
    • ihres anderen Kultur- und Rechtsverständnisses, sowie
    • ihrer Mittellosigkeit
    • de facto nicht in der Lage, Rechtsschutzdefizite aus eigener Initiative und auf eigene Kosten auszugleichen, sie sind auch deshalb als besonders schutzwürdige Gruppe zu betrachten.
  • Schubhäftlinge sind in aller Regel unzureichend über ihre rechtliche Situation informiert.
  • Schubhäftlinge haben ungenügenden Zugang zu rechtlicher Information und Vertretung.
  • Eine amtswegige gerichtliche Überprüfung der Schubhaft findet in Österreich deutlich zu spät statt.

Diese Defizite

  • wurden und werden sowohl von den Kommissionen des Menschenrechtsbeirates als auch von anderen nationalen und internationalen Beobachtungseinrichtungen festgestellt;
  • stehen in einem Spannungsverhältnis zu völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Verpflichtungen Österreichs;
  • werden auch im Vergleich zu vielen anderen EU-Staaten deutlich und können von den derzeit vorgesehenen Betreuungsstrukturen, insb. der Schubhaftbetreuung nicht aufgefangen werden.

Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt zur Behebung dieser Mängel:

  • jedenfalls Spruch und Rechtsmittelbelehrung von Schubhaftbescheiden in die Muttersprache von Schubhäftlingen zu übersetzen;
  • Schubhäftlinge bereits während ihrer ersten Einvernahme mit Hilfe von DolmetscherInnen über Grund, Sinn und Zweck der Schubhaft aufzuklären;
  • vertraglich zu verpflichtenden eigenen RechtsberaterInnen für Schubhäftlinge regelmäßig Zugang zu Schubhäftlingen zu ermöglichen und
  • (jedenfalls den mittellosen) Schubhäftlingen zu ermöglichen, die Dienste dieser Rechtsberater kostenlos in Anspruch zu nehmen;
  • in Abständen von zwei Monaten eine obligatorische Haftprüfung vorzunehmen. die Bereitstellung von sogenannten "Info-Automaten" in Schubhaftgefängnissen.

Bericht (200,7 KB) 

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2007 - Resümee der OPCAT - Veranstaltung vom 14. September 2007

Zusammenfassung

Ein Nationaler Präventionsmechanismus für Österreich – die Umsetzung des Zusatzprotokolls zur Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen

Am 14. September lud der Menschenrechtsbeirat (MRB) des BMI zu der Fachtagung „Ein Nationaler Präventionsmechanismus (NPM) für Österreich – die Umsetzung des OPCAT“ in den Justizpalast. Hintergrund dieser Veranstaltung war, dass Österreich am 25.9.2003 das Zusatzprotokoll zur Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen (Optional Protocol to the Convention to the Convention against Torture and other cruel, inhuman or degrading Treatment or Punishment – OPCAT) unterzeichnet hat und die Ratifikation die Schaffung eines Nationalen Präventionsmechanismus nach den Pariser Prinzipien verlangen würde. Ziel der Organisatoren war es mit den ausgewiesenen ExpertInnen sowie den hochrangigen TeilnehmerInnen aus den betroffenen Ministerien und der Zivilgesellschaft über die zweckmäßigste verfassungsrechtliche Verankerung eines NPM zu diskutieren.

Der MRB als ein Vorbild für den Nationalen Präventionsmechanismus
Dr. Erwin Felzmann (Präsident des OGH i.R., Vorsitzender des MRB) erörtert einleitend, dass der MRB sich seit 2003 aktiv in den Prozess der Umsetzung des OPCAT eingebracht hat, da der MRB schon heute (beschränkt auf das BM.I) viele der Aufgaben übernimmt, die das OPCAT von einem NPM für alle Bereiche staatlich legitimierter oder geduldeter Anhaltung von Personen verlangt. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht die Umsetzung des OPCAT vor und eine Expertengruppe des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes (BKA) arbeitet an einem konkreten Entwurf.

Internationale Kontrolle kann nationale Kontrolle nur ergänzen und nicht ersetzen
Univ. Prof. Dr. Zbigniew Lasocik als Vertreter des neu geschaffenen UN-Subkomitees zur Verhinderung von Folter (SPT) sieht es als ein sehr positives Zeichen, dass Österreich sich intensiv mit der Schaffung eines NPM beschäftigt, da erfolgreiche Prävention von Folter nur in engem Zusammenspiel des UNO Komitees und der nationalen Institution geschehen kann. Diese Kooperation ist vor allem wichtig, da nur der NPM über die Erfahrung und Information vor Ort verfügt.

Die Unabhängigkeit des NPM ist essentiell für seinen Erfolg
Um den internationalen Erwartungen an den NPM gerecht zu werden, muss vor allem die Unabhängigkeit des NPM gewährleistet werden. Vergleichende Studien zeigen, dass verschiedene Länder sehr verschiedene Modelle eines NPM gewählt haben. In jenen Fällen, in denen der Präventionsmechanismus in einem Ministerium angesiedelt wurde, bestehen seitens des SPT große Zweifel betreffend die Unabhängigkeit. Aus den Pariser Prinzipien und dem OPCAT ergeben sich weitere Kriterien, die bei der Errichtung des NPM zu beachten sind. Prinzipiell sei der österreichische Plan den NPM per Verfassungsgesetz zu errichten sehr gut geeignet um politische Einmischungen zu verhindern. Die exzellente Arbeit des Menschenrechtsbeirats kann hierbei als Vorbild für den NPM dienen, jedoch muss die volle Unabhängigkeit gewährleistet werden.

Menschenrechtsbeirat als Folge stärker werdender Menschenrechte
Mag. Walter Suntinger (Kommission des MRB, Menschenrechtskonsulent) erinnert daran, dass in den 90er Jahren mehrere Faktoren - die Idee der Öffnung des BMI, Empfehlungen und Urteile internationaler Organisationen, der Fall „Markus Omofuma“ - zu einem stärkeren Einwirken der Menschenrechte auf das polizeiliche Feld geführt haben. Mit der Schaffung des MRB sei es gelungen, eine machtkritische Außenperspektive in ein relativ geschlossenes System zu bringen.

Der Menschenrechtsbeirat im Vergleich mit dem geplanten NPM
Legt man die Pariser Prinzipien als Messlatte an den MRB an, so sind vor allem die enge strukturelle Bindung an das BM.I und die paritätische Besetzung (Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Ministerien) als problematisch anzusehen. Positives Beispiel für die Errichtung des NPM kann der MRB jedoch sein, wenn es um die verfassungsrechtliche Verankerung sowie den rechtlichen Fokus (d.h. Beachtung von nationalen Normen, internationalen Normen und auch soft law) der Institution geht. Auch das geplante Mandat des NPM, nämlich Prävention von Folter durch monitoring sowie Stellungnahmen zu Gesetzen, ist im Wesentlichen deckungsgleich mit dem Mandat des MRB – natürlich mit der Ergänzung, dass der NPM alle Formen staatlicher Anhaltung umfassen muss. Vorbildlich für den NPM wird auch die multidisziplinäre (Juristen, Mediziner, …) Zusammensetzung der Kommissionen des MRB sein, ebenso das Besuchs- und Berichtswesen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der MRB in vielen Belangen als Modell für den NPM herangezogen werden kann, jedoch das zentrale Erfordernis der Unabhängigkeit gemäß der Maxime von Silvia Casale (Präsidentin des SPT) – „Im Zweifel für mehr Distanz, im Zweifel für mehr Unabhängigkeit“ - aus den genannten Einflussmöglichkeiten des BM.I nur unzureichend erfüllt wird.

Qualität, Ressourcen, Mandat und Unabhängigkeit, Unabhängigkeit, Unabhängigkeit
Diese Kriterien eines NPM sind für Mag. Heinz Patzelt (Generalsekretär amnesty international Österreich) absolut unverzichtbar, wobei der Unabhängigkeit in institutioneller, personeller und finanzieller Form die zentrale Rolle zukommt. Als Negativmodell für die Umsetzung des OPCAT sieht Patzelt den geplanten NPM in Deutschland, wohingegen Österreich auf Grund des hohen Niveaus der Vorarbeit durch den MRB die besten Voraussetzungen habe ein Musterexemplar eines NPM, einen „funkelnden Menschenrechtsdiamanten“, zu schaffen. Wichtig sei auch, dass das Mandat eines künftigen NPMs sich nicht nur auf den österreichischen Freiheitsentzugsbegriff beschränken dürfe, sondern wirklich alle Formen von Freiheitsbeschränkung umfassen sollte. Sehr bedeutend wäre auch die Möglichkeit Normenkontrollverfahren beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten.

Der institutionelle Rahmen des Nationalen Präventionsmechanismus
Als Name sollte nicht der Begriff „Beirat“ gewählt werden, da dieser eine unkritische, beratende Tätigkeit suggeriert. Im Gegensatz dazu sollte der NPM jedoch eine kritische Prüfungseinrichtung darstellen, die auch vor kontroversiellen Empfehlungen nicht zurückschreckt. Da eine Einrichtung als eigenständige oberste Verwaltungsbehörde unwahrscheinlich ist, scheint eine Ansiedelung im Rahmen der Volksanwaltschaft die am besten geeignete Lösung zu sein – wenn eine Errichtung in Form einer Doppelinstitutionalität mit getrennten Kompetenzen möglich ist. Der Bestellungsmodus sollte zweistufig in dem Sinne sein, dass die Mitglieder des Leitungsgremiums des NPT vom Hauptausschuss des Nationalrats bestellt werden und eine Funktionsperiode von 4-6 Jahren erhalten, jedoch die Bestellung ihrer Kommissionen selbständig, ohne politischen Einfluss, übernehmen können.

Gründe für eine verfassungsrechtliche Verankerung des NPM
Aus den aufgezeigten Überschneidungen zwischen dem MRB und einem NPM ergibt sich nach Univ. Prof. Dr. Bernd-Christian Funk (Stv. Vorsitzender des MRB) schon aus formellen Gründen das Erfordernis einer Verfassungsänderung, da der MRB selbst in einer Verfassungsbestimmung des SPG geregelt ist und daher nur per Verfassungsgesetz seine Kompetenzen verändert werden könnten. Darüber hinaus sprechen auch inhaltliche Gründe für eine verfassungsrechtliche Verankerung des NPM. Beiräte haben nach Funk einerseits Legitimations- und andererseits Kritikfunktion der staatlichen Verwaltung, wobei der MRB insofern atypisch ist, als er auch mit starken Beobachtungs- und Kontrollaufgaben betraut ist. Jedoch hat das BM.I auf den MRB einen hohen Einfluss, insbesondere bei der Bestellung von Mitgliedern des MRB und seiner Kommissionen sowie durch die Erstellung der Geschäftsordnung per VO. Eine gewisse Unabhängigkeit kommt dem MRB nur dadurch zu, dass er weisungsfrei agieren kann. Art. 4 OPCAT sieht vor, dass der NPM alle Orte der Freiheitsentziehung zu überwachen hat, was neben der Sicherheitsverwaltung auch Justizeinrichtungen, Pflegeheime und Ähnliches umfasst und somit klar über das Mandat des MRB hinausgeht. Im Resümee wird festgestellt, dass der MRB trotz seiner „Geburtsfehler“ seine Beobachtungs- und Kontrollfunktion überraschend gut erfüllt hat, seine rechtliche Konstruktion auf Grund der mangelnden funktionalen und personellen Unabhängigkeit jedoch klar nicht OPCAT-tauglich ist.

Ein "Menschenrechtsbeirat neu" als Nationaler Präventionsmechanismus?
Der inoffizielle Vorschlag der Verfassungsreformgruppe für einen "MRB neu" als NPM würde zwar eine verfassungsrechtlich stark verbesserte institutionelle Sicherung der Unabhängigkeit bietet, jedoch die Erfordernisse des OPCAT auf Grund der vorgesehenen Abberufungsmöglichkeit des MRB durch das Parlament auch nicht voll erfüllen. Egal jedoch welche rechtliche Konstruktion schlussendlich gewählt werden wird, wäre es wichtig, etwas für die Stabilisierung der politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz des MRB zu tun, um die Legitimitäts- und Leistungschancen einer trotz aller Hindernisse erfolgreichen Kontroll- und Beratungsinstitution nicht aufs Spiel zu setzen.

Die Reaktionen des Publikums
Ass. Prof. DDr. Renate Kicker (Vizepräsidentin des Committee for the Prevention of Torture - CPT) führt aus, dass die Idee eines universellen präventiven Besuchssystems zur Verhinderung von Folter schon in den 80er Jahren geboren wurde und am 22. Juni 2006 mit dem Inkrafttreten des OPCAT und der Errichtung des SPT endlich Wirklichkeit geworden ist. Hinkünftig ist eine enge Kooperation zwischen dem SPT und dem CPT, der (europäischen) Regionalorganisation zur Folterprävention, geplant. Die Errichtung eines NPM sei eine Standardempfehlung des CPT, der in Österreich in den 90er Jahren mit der Schaffung des MRB Folge geleistet wurde. Im jüngsten CPT-Bericht zu Österreich 2004 wurde jedoch die enge Anbindung des MRB an das BM.I kritisiert. Die Notwendigkeit der Errichtung eines unabhängigen NPM ergibt sich also nicht nur aus den Verpflichtungen des OPCAT, sondern auch aus den Empfehlungen des CPT. Ein NPM für Österreich sollte auf den hervorragenden Expertenpool des MRB zurückgreifen, organisatorisch und personell wahrhaft unabhängig gestellt werden und seine Aufgaben auf Kontrolle und Empfehlungen beschränkt werden.

Prof. Dr. Manfred Nowak (UNO Sonderberichtserstatter für Folter) ortet in Österreich einen Wildwuchs an kommissarischem Rechtsschutz. Zwar gehöre der Gedanke des rein gerichtlichen Menschenrechtsschutzes klar der Vergangenheit an, aber dies führe auch zu Doppelgleisigkeiten und höheren Kosten. Er sieht OPCAT daher als eine Gelegenheit, im Rahmen der Umsetzung Synergieeffekte zu nutzen und mehrere dieser Institutionen in einem großen Wurf zu verbinden.

Ass. Prof. Dr. Birklbauer (Mitglied des MRB), als Mitglied der Strafvollzugskommission Linz zuständig für die Überwachung von Grundrechtsverletzungen im Strafvollzug und in der Untersuchungshaft, sieht diese Institution als Negativbeispiel. Die Strafvollzugskommissionen würden politisch besetzt, es fehle an Ressourcen, die Tätigkeit sei ehrenamtlich und es fehlt ein Leitungsorgan, welches die gemachten Beobachtungen weiterverfolgt. Genau das Gegenteil müsse der NPM sein, um effektives Monitoring im Justizbereich zu ermöglichen.

Prof. Dr. Alfred Zauner führt aus, dass eine Institution wie der NPM vor der Herausforderung steht die delikate Balance zwischen Denunziation und Kooperation zu finden, davor jedoch nicht zurückschrecken dürfe. In der Wirtschaft sei dies genau eine Funktion des Controllings, die es ermögliche zu beobachten, Probleme zu thematisieren und in der Folge Entscheidungen sicherzustellen.

Mag. Terezija Stoisits (Volksanwältin) bedankt sich für die interessante, selbst-kritische Diskussion und betont, dass eine Verankerung des NPM im Rahmen der Volksanwaltschaft eine ideale Lösung darstellen würde, da sich die die Kompetenzen der VA und des MRB ideal ergänzen würden. Dass es bisher noch nicht zur Schaffung eines NPM gekommen sei wertet sie nicht als einen Nachteil: Gut Ding braucht eben Weile.

Protokoll der Veranstaltung (377,4 KB) 

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2007 - Polizei als Täter? Umgang des Staates mit Misshandlungsvorwürfen

Zusammenfassung

In dieser Situation sollte zu einer raschen, umfassenden und unabhängigen Ermittlung gefunden werden. Dies kann nach Meinung des Menschenrechtsbeirates nur durch den Einsatz einer professionell ausgebildeten, ausgestatteten und ebenso agierenden Ermittlungseinheit gewährleistet werden, die mit entsprechender Unabhängigkeit ausgestattet ist.

Vom Menschenrechtsbeirat begrüßt wird die von den Staatsanwaltschaften nur äußerst zurückhaltend gepflogene Praxis, BeschwerdeführerInnen wegen Verleumdung strafrechtlich zu verfolgen. Dies kann jedenfalls mit dazu beitragen, dass Meldungen von Verdachtsfällen nicht aus Angst vor möglichen negativen Folgen unterlassen werden.

Insgesamt gelangt der Menschenrechtsbeirat jedoch zu dem Ergebnis, dass das österreichische System der Untersuchung, Aufklärung und Sanktionierung von möglichen Misshandlungen durch die Sicherheitsexekutive viel zu sehr von strafrechtlichen Gesichtspunkten determiniert ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ein Großteil der den Staatsanwaltschaften zugeleiteten Anzeigen und Verdachtslagen kein strafrechtliches Substrat aufweisen und deswegen einzustellen sind. Im Bereich der Sicherheitsbehörden werden an einmal derart beendete Verfahren jedoch üblicherweise keine weiteren Folgen bzw. Aufarbeitung geknüpft.

Aus menschenrechtlicher Sicht steht nicht die Straflosigkeit von Misshandlungen und sonstigem Fehlverhalten der Polizei im Vordergrund, sondern ihre Folgenlosigkeit: Nicht jedes Fehlverhalten der Exekutive stellt notwendigerweise ein Strafdelikt dar, ist aber dennoch in Anbetracht des Gewaltmonopols der Sicherheitsexekutive aus menschenrechtlicher Sicht höchst sensibel und relevant.

Der Menschenrechtsbeirat kommt zu der Schlussfolgerung, dass dieses primär am Strafrecht orientierte System dem menschenrechtlichen Anspruch einer schnellen, unabhängigen und effizienten Untersuchung und Aufklärung möglicher Misshandlungen nicht Genüge tut. Zur Lösung der aufgezeigten Problematik ist daher eine menschenrechtliche Gesamtsicht und damit verbunden eine grundlegende Systemänderung erforderlich.

Der Menschenrechtsbeirat schlägt daher insbesondere die Schaffung einer wirklich unabhängigen Ermittlungseinheit mit der primären Aufgabe, jeden Vorwurf einer Misshandlung und jeden Polizeieinsatz mit Waffengebrauch im Sinne des WGG (einschließlich der Ausübung von Körperkraft) in schneller und professioneller Weise im Hinblick auf eine mögliche Menschenrechtsverletzung zu untersuchen, vor. Wesentliches Kriterium ist die rasche und umfassende Feststellung des Sachverhalts im Hinblick auf eine mögliche Menschenrechtsverletzung, und zwar unabhängig davon, ob diese letztlich strafrechtsrelevant ist oder nicht. Erst nach der Klärung des Sachverhalts mit allen polizeilichen Ermittlungsbefugnissen sollten in einem weiteren Schritt die möglichen Folgen eines festgestellten Fehlverhaltens von Angehörigen der Sicherheitsexekutive diskutiert und aus den zur Verfügung stehenden Optionen die im konkreten Fall als am besten geeignet erscheinenden Maßnahmen ausgewählt werden. Die möglichen Folgen dieses Fehlverhaltens reichen von einer Mediation zwischen Opfer und Täter über verschiedene Formen der Wiedergutmachung (Eingeständnis des Fehlverhaltens durch das Organ und/oder die betroffene Behörde, öffentliche Entschuldigung gegenüber dem Opfer, finanzielle Entschädigung und sonstige Formen der Genugtuung), Disziplinarmaßnahmen, bis hin zu strukturellen Reformen (Änderung von Gesetzen, Verordnungen, Erlässen etc.) und Trainingsmaßnahmen.

Diese Schritte sollten nach Möglichkeit von einer Kommission gesetzt werden, die sich aus MenschenrechtsexpertInnen, ÄrztInnen und sonstigen qualifizierten Personen zusammensetzen. Im Hinblick auf mögliche Disziplinarmaßnahmen erscheint es zudem sinnvoll, die unmittelbaren Dienstvorgesetzten der involvierten BeamtInnen in die Aufarbeitung mit einzubeziehen.

Über die genauere Ausgestaltung einer derartigen Kommission hat sich der Beirat letztlich nicht auseinander gesetzt, weil dazu ein politischer Wille vorhanden sein müsste. Der Beirat wäre allerdings bereit, bei vorhanden eines derartigen breiten Konsenses den Faden wieder aufzunehmen.

In dieser Situation sollte zu einer raschen, umfassenden und unabhängigen Ermittlung gefunden werden. Dies kann nach Meinung des Menschenrechtsbeirates nur durch den Einsatz einer professionell ausgebildeten, ausgestatteten und ebenso agierenden Ermittlungseinheit gewährleistet werden, die mit entsprechender Unabhängigkeit ausgestattet ist.

Der Menschenrechtsbeirat (MRB) hat als Beratungsgremium des Bundesministers für Inneres die Aufgabe, die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden und ihrer Organe unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte begleitend zu prüfen. Der Tätigkeitsschwerpunkt des Beirates und seiner sechs Kommissionen liegt dabei im Aufzeigen struktureller Mängel und darin, durch Verbesserungsvorschläge Menschenrechtsverletzungen präventiv entgegenzuwirken.

Der nun vorliegende dritte Band der Schriftenreihe des MRB beleuchtet den Umgang der staatlichen Institutionen (Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht) mit Misshandlungsvorwürfen unter Beachtung internationaler Verpflichtungen zur Verhütung und Bestrafung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Teil 1 zeigt für die Zukunft Entwicklungsperspektiven für einen besseren Umgang mit derartigen Vorwürfen auf. Teil 2 erläutert die von Österreich übernommenen internationalen Verpflichtungen sowie die geltenden innerstaatlichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Teil 3 schließlich stellt anhand einer Untersuchung aller im Jahr 2004 im Zuständigkeitsbereich der Oberstaatsanwaltschaft Wien (Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland) gegen ExekutivbeamtInnen eingeleiten einschlägigen Strafverfahren das Zusammenspiel der staatlichen Institutionen dar.

In strafrechtlicher Hinsicht werden Misshandlungsvorwürfe und Verdachtsfälle überschießender Gewalt durch Organe der Sicherheitsexekutive zunächst rasch und professionell erhoben, und zwar in Wien in der Regel durch das Büro für Besondere Ermittlungen (BBE) und in den Bundesländern durch vorgesetzte Polizeidienststellen. Diese Erhebungen werden allerdings durch Erlässe inhaltlich und zeitlich limitiert, sie sollen möglichst binnen 24 Stunden beendet sein und der Staatsanwaltschaft übermittelt werden. Der Grund dafür liegt darin, dass möglichst bald eine gerichtliche Untersuchung eingeleiteten werden soll, um ein unabhängiges Verfahren zu garantieren. Im Sinne einer vollständigen Erhebung aller relevanten Fakten erweist sich diese Frist jedoch vielfach als zu kurz. Die gerichtlichen Vorerhebungen wiederum nehmen in der Regel mehrere Woche oder sogar Monate in Anspruch und beschränken sich vielfach auf die Vernehmung von Verdächtigen und ZeugInnen, wodurch jedoch meist keine neuen Erkenntnisse erwartet werden können.

Das wesentliche Dilemma der derzeitigen Situation besteht also darin, dass die rasche und umfassende Untersuchung nicht unabhängig und die unabhängige Untersuchung nicht rasch und umfassend ist.

Inhaltsverzeichnis des Berichts (169,7 KB) 

Information zur Anforderung des gesamten Berichtes (197,2 KB) 

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2007 - Gesundheitsversorgung in der Schubhaft

Zusammenfassung

Bericht und Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates anlässlich des Todes von Yankuba Ceesay im Polizeianhaltezentrum Linz

Die Ereignisse im PAZ Linz im Oktober 2005, deren tragische Höhepunkt der Tod des gambischen Staatsangehörigen Yankuba Ceesay in einer Sicherungszelle war, waren Anlass für eine erneute Analyse der medizinischen Betreuungsstruktur von in Schubhaft angehaltenen Personen.

Den einzelnen Abschnitten des Berichts stellt der Beirat die korrespondierenden Sachverhaltselemente des Anlassfalls gleichsam als Orientierung voraus. Im Weiteren wird konzentriert die bestehende Betreuungsstruktur einschließlich einschlägiger Rechtsgrundlagen sowohl unter allgemeinen Gesichtspunkten als auch in spezifischen Anhaltesituationen erfasst. Der MRB ist in seinen Erwägungen um Antworten auf offensichtliche Vollzugsprobleme bemüht.

Der MRB gelangt zu dem Ergebnis, dass es, trotz aller Bemühungen des BM.I in den letzten Jahren, Empfehlungen des MRB in Erlässen aufzuarbeiten, in der Vollzugspraxis hinsichtlich der Prüfung der Haftfähigkeit und der Heilbehandlung von Schubhäftlingen keinen einheitlichen Standard in Österreich gibt.

Konkret kritisiert der Beirat, dass es an einer klaren und überprüfbaren Aufgaben- und Verantwortungsstruktur, die auch dazu geeignet wäre, Defizite in der Betreuung eines Schubhäftlings frühzeitig sichtbar und damit menschenrechtskonform korrigierbar zu machen, fehlt.

Darüber hinaus vermisst der Beirat eine funktionierende Dienstaufsicht, die die Folgenlosigkeit bei Fehlverhalten von PolizeiamtsärztInnen, HonorarärztInnen, ÄrztInnen in öffentlichen Krankenanstalten oder sonst mit Aufgaben der medizinischen Betreuung von Schubhäftlingen befassten Personen hintan zu halten vermag.

Weitere zentrale Aussagen im vorliegenden Bericht sind:

  • (Menschen-)rechtliches Gebot der Information und Kommunikation mit Schubhäftlingen in allen Belangen der medizinischen Betreuung, insbesondere auch der Aufklärung über erforderliche medizinische Untersuchungen oder Behandlungen entsprechend dem Standard eines Arzt-Patienten-Verhältnisses;
  • Keine Rechtsgrundlage für in die körperliche Integrität eingreifende Zwangsuntersuchungen und Zwangsbehandlungen in den Polizeianhaltezentren (PAZ);
  • Unzulässigkeit von mit Zwang durchgesetzten Blutabnahmen;
  • Nicht vollziehbare Rechtgrundlage betreffend die Zulässigkeit von Zwangsuntersuchungen und Zwangsbehandlungen in der medizinischen Einrichtung des gerichtlichen Gefangenenhauses Wien;
  • Uneingeschränkte Unzulässigkeit einer Zwangsernährung von Schubhäftlingen wegen Unverhältnismäßigkeit dieses Sonderfalls der Zwangsbehandlung;
  • Keine Rechtsgrundlage für die Mitwirkung von HonorarärztInnen und ÄrztInnen in öffentlichen Krankenanstalten an Zwangsuntersuchungen und Zwangsbehandlungen von in Schubhaft angehaltenen Personen, sofern diese nicht an einer psychischen Erkrankung leiden und im Zusammenhang damit Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt;
  • Bezeichnung von Personen als „Nahrungsverweigerer“ oder „Hungerstreiker“ nur dann, wenn diese im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte sind; rechtliches Gebot der Überstellung in eine Krankenanstalt oder Entlassung aus der Anhaltung vor Eintritt einer schweren Gesundheitsbeeinträchtigung, wozu auch ein auf die Verweigerung der Nahrungsaufnahme zurückzuführender psychischer Ausnahmezustand zählt.

Bericht (403,6 KB) 

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2005 - Menschenrechte in Aus- und Fortbildung der Sicherheitsexekutive

Zusammenfassung

Im Rahmen der von ihm behandelten Problembereiche hat der MRB wiederholt Empfehlungen zum Thema Schulungen in der Sicherheitsexekutive abgegeben.

Schon auf Grund der Stellung des Beirates als Kontroll- und Beratungsorgan, das neben dem Aufzeigen von menschenrechtlich relevanten strukturellen Defiziten auch Verbesserungsvorschläge in Form von Empfehlungen erstattet und Maßnahmen zur Umsetzung dieser Empfehlungen begleitet, wird klar, dass dem Bereich der Menschenrechtsbildung eine wesentliche Bedeutung zukommt. Der MRB hat Schulungen als Maßnahmen, die auf Prävention und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, an verschiedener Stelle thematisiert. Im Rahmen der menschenrechtlichen Analyse der strukturellen Gegebenheiten der Polizeitätigkeit Sicht und der Wahrnehmung von Missständen und Übergriffen grundsätzlich nicht als isolierte Einzelvorkommnisse, sondern als symptomatische Äußerungen, deren Ursachen im System liegen, reihen sich die Empfehlungen zu den Schulungen in der Sicherheitsexekutive gleichsam als Querschnittsmaterie in die vom Beirat bearbeiteten Themenbereiche ein. Eine Gesamtanalyse der menschenrechtlichen Schulungen in der Sicherheitsexekutive wurde jedoch bisher nicht vorgenommen. Dies wurde nun durch die vom Beirat eingesetzte Arbeitsgruppe (AG) Menschenrechtsbildung vorgenommen und in dem vorliegenden Bericht zusammengeführt.

Ziel des Berichtes der AG Menschenrechtsbildung ist es daher, auf der Basis einer Ist-Stand Erhebung der menschenrechtlichen Schulungen in der Sicherheitsexekutive, den Stellenwert der Menschenrechte im Bereich der Aus- und Fortbildung einerseits und innerhalb der Gesamtorganisation andererseits zu erfassen. Dies erfolgt vor allem unter Heranziehung des menschenrechtlichen Strukturkonzepts und dessen Umsetzung in der Grundausbildung, Fortbildung und LehrerInnenausbildung. Weiters muss auch die Frage gestellt werden, in wie weit Menschenrechte durch Schulungsmaßnahmen in der Organisation implementiert werden können und welche Rolle die Organisationskultur bei der Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen dabei spielt. Auf den Bereich der Organisationskultur als Faktor, der die Implementierung der Menschenrechte beeinflusst, kann im Rahmen des Mandats der AG nur hingewiesen werden; eine eingehende Analyse hätte durch eine eigene Arbeitsgruppe zu erfolgen.

Nicht in diesem Bericht thematisiert wird die Aus- und Fortbildung auf Behördenebene und der Bediensteten in der Verwaltung. Es sei nur darauf hingewiesen, dass im Sinne eines gesamtheitlichen Ansatzes der Menschenrechtsbildung und dem entsprechenden Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen, in Erledigung der Aufgaben des Innenressorts, eine Bewusstseinsbildung auf dieser Ebene für ebenso wichtig anzusehen ist, wie für den Bereich der Sicherheitsexekutive.

Schließlich soll – im Sinne einer Weiterentwicklung der eigenen Arbeitsweise – die Rolle des Menschenrechtsbeirates im Bereich der Menschenrechtsbildung der Exekutive beleuchtet werden. Einerseits stellt sich die Frage einer aktiveren Beteiligung des Beirates im Menschenrechtsbildungsbereich für menschenrechtliche Fragen betreffend die Arbeit der Exekutive. Andererseits geht es um die unterrichtsgerechte Aufbereitung beiratsrelevanter Materie für die BeamtInnen. Denn mit der bloßen Erstattung von Empfehlungen ohne eine entsprechende Vermittlung der Inhalte und Hintergründe für die AnwenderInnen bleibt manches abstrakt und unverständlich.

Bericht (217,9 KB) 

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2005 - MenschenrechtsverteidigerInnen

Zusammenfassung

Wie im November 2004 bekannt wurde, führte das BMI sicherheitsbehördliche Ermittlungen gegen ein Ersatzmitglied des MRB und den Leiter einer Kommission durch. Aufgrund der Umstände dieser Ermittlungen und der Verweigerung der Bestellung von Mag. Bürstmayr zum Leiter der Kommission OLG Wien 1, hielt der MRB am 16.11.2004 eine Sondersitzung ab. Daraufhin setzte der Beirat eine Arbeitsgruppe ein, die angesichts der wichtigen Rolle von Personen oder Gruppen, die zum Schutze und zur Förderung der Menschenrechte tätig sind, das Thema aufgreifen sollte, was im internationalen Menschenrechtssystem als Umgang mit Human Rights Defenders (MenschenrechtsverteidigerInnen) bekannt ist.

Aufgabe dieser Arbeitsgruppe war es, die Ermittlungen gegen die betroffenen Personen im Lichte internationaler menschenrechtlicher Kriterien (vor allem der Human Rights Defenders Declaration) zu analysieren. Gegebenenfalls sollten Verbesserungsvorschläge zum Schutz von Personen, die Aufgaben im Bereich des Menschenrechtsschutzes wahrnehmen (vor allem Mitglieder des MRB und seiner Kommissionen sowie Angehörige von Menschenrechtsorganisationen und rechtsberatenden Berufen) für den Bereich des Innenministeriums erstattet werden. Als Beratungsorgan des Innenministers/der Innenministerin für menschenrechtliche Angelegenheiten sieht es der Menschenrechtsbeirat als seine Aufgabe an, aus gegebenem Anlass im Rahmen seines Mandats auf die besondere Sensibilität im Umgang mit MenschenrechtsverteidigerInnen hinzuweisen, da diese zur tatsächliche Gewährleistung und Durchsetzung der Menschenrechte einen wichtigen Beitrag leisten. Die Behandlung von MenschenrechtsverteidigerInnen, die dem Staat oft sehr kritisch gegenüber stehen und durch ihre beharrliche Tätigkeit "lästig" fallen, spiegelt schließlich auch die Kultur im Umgang mit den Menschenrechten in einem Staat wieder.

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2004 - Reaktion auf behauptete Menschenrechtsverletzungen

Menschenrechtliche Analyse des Umgangs des Staates mit Menschenrechtsverletzungen an Hand des Falles Wague

Zusammenfassung

Nach international und verfassungsrechtlich anerkannten und verbindlichen Menschenrechtsstandards ist der Staat verpflichtet, Eingriffe in die Rechte auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit zu untersuchen und aufzuklären. Vor allem dann, wenn Personen gewaltsam zu Tode gekommen sind, ist der Staat verpflichtet, unverzüglich eine wirksame und offizielle, unabhängige und unparteiliche Untersuchung durchzuführen, die geeignet ist festzustellen, ob die Gewaltanwendung gerechtfertigt war.

Opfer von Menschenrechtsverletzungen haben ein Recht auf Wiedergutmachung und Genugtuung. Dem steht die Verpflichtung des Staates auf Wiedergutmachung gegenüber, insbesondere durch

  • Beendigung anhaltender Menschenrechtsverletzungen;
  • Erhebung der zugrunde liegenden Fakten und eine umfangreiche und öffentliche Aufklärung;
  • eine offizielle Erklärung oder eine Gerichtsentscheidung, welche die Würde, den Ruf und die Rechte des Opfers bzw. dessen Angehöriger wiederherstellt;
  • Entschuldigung gegenüber dem Opfer bzw. dessen Angehörigen, die öffentliche Anerkennung der  festgestellten Tatsachen und die Übernahme der Verantwortung;
  • gerichtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen für die verantwortlichen Personen;
  • Verankerung dieser Prinzipien in menschenrechtlichen Trainings.

Der Grundsatz des "nemo tenetur se ipsum accusare" (Selbstbezichtigungsverbot) ist ein Individualrecht zum Schutz vor Verfolgung. Durch dieses Recht wird die Aufklärungs- und Wiedergutmachungspflicht des Staates nicht eingeschränkt. Der Staat darf den Grundsatz des „nemo tenetur“ nicht zum Vorwand nehmen, um seinen Aufklärungs- und Wiedergutmachungspflichten nicht nachzukommen.

Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, ein den Menschenrechtsstandards entsprechendes Modell zur Untersuchung von Vorwürfen unrechtmäßiger Ausübung staatlicher Zwangsgewalt auszuarbeiten. In diesem Zusammenhang wird es außerdem für sinnvoll erachtet, mit Hilfe eines Ländervergleichs verschiedene Modelle zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen ausfindig zu machen und zu evaluieren.

Die Aufklärungs- und Wiedergutmachungspflicht verpflichtet staatliche Organe zu besonderer Achtsamkeit und Zurückhaltung bei der Abgabe öffentlicher Erklärungen im Sinne der Vermeidung jeglichen Anscheins von Parteilichkeit.

Der MRB empfiehlt, in Fällen von Misshandlungsvorwürfen udgl. wegen der besonderen Sensibilität der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und wegen der Rechte Betroffener hinsichtlich dieser Wirkung bei öffentlichen Äußerungen von Verantwortungsträgern ein besonders hohes Maß an Achtsamkeit einzuhalten. Jeder Anschein einer Vorwegnahme der Ergebnisse der Untersuchung – in Richtung sowohl einer Vorverurteilung als auch eines Vorwegfreispruchs – sollte vermieden werden.

Für den konkreten Fall ist der Menschenrechtsbeirat der Auffassung, dass die Sorgfalt betreffend die Wahl der Formulierungen bei der Bewertung des Verhaltens der Beamten eine größere gewesen sein könnte, wodurch im Kontext der medialen Berichterstattung ein Anschein an Parteilichkeit – nicht nur politisch, sondern auch für die Führung von Untersuchungen Verantwortlicher – entstehen konnte.

Mit der endgültigen Feststellung, dass die Anwendung von staatlicher Zwangsgewalt im vorliegenden Fall rechtswidrig war, werden im Rahmen der Wiedergutmachungspflicht neben einer materiellen Entschädigung auch eine öffentliche Entschuldigung seitens der politisch Verantwortlichen gegenüber den Opfern und die Setzung von Maßnahmen, die dazu beitragen, dass sich künftig derartige Menschenrechtsverletzungen nicht mehr wiederholen, geboten sein. Dies hat gegenüber den Opfern und gegenüber den BeamtInnen eine wichtige Signalwirkung für die Entwicklung der Kultur im Umgang mit Menschenrechten.

Bericht (1,1 MB) 

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2004 - Einsatz polizeilicher Zwangsgewalt - Risikominimierung in Problemsituationen

Zusammenfassung

Der Bericht "Einsatz polizeilicher Zwangsgewalt - Risikominimierung in Problemsituationen/ Fixierungsmethoden - lagebedingter Erstickungstod" einschließlich eines breiten Empfehlungskatalogs an den Bundesminister für Inneres wurde vom Menschenrechtsbeirat (MRB) in der Sitzung vom 20. April 2004 verabschiedet. In seiner, anlässlich des Todes von Cheibani Wague im Zuge eines Polizeieinsatzes (14./15. Juli 2003), am 2. September 2003 abgehaltenen Sondersitzung hatte der Beirat eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung eines Berichts - insbesondere zur Frage, ob die geltenden Vorschriften zur Fixierung von Menschen auf dem Boden ausreichen oder verbessert werden könnten - beauftragt. Die aus Mitgliedern des Menschenrechtsbeirates, MedizinerInnen und Experten des BMI zusammengesetzte Arbeitsgruppe legte jedoch ihr Augenmerk nicht ausschließlich auf medizinisch-technische Fragestellungen, sondern stellte vielmehr - über den Fall Wague hinausgehend - eine umfassende menschenrechtliche Betrachtung des gesamten Ablaufs polizeilicher Operationen an. Angesichts der auf Prävention ausgerichteten Arbeit des Beirates ging es dabei jedoch nicht um eine Untersuchung straf- oder dienstrechtlicher Verantwortlichkeiten einzelner am Geschehen beteiligter Personen, vielmehr sollten jene Faktoren, Konstellationen und strukturellen Probleme identifiziert werden, die zur Eskalation in der Interaktion zwischen Organen der Sicherheitsbehörden und Bürgern beitragen. Dies mit dem Ziel, Risikofaktoren auszumachen und deren Entstehen oder deren Auswirkungen zu vermindern.

Eingangs stellt der Bericht die internationalen und innerstaatlichen rechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes polizeilicher Zwangsgewalt dar. Daran anschließend wird in einem medizinischen Teil eingehend das Phänomen des lagebedingten Erstickungstodes beleuchtet und auf die mit der Anwendung bestimmter Fixierungstechniken verbundenen Risikofaktoren, aber auch auf die Anzeichen für das Vorliegen einer Gefährdungssituation eingegangen.

Eine ausführliche Darstellung erfährt auch die aktuelle Erlasslage in Bezug auf die Schulungen der Sicherheitsorgane. Diesbezüglich anerkennt und begrüßt der MRB die neueren Entwicklungen in der Aus- und Fortbildung der ExekutivbeamtInnen, weist jedoch darauf hin, dass dem Phänomen des lagebedingten Erstickungstodes in den bisherigen Schulungsmaßnahmen nicht ausreichend Beachtung geschenkt worden ist. Um auch tatsächlich die Internalisierung der gelernten Fähigkeiten zu erreichen erachtet der Beirat die Wiederholung von Schulungen in angemessenen Abständen als notwendig. Im Hinblick auf den Umgang mit psychisch kranken Personen bzw. Angehörigen sozialer Randgruppen wird die Ausdehnung bereits bestehender Schulungskonzepte ebenso empfohlen wie die Durchführung von Seminaren mit verpflichtender Teilnahme und die Teilnahme größerer Teile von Dienstgruppen, Einheiten oder Streifenteams.

Den Hauptteil des Berichts bildet eine Analyse von zehn in- und ausländischen Fällen der vergangenen Jahre, in welchen es zu einer Eskalation der Amtshandlung gekommen war und problematische Fixierungen zum Einsatz gelangten bzw. stark emotionalisierte Personen betroffen waren. Trotz der Verschiedenheit der Sachverhalte konnten zahlreiche, für den Verlauf von Amtshandlungen entscheidende Gemeinsamkeiten bzw. Parallelen und "Knackpunkte" aufgezeigt werden. Der Bogen spannt sich dabei von der Kenntniserlangung eines Sachverhalts über Schwierigkeiten bei der Identitätsfeststellung und den Umgang mit Informationen von Außenstehenden bis hin zum Umgang mit Stresssituationen, zur Überprüfung der Vitalfunktionen und zur Frage des Abbruchs einer Zwangsmaßnahme.

Den Erwägungen des Beirats zu den genannten Punkten folgen konkrete Empfehlungen an den Bundesminister für Inneres. So wird unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsprinzips empfohlen, der Abwägung zwischen der Durchsetzung einer Amtshandlung - insbesondere unter Anwendung von Zwangsgewalt - und den damit verbundenen Risiken in der konkreten Situation mehr Beachtung zu schenken, was im Einzelfall auch zu einer Innehaltung, einer Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt oder einem Abbruch der Amtshandlung oder ihrer zwangsweisen Durchführung führen könne. Betont wird auch die Notwendigkeit einer regelmäßigen Überprüfung der Vitalfunktionen fixierter Personen und einer verstärkten Sensibilisierung der BeamtInnen dafür, dass heftige und unkontrollierte Abwehrbewegungen vielfach schon Gefährdungszeichen eines lagebedingten Erstickungstodes darstellen können und nicht als weiterer Widerstand missverstanden werden dürfen. Nach Ansicht des Beirats sollten künftig auch die maßgeblichen Umstände von durchgeführten Fixierungen in Bauchlage sorgfältig und ausführlich dokumentiert werden.

Den Bericht abschließend wird die Nachbereitung von Einsätzen untersucht, wobei dies sowohl die Ebene der individuellen psychologischen Betreuung betroffener BeamtInnen als auch die Durchführung einer objektiven und systematischen Evaluierung betrifft. Hinsichtlich der psychologischen Betreuung nach Schusswaffengebrauch und anderen traumatischen Ereignissen empfiehlt der MRB verstärkte Bemühungen, um die Akzeptanz bzw. Inanspruchnahme weiter anzuheben. Dabei könnte nach Auffassung des Beirats auch daran gedacht werden, ein vertrauliches Erstgespräch verpflichtend vorzusehen. Die fortgesetzte Betreuung sollte dann allerdings auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen. In Bezug auf die Evaluierung betont der Beirat den Zweck einer derartigen systematischen Analyse, nämlich das Lernen aus nicht befriedigend verlaufenen Amtshandlungen für künftige ähnlich gelagerte Sachverhalte. Eine Evaluierung sollte nach Auffassung des MRB nach allen deutlich eskalierten Amtshandlungen, jedenfalls aber in den Fällen durchgeführt werden, die eine schwere physische Beeinträchtigung der von der Amtshandlung betroffenen Person nach sich gezogen haben.

Die Empfehlungen des Menschenrechtsbeirats im Überblick

Schulungen:

  • Mehr Fortbildungsstunden für zeitgemäßes Einsatztraining, um in absehbarer Zeit möglichst alle Exekutivbeamtinnen und -beamten zu erreichen
  • Wiederholung in angemessenen Abständen
  • Seminare zum Verhalten der Exekutive gegenüber sozialen Randgruppen (auch verpflichtende Teilnahme; auch für größere Teile von Dienstgruppen oder Streifenteams)
  • Schulungskonzept (train the trainer) für den Umgang mit psychisch kranken Menschen

Deeskalation – Verhältnismäßigkeitsprinzip:

  • Sensibilisierung der BeamtInnen für den Umgang mit sozialen Randgruppen, interkulturelle Aspekte und den Machtfaktor Sprache - Handlungsalternativen zu gängigen Verhaltensmustern
  • Risikoabwägung bei Durchsetzung einer Amtshandlung und bei Einsatz von Zwangsgewalt kann Innehalten, Verschiebung oder Abbruch der Amtshandlung erfordern

Fixierungsmaßnahmen:

  • Gegenwehrreaktionen von am Boden in Bauchlage fixierten Personen sind oft schon Gefährdungszeichen eines Erstickungstodes und nicht Widerstand!
  • Kontrolle der Vitalfunktionen ist wichtig
  • Nach Fesselung kann vorübergehendes Ablassen trotz Gegenwehr sinnvoll sein
  • Sorgfältige Dokumentation: Angabe der Dauer der Fixierung usw.
  • Gespräche über Aufnahme des Problems lagebedingter Erstickungstod in die Notarztausbildung

Nachbereitung traumatisierender Ereignisse/Einsätze:

  • Psychologische Betreuung der BeamtInnen: Erstgespräch verpflichtend - Weiterbetreuung freiwillig
  • Überlegungen über Gruppensupervision
  • Analyse und systematische Evaluierung problematischer/eskalierter Amtshandlungen (Lerneffekt, auch für andere Teile der Exekutive)
  • Psychologische Betreuung der Beamtinnen und Beamten: Erstgespräch verpflichtend - Weiterbetreuung freiwillig

Bericht (1,3 MB) 
Anhang 1 (1,1 MB) 
Anhang 2 (25,9 KB) 

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2004 - Sprachgebrauch in der österreichischen Sicherheitsexekutive

Zusammenfassung

Bereits zu Beginn seiner Tätigkeit im Jahr 1999 hat der Menschenrechtsbeirat hat beschlossen, sich eingehend mit der Problematik des diskriminierenden Sprachgebrauches in der Sicherheitsexekutive zu befassen und eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung von Empfehlungen zur Verbesserung des Sprachgebrauches in der Sicherheitsexekutive beauftragt.

Im Jänner 2001 legte die Arbeitsgruppe ihren vorläufigen Bericht vor, in dem unter anderem
Bürgerbeschwerden gegen die Exekutive stichprobenartig auf verbale Diskriminierung untersucht, die offizielle Beschwerdestatistik des BMI, aber auch Erfahrungen von NGO's herangezogen, Erlässe des BMI zu diesem Thema angefordert und ausgewertet, die Schulung der Exekutivbeamtinnen- und -beamten bewertet sowie drei sprachwissenschaftliche Untersuchungen zu institutionell verankerten Autoritätspersonen (Richterinnen/Richter, Spitalsärztinnen- und ärtze) im Verhältnis zu ihrem Klientel im Hinblick auf allfällige Gemeinsamkeiten mit ExekutivbeamtInnen eingearbeitet worden waren. Der Beirat kam in seiner Sitzung am 24. April 2001 zum Schluss, dass neben diesem Bericht zur seriösen Bearbeitung des Themas eine fundierte sprachwissenschaftliche Untersuchung über den Sprachgebrauch in der Sicherheitsexekutive notwendig sei. Die Studie sollte dabei insbesondere der Frage nachgehen, wie es zur allfälligen diskriminierenden Sprachentwicklung in der Exekutive kommt, wie dem entgegengewirkt werden könnte und welche Maßnahmen getroffen werden könnten, um einen jahrzehntelang verinnerlichten Sprachgebrauch wieder abzulegen.

Unter der wissenschaftlichen Beratung von Univ. Prof. Dr. Ruth Wodak und Univ. Prof. Dr. Rudolf de Cillia vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien führte das Internationale Zentrum für Kulturen und Sprachen (IZKS) mit den beiden wissenschaftlichen MitarbeiterInnen Dr. Angelika Brechelmacher und Mag. Andreas Gstettner die Studie durch. Für die Projektleitung und Empfehlungen zeichnen Mag. Susanne Gratzl-Ploteny und Mag. Maria Hirtenlehner verantwortlich.

Gegenstand der Studie:

Die Studie „Sprachgebrauch der österreichischen Sicherheitsexekutive“ untersucht mit sprachwissenschaftlichen Methoden, ob in den Äußerungen von Angehörigen der Sicherheitsexekutive mentale Konzepte erkennbar werden, die eine diskriminierende, abwertende oder ausschließende Haltung gegenüber verschiedenen Teilen der Gesellschaft deutlich machen. Dazu standen den StudienautorInnen insgesamt 394 anonymisierte Beschwerdeakte von Polizei und Gendarmerie zur Verfügung.
Nach der am Wiener Institut für Linguistik entwickelten "diskursanalytischen Methode", die die Ebenen der Inhalte, der Strategien und Techniken der Argumentation und der Versprachlichung (d.h. des in eine sprachliche Form Bringens/Umsetzens) unterschiedet, werden zwei wesentliche Aspekte analysiert:

  • die Sprache amtshandelnder Personen, die in ca. zwei Drittel der schriftlichen Beschwerden kritisiert oder zumindest thematisiert worden war. Diese Untersuchung war mit der Schwierigkeit verbunden, dass keine Originaltexte in Form von Tonbandaufnahmen o.Ä. vorlagen und die Autorinnen und Autoren auf das Datenmaterial aus den Beschwerden, die lediglich direkte oder indirekte Zitate von Äußerungen der Beamtinnen und Beamten enthielten, angewiesen waren. Die Autorinnen und Autoren konnten aus dem vorliegenden Material jedoch Aussagen über die Inhalte der Beschwerden treffen und sensible Bereiche von Rollenverständnis und Interaktion zwischen der Exekutive und ihrer Klientel herausfiltern (vgl. Abschnitt 3.3. der Studie)
  • die Sprache des internen Schriftverkehrs, mit dem die Beschwerden innerhalb der Behörde aufgearbeitet wurden. Dabei interessierte vor allem, wie ernst die Beschwerden von den Verantwortlichen genommen und inwieweit sie als Anregung zu Veränderung angenommen wurden.

Ergebnisse der Studie:

Von der Gesamtheit aller 394 Beschwerdeakte (in etlichen Akten wurden mehrere Beschwerden angeführt) bezogen sich

  • 244 Beschwerdeinhalte (37,4 %) auf das individuelle Ermessen der jeweiligen amtshandelnden Person und
  • 233 Beschwerdeinhalte (35,7 %) auf das verbale Verhalten der ExekutivbeamtInnen während der Amtshandlung.

Die häufigsten Vorwürfe betrafen Unhöflichkeit, Überheblichkeit, Drohungen und Beschimpfungen während der Amtshandlung. Aus dieser Verteilung wurde ersichtlich, welch hohen Stellenwert dem verbalen Verhalten der BeamtInnen während der Amtshandlung von den BeschwerdeführerInnen zugeschrieben wird.
Aufgrund der Akten legen die Autorinnen und Autoren der Studie zwei Hauptstränge frei: die Stärkung der Aussage jener Beamtinnen und Beamten, deren Vorgehen die Beschwerde galt sowie die Infragestellung von Person und Aussage des Beschwerdeführers bzw. der Beschwerdeführerin.
Diese beiden Hauptstränge sind eng aneinander gekoppelt. Die Aufwertung der eigenen Person oder jener der eigenen Institution angehörenden Person wird über positive Selbstpräsentation angestrebt. Sie geht mit negativer Fremdpräsentation, mit der Abwertung der fremden, konkurrierenden, außerhalb der Institution stehenden Person oder Personengruppe einher. Die Strategien der Selbst- und der Fremddarstellung werden auf verschiedenen sprachlichen Ebenen umgesetzt – nämlich

  • über die Referenz auf die handelnden Personen
  • über die Prädikationen, wodurch Personen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden (z.B. - durch die Beifügung von Metaphern oder Adjektiven und Adverbien),
  • über Argumentationsmuster im Allgemeinen und die rechtliche Argumentation im Speziellen (nachträgliche Berufung auf das Gesetz) sowie
  • über Rekontextualisierung von Textteilen (dieser Begriff geht auf eine Theorie zurück, die besagt, dass mit dem Herauslösen eines Textes aus seinem ursprünglichen Kontext und dem anschließenden Einbetten in einen anderen Kontext, eine Bedeutungsverschiebung, in manchen Fällen auch ein Bedeutungswandel verbunden sein kann).

Besonders betroffen von dieser Eigenaufwertung und Fremdabwertung waren bestimmte Gruppen von Klientinnen/Klienten: Jugendliche und junge Erwachsene, Einreisende aus zukünftigen Mitgliedsländern der Europäischen Union an den Grenzkontrollposten und Afrikaner. So wurden im Untersuchungsmaterial u.a. bei der Anrede von Jugendlichen Unsicherheiten bei BeamtInnen der Sicherheitsexekutive erkennbar. Die AutorInnen kommen dabei zum Schluss, dass in Amtshandlungen, in denen BeamtInnen ihre Autorität in ihrer Rolle als Organe des Staates deutlich machen, der Gesichtsverlust für die jugendliche Klientel durch die höfliche Anrede per "Sie" abgeschwächt werden sollte. Aggressive Wortwahl, die gegenüber jungen Männern und Frauen im Untersuchungsmaterial zum Ausdruck kommt (vgl. Abschnitt 3.3.2.6), sollte innerhalb der psychologischen Schulung der Sicherheitsexekutive thematisiert werden.
Ein weiteres wesentliches Problem betraf die strikte Trennung von Fakten und Beurteilungen in Sachverhaltsdarstellungen. Festgestellt wurde, dass Darstellungen und Argumenten aller Beteiligten im gleichen Ausmaß und in gleicher Form Raum zu geben ist.
Schließlich wurde auch die Benennung von Personen in schriftlichen Darstellungen von Amtshandlungen problematisiert. Während auf amtshandelnde Personen von ihren Vorgesetzten etwa in Sachverhaltsdarstellungen durchaus angemessen referiert wird - meist mit entsprechendem Amtstitel und Familiennamen - mangelt es bei der sprachlichen Bezugnahme auf KlientInnen, den beschwerdeführenden Personen, oft an sprachlichem Feingefühl und Ausgewogenheit. In der Untersuchung wurde beispielsweise festgestellt, dass Personen afrikanischer Herkunft im behördlichen Schriftverkehr selten in respektvoller Form mit Anrede und Familiennamen benannt werden. Vorzugsweise wird als Referenz der Begriff "Schwarzafrikaner" eingesetzt. Dieser Begriff wurde per Erlass im behördlichen Sprachgebrauch empfohlen und ersetzt das rassistische Wort "Neger". Gemeinsam ist beiden Begriffen allerdings die Bezugnahme auf körperliche, rassische Merkmale, die dunkle Hautfarbe. Die Benennung von Menschen nach rassischen Merkmalen (der Schwarze, die Blonde) ist dann zulässig und korrekt, wenn dadurch eine Person unter mehreren erkannt und identifiziert werden kann. Sobald jedoch die persönlichen Daten dieser Person aufgenommen sind, ist auf sie z.B. im behördlichen Schriftverkehr wie auf jede andere Person mit Anrede und Familiennamen zu referieren. Durch stereotype Wiederholung wird die Referenz "Schwarzafrikaner" sonst zum diskriminierenden Begriff (vgl. dazu ausführlich Abschnitt 3.2.1.1d).
Die Studie schließt mit einer Zusammenfassung der zentralen Probleme im Sprachgebrauch der Exekutive und mit einem breiten Katalog an Empfehlungen zur Implementierung des Themenbereichs in der polizeilichen Aus- und Fortbildung sowie mit einer Auswahl an Methoden zur Entwicklung von „language awareness“, also der Fähigkeit zu einem sensiblen und reflektierten Umgang mit Sprache und der Förderung von Sprachbewusstsein.

Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates auf Basis der Ergebnisse der Studie:

  • Beauftragung der Sicherheitsakademie mit der Planung eines Moduls, welches sich mit der Sensibilisierung der BeamtInnen der Sicherheitsexekutive mit dem Thema "(diskriminierender) Sprachgebrauch" beschäftigt. Fertigstellung des Konzepts nach Möglichkeit bis zum Ende des Jahres 2004. Einbeziehung des MRB in die Planungsarbeiten.
  • Verbindliche Integration des Moduls (neben der Grundausbildung) auch in die Aus- und Fortbildung der Beamtinnen und Beamten.
  • Erstellung eines Folders/einer Broschüre, welche sich mit dem Thema "Diskriminierender Sprachgebrauch" befasst, für alle Exekutivbeamtinnen und Beamten.
  • Einberufung der Expertinnen und Experten, die sich mit der Planung und Durchführung dieses Moduls beschäftigen, zu einem "Follow-up", in dem eventuelle Mängel aufgezeigt und die Grundlagen für die Optimierung späterer Schulungen erarbeitet werden sollen.
  • Sicherstellung, dass für Vortragende aus der Exekutive spezielle verbindliche Schulungen zu diesem Themenbereich eingeführt werden. Konzept und Durchführung dieser Schulungen durch ein Team aus Exekutivbeamtinnen/Beamten, Linguistinnen/Linguisten und Didaktikerinnen/Didaktiker.
  • Sicherstellung, dass bei kontroversiellen Beschwerdeinhalten Darstellungen und Argumenten der Beteiligten im gleichen Ausmaß und in gleicher Form Raum gegeben wird. Persönliche Beurteilungen von vorgesetzten Beamtinnen/Beamten sollten klar als solche gekennzeichnet sein.

Studie (556,7 KB) 
MRB-Bericht (117,6 KB) 
Anhang (28,5 KB) 

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2002 - Medizinische Betreuung von angehaltenen Personen

Zusammenfassung

Jährlich werden in Österreich bis zu 25.000 Menschen als Gerichts-, Verwaltungs- oder Schubhäftlinge angehalten. Eine Auswertung der bis zum 31. Dezember 2000 von den Kommissionen des Menschenrechtsbeirates verfassten Berichte über die begleitende Überprüfung von Dienststellen der Sicherheitsexekutive machte deutlich, dass die medizinische Betreuung von angehaltenen Personen immer wieder Anlass zu Beanstandungen gibt.

Der Menschenrechtsbeirat beschloss daher in seiner Sitzung vom 13. März 2001, den Problemkreis "Medizinische Betreuung von angehaltenen Personen" im Rahmen einer gemischten Arbeitsgruppe, bestehend aus VertreterInnen des Menschenrechtsbeirates, der Kommissionen des Menschenrechtsbeirates, des Bundesministeriums für Inneres, des Polizeiärztlichen Dienstes, sowie der Schubhaftbetreuung, vordinglich zu behandeln. Aufgabe der Arbeitsgruppe war es, strukturelle Problemfelder in der medizinischen Betreuung insbesondere in den Polizeianhaltezentren (PAZ) zu untersuchen und praktikable Lösungsansätze als Vorschläge für Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates an den Bundesminister für Inneres zu erarbeiten.

Der Bericht stellt in Kapitel II die maßgeblichen innerstaatlichen Regelungen in Gesetzen, Verordnungen und Erlässen ebenso dar wie relevante völkerrechtlich Vereinbarungen und Verträge, sowie weitere internationale Standards mit bindendem und empfehlendem Charakter. Kapitel III untersucht die Aufgabenstellung des Polizeiärztlichen Dienstes, seine personelle Ausstattung, die fachliche Qualifikation, sowie die Kooperation mit VertrauensärztInnen, Betreuungsorganisationen, FachärztInnen und Krankenhäusern. Bei der medizinischen Betreuung selbst werden in Kapitel IV neben Überlegungen zur Haftfähigkeitsprüfung, der Erstuntersuchung, der Dokumentation und Information über den Gesundheitszustand einige spezifische Problemlagen näher analysiert: Defizite in der sprachlichen Verständigung, der Umgang mit angehaltenen Personen im Hungerstreik, das Erkennen und Vermeiden von Selbstschädigung, die Behandlung traumatisierter Personen. Als medizinisch wie ethisch nicht tragbar werden jene Fälle bewertet, in denen Schubhäftlinge aus Kostengründen nicht der medizinisch gebotenen Spitalsbehandlung zugeführt, sondern als haftunfähig unversorgt auf die Straße entlassen werden. Kapitel V schließlich untersucht präventive Maßnahmen zur Minimierung medizinischer Problemlagen. Insbesondere wird auf die sehr positiven Auswirkungen der Offenen Station im PAZ Linz und auf andere Verbesserungen betreffend Haftstandards verwiesen.

Nicht bearbeitet werden im Rahmen dieses Berichts hingegen jene medizinischen Fragestellungen, denen sich der Menschenrechtsbeirat schon in vorangegangenen Sitzungen gewidmet hat. Dies betrifft im Wesentlichen die Altersfeststellung bei Minderjährigen, medizinische Aspekte von Problemabschiebungen, sowie die Behandlung von Menschen, die Drogenpakete verschluckt haben.

Bericht (376,3 KB) 

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2002 - Information von angehaltenen Personen

Zusammenfassung

Aus einer zu Beginn des Jahres 2001 durchgeführten Sichtung aller bis zum 31. Dezember 2000 von den Kommissionen übermittelten Einzel-, Dringlichkeits- und Quartalsberichte durch die Arbeitsgruppe "Schwachstellen und Riskenliste" war hervorgegangen, dass die Information von angehaltenen Personen häufig verzögert oder nicht erfolgt war, was u.a. auf Sprachprobleme und Koordinationsschwierigkeiten der Behörden und der Organe der Exekutive bzw. auf eine Nichtausfolgung vorhandener Informationsblätter zurückzuführen war. Es zeigte sich, dass sich dieser Informationsmangel von der Anhaltung der Betroffenen, über ihre Aufnahme in das Polizeianhaltezentrum (PAZ), bis hin zu ihrer allfälligen Abschiebung oder Entlassung erstreckt hatte. Der MRB beschloss daraufhin die Einsetzung einer aus Beirats- und Kommissionsmitgliedern, Mitgliedern der Schubhaftbetreuungsorganisationen, Mitglieder der Exekutive und der Sicherheitsbehörden zusammengesetzten Arbeitsgruppe, deren Aufgabe es war, für den Beirat die entsprechenden Schwachstellen ausfindig zu machen, zu analysieren und Empfehlungen auszuarbeiten. Durch die Miteinbeziehung entsprechender Behörden- und Exekutivvertreter wurde besonderer Wert auf die Zweckmäßigkeit und Durchsetzbarkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen gelegt.

Der auf den Vorarbeiten der Arbeitsgruppe beruhende Bericht "Information von angehaltenen Personen" wurde vom MRB in seiner Sitzung am 5. März 2002 beschlossen. Der Bericht untersucht eingehend die Informationssituation bei Festnahmen, bei kurz- und langfristigen Anhaltungen wie auch bei Abschiebungen und Entlassungen im Lichte internationaler wie auch innerstaatlicher rechtlicher Rahmenbedingungen und Standards. Ein eigener Abschnitt beleuchtet die Problematik der Information von Schubhäftlingen über den Stand des fremdenpolizeilichen Verfahrens. Ein breiter, 32 Empfehlungen umfassender, Katalog regt Verbesserungen in den genannten Bereichen an.

Bericht (228,9 KB) 

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2001 - Menschenrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Anhaltung von Frauen

Zusammenfassung

In seiner Sitzung am 12. September 2000 hat sich der Menschenrechtsbeirat - aufgrund eines vorgelegten Dringlichkeitsberichtes einer seiner Kommissionen - mit dem Thema der Anhaltung von Frauen durch Organe der Sicherheitsexekutive befasst und beschlossen, dieses Thema umfassender zu behandeln. Zur Leistung der erforderlichen Vorarbeiten, insbesondere der Untersuchung allfälliger struktureller Mängel und Erarbeitung entsprechender Verbesserungsvorschläge, hat der Beirat in dieser Sitzung eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Der von der AG vorgelegte Bericht wurde in der Sitzung des Menschenrechtsbeirates am 5. Juli 2001 gemeinsam mit einem umfassenden Empfehlungskatalog beraten und beschlossen.

Die Problemfelder, die bei der Anhaltung von Frauen durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auftreten, lassen sich nach folgenden drei Schwerpunkten gliedern:

  • Durchsuchung und Anhaltung von Frauen durch männliches Personal,
  • mangelnde bauliche Voraussetzungen für eine den oben erwähnten Standards
  • entsprechende Anhaltung von Frauen, vor allem in Hinblick auf die von Männern getrennte Anhaltung und sanitäre Einrichtungen und
  • mangelnde Möglichkeiten der Körperpflege und der Versorgung mit Hygieneartikeln. 

Der Bericht des MRB beleuchtet diese Schwerpunkte umfassend im Licher der internationalen wie auch innerstaatlicher rechtlicher Rahmenbedingungen und beinhaltet 21 Empfehlungen zur Personalstruktur in der Sicherheitsexekutive, zur Erfüllung der baulichen Voraussetzungen für die Anhaltung von Frauen wie auch zu ihrer hygienischen Versorgung.

Bericht (855,1 KB) 

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2000 - Minderjährige in Schubhaft

Zusammenfassung

Der 56-seitige Bericht an den/die Bundesminister/in für Inneres spricht strukturelle Probleme in dem besonders sensiblen Bereich der Anhaltung von Minderjährigen in Schubhaft an und gibt 43 Empfehlungen zur Verbesserung der menschenrechtlichen Standards ab.

In seiner Sitzung am 7. Dezember 1999 hatte der Menschenrechtsbeirat beschlossen, die menschenrechtlichen Aspekte der Anhaltung Minderjähriger in Schubhaft, sowie die damit zusammenhängenden Fragen des fremdenrechtlichen Verfahrens zu überprüfen. Der Bericht beruht auf Vorarbeiten einer Arbeitsgruppe, der Mitglieder des Beirates und externe Experten und Expertinnen (u.a. der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien, des Kompetenzzentrums für unbegleitete Minderjährige, des Magistrats der Stadt Wien, der BPD Wien und des UNHCR) angehörten.

Der Bericht überprüft die Praxis der Anhaltung Minderjähriger in Schubhaft, vor allem im Hinblick auf die einschlägigen völkerrechtlichen Vereinbarungen sowie sonstige internationale Standards bindenden und empfehlenden Charakters. Im Vordergrund steht dabei der in der UN-Kinderrechtskonvention verankerte Grundsatz des Kindeswohls!

Neben Fragen der rechtlichen Handlungsfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung von minderjährigen Fremden, der Kommunikation zwischen den verschiedenen, mit Minderjährigen im fremdenrechtlichen Verfahren befassten staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen sowie Problemen im Fall der Entlassung oder Abschiebung und des "Schubhaftmanagements", bilden Fragen der Altersfeststellung minderjähriger Fremder, der Verhängung und Dauer der Schubhaft und der Haftstandards den wesentlichen Inhalt des Berichtes.

Zur Frage der Prüfung der behaupteten Minderjährigkeit von Fremden, die ohne Dokumente nach Österreich kommen, hält der Beirat fest, dass derzeit offenkundig keine allgemein anerkannte wissenschaftliche Methode besteht, die eine exakte Altersfeststellung gewährleistet. In diesem Zusammenhang empfiehlt der Menschenrechtsbeirat, in die fremdenrechtlichen Vorschriften eine Regelung aufzunehmen, wonach die Behörde im Zweifel von der Minderjährigkeit auszugehen habe. Ein Zweifelsfall sei dann anzunehmen, wenn das Gegenteil nicht feststellbar sei. Weiters empfiehlt der Menschenrechtsbeirat, in das Verfahren der Altersschätzung Personen, die beruflich häufigen Kontakt und besondere Erfahrungen mit Minderjährigen haben, einzubinden.

Zur Verhängung und Dauer der Schubhaft ist der Menschenrechtsbeirat der Ansicht, dass die Verhängung von Schubhaft über Minderjährige unter 14 Jahren gesetzlich ausgeschlossen werden sollte. Eine In-Schubhaft-Nehmen Minderjähriger über 14 Jahre sollte nach Ansicht des Menschenrechtsbeirates nur dann zulässig sein, wenn der/die Betreffende ein bereits einmal angeordnetes „gelinderes Mittel“ dazu missbraucht hat, sich dem fremdenpolizeilichen Verfahren zu entziehen, wenn weiters auf Grund bestimmter Annahmen eine Wiederholung dieses Verhaltens zu befürchten ist, oder wenn der/die Minderjährige qualifiziert straffällig geworden ist. Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, in das Fremdengesetz eine abschließende Aufzählung der Tatbestände aufzunehmen, in denen die Verhängung der Schubhaft über Minderjährige zulässig ist.

Der Menschenrechtsbeirat hat ferner die Praxis des Vollzugs der Schubhaft für Minderjährige unter Heranziehung völkerrechtlicher Vereinbarungen und Verträge sowie sonstiger internationaler Standards, insbesondere auch durch Besuche in ausgewählten Polizeigefangenenhäusern geprüft. Er macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass eine vom CPT geforderte, speziell für Jugendliche adaptierte Anhalteanstalt fehlt, die alleine die Gewährleistung menschenrechtskonformer Unterbringung sichern könnte. Dies berücksichtigend gelangt der Menschenrechtsbeirat zu der Auffassung, dass die gegenwärtige Praxis der Anhaltung von Minderjährigen in Schubhaft in den Polizeigefangenenhäusern nicht den international empfohlenen Mindeststandards der Behandlung von Minderjährigen in Haft entspricht.

Bericht (152,4 KB) 
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1999 - Problemabschiebungen

Zusammenfassung

Bereits in seiner konstituierenden Sitzung am 5. Juli 1999 hat der Menschenrechtsbeirat den Beschluss gefasst, sich mit der Abschiebung von Fremden zu befassen. Aufgrund des am 9. Juli 1999 eingegangenen Ersuchens des Bundesministers für Inneres hat der Menschenrechtsbeirat seinen Prüfungsgegenstand vorerst auf "Problemabschiebungen" auf dem Luftwege eingeschränkt.

Eine "Problemabschiebung" im Sinne dieses Berichtes ist eine Abschiebung, bei der auf Grund bestimmter Tatsachen zu gewärtigen ist, dass der/die Betroffene Widerstand leisten wird, weshalb seine/ihre Ausreise durch begleitende ExekutivbeamtInnen überwacht und allenfalls mit Zwang durchgesetzt wird.

Das oben erwähnte, vom Bundesminister für Inneres an den Menschenrechtsbeirat gerichtete Schreiben umfasste auch das Ersuchen um Überprüfung der wegen des Todes von Marcus Omofuma erhobenen Vorwürfe gegen die Sicherheitsexekutive. Der Beirat interpretierte dieses Ersuchen nicht als Aufforderung zur Aufklärung menschlichen Fehlverhaltens im Einzelfall. Er hielt jedoch ausdrücklich fest, dass der Einsatz von Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Abschiebungen, die zu einer ernsten Gefährdung der Gesundheit oder Gefährdung des Lebens des Betroffenen führten, nie mit den Grund- und Freiheitsrechten der Betroffenen vereinbar sein könne. Ebenso unzulässig seien Maßnahmen, die eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung darstellten,. Sie stünden in Widerspruch zu Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), selbst wenn damit keine konkrete Gesundheitsgefährdung verbunden wäre. Das Verkleben des Mundes stelle immer einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK dar.

Unabhängig von der Eigenverantwortung jedes Beamten/jeder Beamtin für seine/ihre Handlungen im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte erachtete es der Menschenrechtsbeirat weiters für nicht nachvollziehbar, warum die BeamtInnen bei der Erfüllung dieser sehr schwierigen Aufgabe bis zum 3. Mai 1999 seitens der vorgesetzten Stellen nicht durch Schulungsmaßnahmen oder die Erlassung von Richtlinien unterstützt wurden.

Die seit dem 3. Mai 1999 vom Bundesministerium für Inneres gesetzten Maßnahmen zur Durchführung von "Problemabschiebungen" auf dem Luftwege wurden vom Beirat unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte geprüft und als Schritt in die richtige Richtung gewertet. Nach Ansicht des Menschenrechtsbeirates sind die gesetzten Maßnahmen jedoch weiter zu verbessern und zu ergänzen. Dazu hat er in seinem Bericht insgesamt 32 Empfehlungen ausgearbeitet, die die Situation des/der abzuschiebenden Fremden und der BegleitbeamtInnen bei "Problemabschiebungen" verbessern sollten.

Den Empfehlungen ist gemein, dass durch maximale Anstrengung in der Vorbereitung des/der abzuschiebenden Fremden und der BegleitbeamtInnen einer allfälligen Eskalation vorgebeugt werden soll. Dies hat sich in der Information aller Beteiligten, der Organisation der Abschiebungen und deren Durchführung widerzuspiegeln.

Bezüglich der Verbesserung der Information empfiehlt der Beirat u.a. jeder abzuschiebenden Person den Zeitpunkt und die Modalitäten (Flugroute, Zeit der Ankunft, Begleitung) in formalisierter Weise durch die Behörde mitzuteilen und den SchubhaftbetreuerInnen das Beisein beim Termin der Abholung durch unverzügliche Terminbekanntgabe zu ermöglichen.

Zur Erleichterung der Aufgabenerfüllung der BegleitbeamtInnen empfiehlt der Beirat u.a., solche Flugstrecken zu wählen, die eine möglichst geringe Anzahl von Zwischenstopps und Transitaufenthalten erforderlich machen und über Transitländer gehen, mit denen Durchbeförderungsübereinkommen bestehen. Weiters empfiehlt der Beirat eine rechtzeitige Kontaktaufnahme mit den österreichischen Vertretungsbehörden im Zielland, die die BegleitbeamtInnen dort unterstützen sollen.

Wenn eine Abschiebung mit einem Linienflugzeug nicht möglich oder nicht tunlich erscheint, kommt als ultima ratio eine Durchführung der Abschiebung mit Charterflügen in Betracht. Der Beirat empfiehlt, Vorwürfen mangelnder Kontrolle bei Charterflügen dadurch zu begegnen, dass ein in Bezug auf alle Beteiligten (einschließlich des Luftfahrtunternehmens) unabhängiger Menschenrechtsbeobachter am Flug teilnimmt. Diesem Beobachter käme die Aufgabe zu, einerseits unverhältnismäßiger Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt gegen die abzuschiebende Person vorzubeugen und andererseits unberechtigten Vorwürfen gegen die BegleitbeamtInnen entgegenzuwirken.

Bericht (77,4 KB) 

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Achtung:

Der Menschenrechtsbeirat im Bundesministerium für Inneres hat seine Tätigkeit mit 30. Juni 2012 beendet. Gemäß dem OPCAT-Durchführungsgesetz (BGBl I Nr. 1/2012) wurde bei der österreichischen Volksanwaltschaft  ein Nationaler Präventionsmechanismus eingerichtet, der zur Verhinderung von Folter und anderen grausamen, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie dem Schutz und der Förderung der Menschenrechte Besuche an Orten der Freiheitsentziehung durchführt.